Wenn dir jemand eine Erbsensuppe wegen der Bockwurst empfielt und du dann eine Schale Eintopf mit 3-4 Schnippseln als Einlage bekommst, dann bist du enttäuscht. Und so wird es auch zunehmend den immer jüngeren Generationen, die ohnehin Zugang zu allen Sickos dieser Erde haben, mit DR. LAMB gehen, weil man diesen ersten Eindruck zur damaligen Zeit kaum reproduzieren kann. Das kann man den Produzenten Danny Lee und Parkman Wong vermutlich nicht mal verübeln, ist der Hongkong-Film doch traditionell ein eher schnellebiges Geschäft gewesen, bei dem eher noch einige Epigonen den Erfolg eines maßgeblichen Films nachzeichneten, als daß an nachhaltige Auswertung gedacht wurde. Die Folgen haben wir im DVD-Zeitalter besonders deutlich gespürt, war es doch oftmals unmöglich, gute Master zu bekommen - besonders von Filmen aus der zweiten Reihe. Was schon auf VHS veröffentlicht worden war, schaffte es in Hongkong dann zu oft nur als direkte Kopie ins digitale Zeitalter, gern auch von einer aufgezoomten Vollbildkassette noch einmal ins Breitbild mattiert, um das Massaker zu vollenden. Erst über Jahre tauchten dann neue Abtastungen einzelner Filme auf, die gern mit besonders harten Filtern und gnadenlosen Framecuts versuchten, den Muff und Ranz der Lagerschäden zu beheben und leider sogar manchmal zusätzliche Toneffekte bemühten, um dem Zuschauer ein modernes Surrounderlebnis zu bieten, wo es gar nicht hingehört.
Ich versuche ein bisschen das Mindset zu formen, aus welcher Perspektive man einem historisch durchaus bedeutsamen Werk begegnen kann. Ich denke niemandem ist geholfen, wenn man heute noch ungefiltert von einem Splatterfilm spricht, weil die erwartete Tour de force nicht gegeben ist. Im Grunde fällt es gar schwer, DR. LAMB als diesen einzigen Film an der Spitze einer Tradition zu sehen, die er nach manchen Aussagen geformt haben soll. Auch dies kann nur bedingt stimmen, zumal der englische Titel, ähnlich wie bei der Verbindung zwischen BASIC INSTINCT und NAKED KILLER, eine zusätzliche Inspiration durch DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER auf internationaler Ebene andeutet. Eine inhaltliche Nähe ist beiderseits weit hergeholt.
CAT III, das war in den 90ern oftmals auch ein von Halbwissen geschwängerter Mythos, wenn hier bei uns im Westen VHS und Laserdisks auftauchten, die plötzlich die ein oder andere heftige Szene enthielten, die uns, die wir nichts hatten, über jeden Blutstropfen frohlocken ließen. Ich will heute nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, aber ein paar Eckdaten fallen mir schon ein, um ein so umstrittenes Werk wie DR. LAMB in ein anderes Licht zu rücken.
Zunächst einmal ist es wahrscheinlich, daß Billy Tang dem Darsteller und Produzenten Danny Lee mehr als in den Credits angegeben nur als unterstützender Regisseur diente. Das Verhältnis dürfte dem Folgefilm THE UNTOLD STORY, welcher im Wesentlichen Herman Yau zugesprochen wird, ähnlich sein.
Ihre vermeintlich fiktive Herangehensweise an den realen Fall des "Jar Murderers" Lam Kor-wan, für den Film kaum zu verkennenden Lam Gor-Yu verzerrt, dürfte sich gerade zum zehnten Mal jährend einem hongkonger Publikum erschlossen haben, zumal die Geschichte bereits 1985 als HONG KONG BUTCHER und gerade 1991 fürs Fernsehen als HONG KONG CRIMINAL ARCHIVES - FEMALE BUTCHER verfilmt worden war - in letzterem Fall außerdem schon mit Simon Yam als Schlachter der regnerischen Nächte.
Unter dieser Prämisse einen reinen Gorefilm zu erwarten ist natürlich etwas töricht, gibt es doch klar umrissene Schemata an denen es sich entlang zu hangeln gilt. Überhaupt gehöre ich zum Beispiel zu einer Generation, die sich im Teenageralter mit Heroic Bloodshed und Hongkong-Schockern auseinander setzte, aber abgesehen von Bruce Lee und Jacky Chan wenig Überblick über Hongkong Exploitation hatte. Erst mit den Jahren wurde mir bewusst, daß die 70er und 80er bereits mit Rape and Revenge Streifen (INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN, DAS BAMBUSCAMP DER GEQUÄLTEN FRAUEN) und neben zahlreichen, humoresken Grusel-Revuen auch durchaus splatterigen Eskapaden (THE BOXER'S OMEN, DEVIL FETUS) aus den großen Studios versorgt waren.
Bezeichnend dabei ist, daß erst 1988 der staatlich geförderte chinesische Propagandafilm MEN BEHIND THE SUN über japanische Greueltaten am chinesischen Volk, zu deren Realismus auch das Sezieren einer echten Leiche gehörte, die neue Schöpfung der im Westen Synonym mit Gewalt gebräuchlichen Freigabe CAT III erhielt. Zunächst eher im Softpornobereich angesiedelt wurde es 1991 mit dem an einen chinesischen Erotikroman angelehnten SEX AND ZEN gesellschaftsfähiger diese Schmuddelfilme zu besuchen und neben dem True Crime Thriller DR. LAMB sollten im Verhältnis aufwändiger produzierte Filme wie NAKED KILLER die CAT III Vorführungen für ein breiteres Publikum öffnen. Doch auch Kriminalthriller wie SENTENCED TO HANG holten sich bereits ihr CAT III Siegel ab, bevor an DR. LAMB zu denken war.
Verhältnismässig heftige Splatterszenen hatte man in Hongkong zu dieser Zeit schon über die Leinwände flimmern sehen. Selbst Nekrophilie, wie sie analog zum Jar Murderer Fall angedeutet wird, hatte man gelegentlich beobachtet - sei es unfreiwillig in EROTIC GHOST STORY oder durchaus gewollt im etwas abseitigen CORPSE MANIA. Was DR. LAMB also eigentlich auszeichnet, ist seine Funktion als weitestgehend ernster Hongkong-Noir, auch wenn speziell Billy Tang mit seinen Folgewerken RUN AND KILL und RED TO KILL noch deutlich bitterer werden sollte.
Man stelle sich also ein Publikum vor, welches angesichts der Exposition in der Erwartungshaltung an einen Thriller geframed ist anstatt an einen Goreklassiker, als der DR. LAMB heute gern gehandelt wird, zumal ursprüngliche Fassungen in der ein oder anderen Art zensiert waren. Aber ist es da nicht geschickt, sich gegen eine chronologische Erzählweise zu entscheiden, ausgenommen den Andeutungen an die infantile Sexualität des Täters, dessen Werk jedoch abgesehen von vorheriger Medienpräsenz zunächst wenig zur Illustration kommt? Um die perverse Qualität der zu erwartenden Morde wissend, ergibt sich für die damaligen Adressaten potentielle Suspense; ein Spiel mit der Zurückhaltung, welches sich zunächst über polizeiliche Ermittlungen erstreckt, welche einem Hinweis des Kodak-Photolabors nachgehen, dem ein paar Nacktaufnahmen verdächtig vorgekommen sind.
Comic Reliefs sind hier noch verhältnismässig harmlos, während klar wird, daß es sich bei dem Modell um eine Leiche handelt. Erst über Umwege kommt es zum Geständnis Lams, dessen Taten nun rückblickend bebildert werden. Diese Vorgehensweise drängt sich auch deshalb auf, weil der echte Lam ebenfalls seine Opfer auf Videoband, darunter sexuelle Handlungen an einer Leiche, festgehalten hat. Kommt der Zuschauer nicht von allein darauf, unterstreichen von Würgen begleitete Kommentare der Polizei die emotionale Zuordnung des Gezeigten.
Es benötigt zudem etwas filmische Erfahrung, um Simon Yams an den Stummfilm-Expressionismus heranragendes Spiel nicht einfach als lächerliches Overacting abzustreifen. Seine Darstellung eines Maniacs hat durchaus eine Substanz, die sich zudem mit Theaterspiel aber auch generell manchmal etwas überbordenden Filmauftritten im Hongkongkino verknüpfen lässt.
Kann man Yam noch auf dem ernsten Boden ansiedeln, steht DR. LAMB auch in der Tradition eines recht schwarzen Humors, der für Westler ungewohnt, durchaus scheußlich angelegte Szenen mit möglicherweise unangebracht wirkenden Humorspitzen vermengt. Ob nun Gegenstück zum in SEX UND ZEN oder NAKED KILLER herumfliegenden männlichen Genitals, in DR. LAMB ist es nun eine abgetrennte weibliche Brust aus dem Bestand des Jar Murderers, die zum Einsatz kommt, um für angewidertes Schmunzeln zu sorgen.
Die Figur des Killers gibt in diesem Film zum Besten, daß er die nächste Frau getötet hat, weil der letzte Mord nicht gut genug war. Er habe es besser machen wollen und sich zum Beispiel anatomisch weitergebildet. Wer weiß, wie oft der Taxifahrer noch in regnerischen Nächten zugeschlagen hätte, wenn die Polizei ihm nicht dazwischen gefunkt hätte? Wann wäre es sonst der Familie aufgefallen, was ihr Angehöriger, der sogar mit seinem Bruder das Zimmer teilte und nur wegen seiner Nachtschichten Gelegenheit zur unbemerkten Ausübung seines Treibens erhielt, in der gemeinsamen Wohnung so anstellt?
Da wir es hier mit einem echten Fall zu tun haben, ist es wohl kaum moralisch angebracht, nach mehr als den vier jungen Frauen zu fordern, die Lam Kor-wan zum Opfer gefallen sind. Es ist gut, daß er gefasst und die verhängte Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde.
Das Ensemble zog weiter und das ist ein Effekt, der mir generell an Genrefilmen bestimmter Epochen gefällt. Danny Lee schnappte sich in diesem Fall Herman Yau sowie den DR. LAMB Autoren Kam-Fei Law und drehte einen noch spekulativeren, nur auf Legenden basierenden True-Crime Reisser namens THE UNTOLD STORY, der meinem einleitenden Satz nach, eher noch als der mit zynischerer Erzählung arbeitende Billy Tang mit seinen RUN AND KILL und RED TO KILL, die ganze Bockwurst bot und insbesondere durch den preisgekröten Auftritt Anthony Wongs in die Geschichtsbücher einzog. Als Schauspieler zumeist auf den Cop festgelegt, sahen wir Danny Lee sowohl in THE UNTOLD STORY und RUN AND KILL. Kent Cheng trug als pummeliger Hauptdarsteller zusammen mit Simon Yam Billy Tangs RUN AND KILL, während Parkman Wong, Emily Kwan und Julie Lee in THE UNTOLD STORY wieder auftauchten. Gerade Julie Lee, in Dr. Lamb zerstückelt und in THE UNTOLD STORY überaus hart rangenommen, muß man als wohl dem CAT III Siegel treueste Darstellerin hervorheben, zumal sie mit ihrem Auftritt in TRILOGY OF LUST dieses mit dem Schritt in die Hardcore-Pornographie noch zu brechen wusste.
Leider etwas im Windschatten untergegangen ist LOVE TO KILL, eine u.a. wieder von Kam-Fai Law verfasste Meditation zur sich über Generatinen fortsetzenden Spirale der häuslichen Gewalt, bei der ebenfalls Anthony Wong und Danny Lee auftrumpfen dürfen.
Während THE UNTOLD STORY noch mit zwei völlig unabhängigen Sequels bedacht wurde, sah man DR. LAMB nur noch einmal als eine der Anspielungen in Bosco Lams Spoof THE UNDERGROUND BANKER, wo der eigentlich geheilte Frauenschänder, hier gemimt von Lawrence Ng, der Anthony Wongs Hackebeil schwingender Figur Tong-Chi Ming zu Hilfe eilend noch einmal weitestgehend an vergangene Taten anknüpft. Der auch als THE NEW DOCTOR LAMB betitelte TRUST ME U DIE mit Simon Yam hat hingegen mit der ursprünglichen Figur rein gar nichts mehr gemeinsam.