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Wir schreiben das Jahr 2008. Wirtschaftlich aufstrebende und stetig an Bevölkerung wachsende Länder wie Indien und China greifen immer stärker auf die westlichen Lebensmittelmärkte zu; den Chinesen sagt man gar nach, nach Überwindung ihrer Laktoseintoleranz für eine Preisexplosion unserer Milchprodukte verantwortlich zu sein. Mit neuen Züchtungen von Grundnahrungsmitteln wird dem Welthunger zu begegnen versucht; Großkonzerne wie Nestlé sind längst nebenbei damit beschäftigt die Wasserressourcen unter sich aufzuteilen.
Ein weiterer Lösungsansatz hat sich etabliert. Die Gentechnik hat Einzug ein die Landwirtschaft genommen, die Kennzeichnung insbesondere von gentechnisch behandelten Futterzusätzen unserer Fleischlieferanten ist mangelhaft transparent. Auch hier schaffen sich Großkonzerne wie Monsanto Monopolstellungen mit patentierten Sorten, mit denen sie nicht nur durch einen rasant steigenden Pestizidbedarf, sondern auch durch geschickten Lobbyismus zu Gunsten von Zulassungen und juristischen Entscheidungen in die Kritik geraten sind.

Als die mit klassischen Monsterthemen wie Dracula und Frankenstein vertrauten Universal Studios Mitte der 50er den bereits mit Gefahr aus dem Weltall und Der Schrecken vom Amazonas etablierten Regisseur Jack Arnold verpflichteten, einen B-Movie Beitrag zum neben der Invasions-Science-Fiction das Repertoire der Dekade des phantastischen Films beherrschenden Monster-Horror zu leisten, waren transponierte Ängste aus dem Konflikt mit der Sowjetunion die am wahrscheinlichsten zu erwartenden Impulse für den Nervenkitzel.
Doch Arnold läßt zwei Wissenschaftler in der Wüste nach einer synthetischen Ernährungsalternative forschen, aus der das folgende Unheil entstehen wird. Es mag weniger ein sinnesscharfer Blick in die Zukunft als ein willkürlicher Anlaß sein, jedoch trifft das Ursprungsszenario in Tarantula erstaunlich exakt die Problematik unserer Tage, mit dem kleinen Unterschied, daß wir uns bereits ohne klar neutrale Erkenntnisse vor allem im Bezug auf Langzeitfolgen in einer Testphase am Menschen in einer gewöhnlichen Wirtschaftssituation befinden.

Vor dem zeitgenössischen Hintergrund kann es sich Jack Arnold relativ einfach machen. Es genügen Schlagworte wie Radioaktivität, um ein mystisches Kauderwelsch aus den wissenschaftlichen Grundlagen zu formen, die doch lediglich den Zweck erfüllen, zu einem simplen, bedrohlichen Ergebnis zu gelangen. So mischt zunächst ein als an Acromegalie verstorben diagnostizierter Toter in der Wüste vor dem Kaff Desert Rock die Ordnung der Provinz auf.
Bereits der Zeit Mary Shelleys entwachsen werden im Laufe der stellenweise durch Dialoglastigkeit doch etwas zähflüssigen Auflösung eben die Mad Scientists, statt durch ein wider aller Ethik zum Leben erwecktes Leichenpuzzle, per mutiertem Riesenwuchs Opfer ihrer eigenen Arbeit und setzen während eines Unfalls auch gleich eins ihrer zu groß geratenen Haustiere frei - die titelbestimmende Tarantel.

Dabei gibt sich Tarantula zu jeder Sekunde der Low-Budget-Gattung zugehörig. Geschickt gestaltet der Film zunächst einen einfachen Schock zu Beginn, als die verzerrte Fratze des ersten Opfers im Bild erscheint. Gleichwohl steht der Film aber auch sich selber im Wege, wenn er den eigentlichen Star, nämlich die Spinne, viel zu wenig in Erscheinung treten läßt.
Es mag sein, daß ein damaliges, junges Publikum bei der kurz über den Berg krabbelnder Achtbeiner für die wohl bezweckte Suspense anfällig war. Heutzutage fällt es auch Arachnophobikern schwer, bei den aus finanziellen Gründen auf wenige Morde im Off und ein paar schlechten Nahaufnahmen von Spinnenbeinmodellen nicht zu schmunzeln. Zwar ist die einkopierte, echte Tarantel wesentlich realistischer als bei technisch wirklichem Schlock wie Angriff der Riesenspinne, beruht aber auf einem Prinzip, mit dem Georges Méliès schon zum Ende des 19. Jahrhunderts arbeitete.

Nun eignen sich mutierte Kreaturen kaum für ein tiefsinniges Drama wie Der Tag, an dem die Erde still stand, sondern müssen sich der Konkurrenz mit Spektakeln wie Panik um King Kong oder Godzilla stellen, die ebenfalls bereits bewährte Methoden für ein deutlich ausgefeilteres Remmidemmi nutzen.
Wem Tarantula heute als Kultfilm angeboten wird, der darf seine Erwartungen jedoch nicht auf entsprechendes Getöse stützen. Wir haben es mit einem Exponat amerikanischer Minimal-Kino-Tradition zu tun, die sich allerdings in ihrer Qualität noch deutlich von der minderwertigen Machart eines Die Braut des Gorilla oder Plan 9 from Outer Space abzuheben weiß.

Unfreiwilliger Komik entbehrt aber auch dieser Film nicht, muß die Spinne doch zu sympathischem Overacting einem streng linearen Kurs folgen, auf dem sie von Feuerwaffen über Dynamit bis Raketen gepeinigt wird, bis die Protagonisten in geschätzter Entfernung von 50 Metern dem finalen Napalm-Bombardement durch einen aus nachvollziehbaren Gründen als Bomberpilot nicht erkennbaren, jungen Clint Eastwood nah genug beiwohnt haben müßten, um nicht nur dessen Geruch am Morgen lobpreisen zu können.
Man muß sich also ein wenig in diesen infantilen Spaß einfühlen und sollte sich zumindest an Logiklöchern erfreuen können, wenn ein Doktor im Flugzeug mit einer Probe Tarantelkotze zur Laboranalyse abhebt, aber ein Riesenvieh, welches in der Lage ist, ein Haus zu plätten, nichtmal als Schatten im Augenwinkel entdeckt.

Da heute aber auch kein H.G. Francis mehr dafür sorgt, die Jugend mit einer Adaption von Tarantula oder dem als hochwertiger einzuschätzendem Formicula in seiner Gruselserie unter den Europahörspielen für klassische Horrorstoffe vorzukonditionieren, dürfte es für jüngere Generationen, denen die amerikanische Einöde weit vor Einführung des Mobiltelefons durch Lassie auch kein Begriff mehr sein dürfte, schwer sein, eine Empathie für so weit von der heutigen Welt entfernte Szenarien zu entwickeln. Wünschenswert wäre es, allein schon um ein Gefühl für die rasante Entwicklung der letzten Jahrzehnte auszubilden und die Vorbilder von Filmen wie Arac Attack aufzuspüren.
Dabei bleibt Tarantula aufgrund seiner Limits für blutige Anfänger ein zweischneidiges Schwert, ist aus einer repräsentativen Monster- und Horrorsammlung jedoch nicht wegzudenken. Irgendwann muß also der Tag kommen, an dem der ambitionierte phantastische Cineast dieser Riesenspinne begegnen sollte.

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