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Ich erinnere mich noch sehr gut, als ich die HK-DVD zu RUN AND KILL aus einem stationären Fachhandel für knallharte Filme mitgenommen hatte und damals sicher eher eine Assoziation zu CUT AND RUN hatte, als an eine relative Verwandschaft mit HONGKONG CONNECTION - ON THE RUN zu denken. Dabei schlägt Billy Tangs Film, obschon mit klarer umrissenen Fronten, formal in die Kerbe dieser auf ihre äußerst nihilistische Art dem Film Noir nahestehenden Asia-Thriller. Die Universe DVD mattierte das vermutlich schon aufgezoomte Bild des alten Universe Tapes mit Widescreenbalken zu 1,85:1 und damit waren die ohnehin schwer lesbaren, eingebrannte Untertitel zwar auf Chinesisch, aber oft nicht in der simultan angezeigten englischen Sprache lesbar, denn die unten angeordneten Buchstaben lagen oftmals hinter der Abdeckung. Kein Wunder, daß mich der Film kaum erreichte, lebt er doch von Feinheiten, die nicht so offensichtlich herausgeschrien werden. Oftmals werden die Konflikte in einem Bogen heraufbeschworen, um sich dann aus der Spannung, manchmal fast nebensächlich, zu entladen.
RUN AND KILL ist, im Verhältnis zu Heroic Bloodshed Orgien, mit äußerst geringen Aufwand realisiert worden. So erfährt man vom niedergebrannten Laden des Protagonisten zum Beispiel nur am Rande durch eine kurze Meldung. Es ist auch nur ein kleines Mosaiksteinchen des Malstroms, welcher das Leben des gemütlichen Dickerchens Cheung (Kent Cheng) unaufhaltsam aufreibt. Billy Tang beginnt seinen Film dabei mit einer Sequenz, die man sich eher später als ein Comic Relief vorstellen könnte, die jedoch nicht vorhanden sind. Von dort geht es direkt in den Abgrund und es gibt keinen Weg zurück. Während der liebevolle Vater jedoch sein kleines Töchterchen in der Morgenroutine bespaßt, ist bereits schon zu spüren, daß die Frau nicht zufrieden mit ihrer Situation ist. Teilnahmslos bleibt sie im Bett liegen und ist eher genervt, als sie ihr Gatte mit Aufmerksamkeit beschenkt.
Der Geschäftsmann gibt später selber zu, nicht nur adipös, sondern auch eine Niete im Bett zu sein, doch noch ist er arglos; hätte beinahe den Hochzeitstag vergessen, doch der patenten Mutter sei Dank kann er noch rechtzeitig heimkehren, um seine Angetraute zu überraschen - mit einem anderen Mann in eindeutiger Position. Wenn man so will, wäre das ganze Unglück gar nicht angestoßen worden, hätte die alte Dame nicht Cheung aus seiner überdenkenswerten Routine gerissen und damit das Todesurteil für viele Menschen unterschrieben. Dabei ist es die Verkettung von Umständen, die nun aus dem Zorn eines Mannes Dinge heraufbeschwört, die er gar nicht so gemeint hat.
RUN AND KILL spricht also gleich mehrfach Dinge an, die den stereotypen Asiaten bewegen. Da ist die Männlichkeit oder spezieller Manneskraft, die Ehre, aber auch die Selbstbeherrschung und Wahrung der Form. Wenn Cheung zunächst vergeblich versucht, den Frust mit Essen zu tilgen, dann trifft er auf einen alten Bekannten, der ihn in einer Bar in eine offensichtlich von Promiskuität geprägten Gesellschaft einführt. Daß hinter dem Tresen eine westliche Bedienung den Treibstoff für den SIttenverfall ausschenkt, ist möglicherweise kein Zufall, denn Hongkong ist zu dieser Zeit als kurz vor der Übergabe an China stehende Kronkolonie ein Schmelztiegel aus asiatischen und westlichen Einflüssen. Konsum und Mammon sind ein Laster der kapitalistischen Enklave, die sich aus Unsicherheit um die Zukunft mit einer unglaublichen Raffgier konfrontiert sieht und selbst Filmemacher wie Lawrence Ah Mon, die im Kampf mit der Zensur um einen starken gesellschaftlichen Realismus bemüht waren, gaben zu, einen ausländischen Pass zu besitzen, um jederzeit das Land verlassen zu können. Die Polizeit um Gaststar Danny Lee wird in RUN AND KILL zwar nicht als korrupt oder vom Verbrechen unterwandert charakterisiert, tritt aber in ihrem Handeln nicht besonders souverän auf, sondern wird bei den Ermittlungs- und Zugriffsabsichten schlicht ausgespielt.
Daß Hongkongs Realität nicht einfach High Life in Tüten war, sondern die Gangsterbanden zwischen Slumbaracken und zum Himmel ragenden Wohnkasernen stetig um neue Mitglieder warben, ist wahrscheinlich die Ursache dafür, daß Cheung trunkenen Schädels von Racheglüsten plaudernd an eine Dame gerät, die ihn sofort gegen einen Obolus an die Triaden weiterempfielt, die ohne Vorkasse tätig werden. Daran kann sich Cheung nicht mehr erinnern, als er in die heimische Wohnung zurück kommt, in der sich immer noch seine Frau und ihr Lover befinden. Es dauert nicht lange, bis ein Trupp einkehrt, um seinem Leiden ein Ende zu bereiten und die beiden vor seinen Augen hinzurichten. Ist Cheung bei der Polizei zwecks Observierung entlassen, kommen die Dienstleister mit ihrer Forderung auf ihn zu, doch RUN AND KILL legt an dieser Stelle eigentlich erst los.
Physisch gesehen ist es mit Rennen natürlich nicht so weit her. Der Protagonist wird eher zum Spielball verfeindeter Gangs, als Cheung auf seinen Nachbarn trifft, der ebenfalls einer kriminellen Organisation angehörig ist. Dessen Hilfe macht die Sache am Ende jedoch nicht besser, gerät sein Bruder (Simon Yam) doch aufgrund der Geschehnisse so in Rage, daß er dem harmlosen Pummel und allem was ihm lieb ist den Garaus machen will. Und damit ist der finstere Abgrund für RUN AND KILL schließlich geöffnet. Es ist der Albtraum für eher passive Menschen, denen das Unheil stets von Aussen zugefügt zu werden scheint, denn wenn sie dann ihren Unmut äußern, geht es erst recht schief. Dabei lässt sich jedoch feststellen, daß abgesehen vom Zutun seiner Mutter, die dazu beitrug, daß ihm überhaupt die Augen geöffnet wurden, es ja vielleicht nicht nur Schicksal war, welches ihn in seine Situation brachte. Vielmehr hätte er schon vorher darauf kommen können, daß in seiner Ehe nicht alles richtig läuft und anstatt es auszusitzen, eine Klärung anstoßen können. Gefeit sind wir davor alle nicht. Vielleicht macht dieser Umstand die toxischen Folgen seiner Resignation und Mäkelei umso spürbarer. Und vielleicht müssen wir uns auch selber fragen, wieviel wir eigentlich schlucken würden, bis wir mal so richtig ohne Gnade ausrasten.
Es lohnt sich an dieser Stelle erneut darauf hinzuweisen, daß die berüchtigte Altersfreigabe Category III zumeist wegen sexueller Inhalte vergeben wurde, da diese in RUN AND KILL quasi nicht vorkommen. Daß die Inhalte nur für Erwachsene geeignet sind, darf man hier aber nicht zwingend auf eine unglaublich ausufernde Splatterschau zurückführen, da die gezeigten Morde keine Achterbahnartigen Höhepunkte darstellen. Es ist wie oben erwähnt ein Thriller mit durchaus politischen Subtext, dessen Gefühlswelt in der gewählten Aufbereitung jugendlichen unter Umständen verschlossen bleibt. Hinzu kommt, daß neben üblichen blutigen Einschüssen durchaus verstörende Inhalte gezeigt werden, die besonders in einer das Finale einleitenden Verbrennung nicht einmal besonders realistisch ausfallen müssen, um die unglaubliche Gemeinheit spürbar zu machen und dennoch Cheungs Unbeholfenheit nicht auszuklammern. Es gibt keine wirkliche Erlösung aus diesem Drama und so bleibt Billy Tangs sperriger wie bedrückender Film doch auf jeden Fall noch lange im Gedächtnis.
Die deutsche Synchronfassung halte ich in diesem Fall für eine gute Art, sich dem Film erstmals zu nähern, da die einigermaßen ansprechende Umsetzung, das Dickerchen wird hier mit Tom Deininger, der Stimme von Käpt'n Balu bedacht, den Zugang zu den Spannungsfeldern erleichtern kann. Es gibt einfach wichtige Details, wie eine für mich doch recht unverhofft aus dem Fenster gestoßene Person, die so beiläufig auftreten, daß sie für Verwirrung sorgen können, sollte man kurz unkonzentriert sein. Das ist vielleicht auch ein Manko von RUN AND KILL, daß er mit seinen manchmal langen Sequenzen zu einlullender Synthie-Mucke überhaupt nicht auf die unerwarteten Ausbrüche vorbereitet und dann dem Unkonzentrierten ein Bein stellt, sollte er arglos weiter schauen. So ging es mir Anfang des Jahrtausends quasi mit der damals neuen und einzigen, zudem um eine Minute an Handlung gekürzten Universe DVD aus Hongkong, weil ich schon wegen der besagten Untertitel zu kämpfen hatte. Da verpufft selbst das grausame Finale, weil den Film andererseits nämlich auszeichnet, daß er nicht allein wegen graphischer Darstellung funktioniert, sondern wegen der Erzählung als solches. Ich durfte nun lernen, daß alles aufeinander aufbaut und da macht sich eine liebevollere Umsetzung definitiv bezahlt, denn so unbequem es sein mag, RUN AND KILL muß man in seinem Leben doch mindestens einmal gesehen haben. Jedenfalls, wenn man eine Affinität dafür besitzt, sich in der sicheren Umgebung einer Bewegtbildproduktion in Bereiche zu begeben, die man niemals am eigenen Leibe spüren möchte.

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