Der Cop-Thriller hatte es auf deutschen Leinwänden schon immer schwer. Im Land der Pantoffelkino-Komissare spürt man offenbar keinen Bedarf, für etwas das ohnehin scheinbar allwöchentlich dutzendfach über die heimischen Mattscheiben flimmert die gemütliche Couch zu verlassen, geschweige denn dafür auch noch Geld auszugeben. Schließlich ist das inflationäre Angebot für lau. Das ist schade, denn es gäbe so viel zu entdecken abseits der drögen, piefigen TV-Kost all der Tatorte, Polizeirufe und Fälle für wen auch immer. Da hat nicht mal die ansonsten gern genommene Hollywood-Variante eine Chance, da müssen schon Superstar-Konstellationen („Heat") oder Action-Feuerwerke her („Die hard", „Lethal Weapon"), um die Massen zu mobilisieren.
Warum also hätte es da ausgerechnet einem der ganz wenigen deutschen Genre-Könner besser ergehen sollen? Schließlich meidet der deutsche Kinogänger seit Jahrzehnten heimische Genre-Kost wie der Teufel das Weihwasser, ausgenommen mehr oder weniger geistreicher Komödien natürlich. Dominik Grafs ambitionierter Polizei-Thriller „Die Sieger" war jedenfalls ein Totalflop und landete anno 1994 mit gerade einmal 170 000 Besuchern auf Platz 97 der deutschen Kino-Jahrescharts. Gut, Graf hatte von Beginn an auch immer wieder beim Fernsehen gearbeitet, aber mit seinem Ansatz das amerikanische Genrekino auf deutsche Verhältnisse und Gepflogenheiten zu übertragen 1988 immerhin einen veritablen Kinohit (1,3 Millionen Zuschauer) gelandet. Der packende Heist-Thriller „Die Katze" musste sich keineswegs vor der übermächtigen Konkurrenz aus Übersee verstecken, ohne dabei seine deutsche Herkunft und Verortung verleugnen zu müssen.
Im Nachhinein muss man allerdings ernüchtert konstatieren, dass wohl weniger Grafs Regie-Expertise als vielmehr die Star-Qualitäten seines Hauptdarstellers Götz George den Erfolg brachten. (1) Es ist müßig zu spekulieren, ob „Die Sieger" mit einem Zugpferd wie George ebenfalls reüssiert hätte, die Besetzung des Anführers eines knallharten Sondereinsatzkommandos mit dem ungleich weniger virilen und charismatischen Herbert Knaup war aber sicherlich kein genialer Besetzungscoup. Auch wenn reale Spezialagenten und Kommandotrupp-Soldaten nicht das Profil schillernder Alphatiere wie James Bond erfordern, so gelten für die entsprechenden Leinwandadaptionen andere Gesetze. Das Farblose und Unscheinbare mag in der Realität beinahe überlebenswichtig sein, im Film bedeutet es meist den Tod. Es ist letztlich bittere Ironie, dass wenn Graf etwas mehr auf Glitzer und Glamour gesetzt hätte, das Publikum wahrscheinlich seine kluge, nihilistische und nüchterne Sezierung des Polizeialltags und der Abgründe von Politik und Hochfinanz deutlich breiter goutiert hätte.
Wahr ist aber sicher auch, dass man in der BRD der frühen 1990er Jahre auf einer Euphorie- und Wohlfühlwelle surfte, die wenig Platz für finstere Kommentare zur Verstrickung von Politikern und Behörden in Korruption und Amoralität bot. Das auftretende Sondereinsatzkommando droht dabei zermalmt zu werden, was sich auch entscheidend auf die Psyche der Beamten auswirkt. So gesehen ist der Titel „Die Sieger" galliger Sarkasmus, denn die Gruppe um Polizeihauptmeister Karl Simon (Knaup) steht am Ende ausnahmslos auf der Verliererseite. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Selbstverständnis als zupackende, perfekt ausgebildete Elitekämpfer und der harten Wirklichkeit eines physisch wie psychisch in Grenzbereiche ausufernden Jobs, gehört zu den interessantesten Aspekten des Films.
Graf inszeniert dieses zermürbende Spannungsfeld ungemein intensiv als permanenten Wechsel zwischen einem Ritt auf der Rasierklinge und Phasen quälender Langeweile. (Ersatz-)Drogen wie Alkohol, schneller Sex und Machosprüche legen das verrottete Innenleben des SEK-Zuges schonungslos offen, gerade auch weil Graf hier atmosphärisch und tonal eine dreckige, rüde, unangenehme Sprache wählt. Anders als in Michael Manns ein Jahr später entstandenem Meisterstück „Heat" tröstet er den Zuschauer nicht mit stilisierten Bildkompositionen und in ihrer Wucht mitreißenden Actiontableaus. Grafs Film setzt beide Elemente zwar ebenfalls gezielt ein, aber auf eine deutlich brüchigere und unvollkommenere Weise, was den verstörenden Blickwinkel des Films um so klarer heraus stellt. Obwohl in Anlage und Aussage sehr ähnlich, ist „Die Sieger" im Vergleich der deutlich unbequemere und in seiner Wirkung nachhaltigere Film. Er hat nicht nur die Psyche seiner Protagonisten im Visier, sondern jene eines ganzen Landes und spielt dabei nicht gerade die Karte des Optimismus.
Neben der Entmystifizierung des SEK-Mannes als schneidigem Abenteurer, ist auch die klare Trennlinie zwischen breiter Mittelschicht und elitärer Oberschicht ein Thema. Katja Flint als mondäne Politikergattin Melba Dessaul steigt kurzfristig in die Niederungen des Bürgerlichen herab, nur um die Unvereinbarkeit beider Welten und den eigenen Exklusivitätsstatus erst recht zu zementieren. Das Unantastbare wird für Karl Simon nur für ein paar Wimpernschläge im wahrsten Wortsinn greifbar, ein kurzer Augenblick im symbiotischen Adrenalinrausch. Die Sexszene ist nicht zufällig prominent filmmittig platziert, ein Moment der Intimität und Leidenschaft im Chaos von Verbrechen, Gewalt, Verrat und innerer Dämonen. Indem Graf diesen Szenen einen triebhaften, eruptiven Anstrich verpasst und gerade nicht das Klischee der gängigen Hochglanzerotik bedient, hält der ständig schwelende Pessimismus auch hier Einzug und gibt möglichen Hoffnungen auf eine positive Wendung kaum bis keine Nahrung.
„Die Sieger" ist quasi ein teutonisches „Apocalypse Now", ein Blick in die abgründige Seele einer Nation, nur dass diesen im Klima der Wiedervereinigungseuphorie niemand sehen wollte. Wenn Karl Simon und seine Männer am Ende bis an die Zähne bewaffnet ins bayerische Karwendelgebirge aufbrechen um einen abtrünnigen Ex-Kollegen zu stellen, dann scheinen die kathartischen Zuschauererwartungen und vielleicht auch Sehnsüchte doch noch in Erfüllung zu gehen, nur um sie ein letztes Mal an einigen Schnittstellen erneut zu unterlaufen. Zum Schluss herrscht dennoch nicht die totale Finsternis, schließlich hat auch der bedingungslose Fatalismus etwas Glamouröses.
12 Millionen DM stellten die Constantin und Senator Film Graf zunächst zur Verfügung, aber als das Bild eines deutschen Actionthrillers mit primärem Unterhaltungsanspruch immer mehr ins Wanken geriet, wurde das Budget schnell gekürzt. Die anvisierte Lauflänge von weit über zwei Stunden war nun ebensowenig zu halten wie zentrale Aspekte des Drehbuchs, was dazu führte, dass Graf mit der endgültigen Version sehr unzufrieden war. Das mangelnde Engagement der finanzierenden Bavaria und nicht gerade euphorische Kritiken zum Kinostart waren sicher nicht die besten Vorraussetzungen, letztlich war aber wohl Grafs Ansatz zu gewagt und radikal für das damalige Publikum.
Inzwischen gibt es einen Director´s Cut (bei dem seinerzeit geschnittenes Material unter Grafs Aufsicht wieder eingefügt wurde) sowie eine späte Rehabilitation durch diverse Retrospektiven und Festivaleinsätze. Sicher ein späte Form der Genugtuung für den Regisseur aber dennoch keine angemessene Würdigung des Films. Das breite Publikum, das dieses komplexe Meisterstück deutscher Genre-Kunst verdient gehabt hätte und hat, wird eine Neuveröffentlichung auf DVD und Bluray ebensowenig generieren, wie der ein oder andere TV-Einsatz. Wie das SEK-Sonderkommando ist auch das heimische Genrekino trotz erwiesener Expertise nach wie vor kein Sieger. Ein bitterer Meta-Gag, aber bei weitem nicht nur. Wie so häufig sagt das verhaltene Zuschauerecho sehr viel über die konsumierende Gesellschaft aus und sehr wenig über die (in diesem Fall herausragenden) Qualitäten des Films.
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(1) Der Schimanski-Star machte praktisch zeitgleich auch die beiden Leinwandauftritte des ruppigen TV-Kommissars zu Kinohits („Zahn um Zahn", „Zabou").