Zaghaftes Tigergebrüll - Chuck sucht noch den Norris
Chuck Norris fährt Ski und trägt eine farbenprächtige Bommelmütze. Wenn ein solches Bild exklusiv und prominent im Kopf bleibt, dann ist das kein gutes Zeichen für die Qualität des Films. Und tatsächlich ist Norris erste Kinohauptrolle ein eher müder Agententhriller von der Stange. Die spätere B-Movie-Legende hatte ihre ikonische Leinwandpersona noch nicht gefunden und war noch in der Experimentierphase. Ganz konkret bedeutet dies: er ist zu oft verwirrt, er redet zu viel, er kämpft/schießt zu wenig.
Als ehemaliger Karatechampion mit hoch fliegenden Leinwandambitionen war aller Anfang natürlich schwer. Die vor allem monetär fixierte Filmbranche hatte nicht gerade auf einen Haudrauf-Sportler ohne Schauspielerfahrung gewartet, sein Marktwert musste erst mal bewiesen werden. Nach harter Überzeugungsarbeit, bei der er hauptsächlich seine Reputation als bekannter Sportstar in den Ring warf, konnte Norris die Entscheidungsträger beim aufstrebenden Independent-Studio American Cinema überzeugen. Das Projekt mit dem knackigen Titel BLACK TIGER war in trockenen Tüchern.
Und Norris konnte sogar schon mit einer Story aufwarten. Zusammen mit John Robertson, einem seiner langjährigsten Kampfsportschüler, hatte er den Rumpfplot um ein militärischen Spezialkommando (Black Tiger) entwickelt, dessen Mitglieder Jahre nach der Auflösung sukzessive ermordet wurden. Nach etwas Feinschliff von einem befreundeten Autoren stand bereits ein Gros der späteren Filmhandlung. Die dreht sich im allgemeinen um politische Ränkespiele in den Nachwehen des Vietnam-Krieges und im speziellen um den ehemaligen Black Tiger-Kommandanten John T. Booker, der die Hintermänner der Auftragsmorde aufspüren und dingfest machen will.
Natürlich versuchte man auch Norris besondere Martial Arts-Fähigkeiten einzubauen, aber in erster Linie handelt es sich bei BLACK TIGER um einen politischen Thriller mit Actioneinlagen, also praktisch die umgekehrte Gewichtung wie bei den späteren Norris-Werken. Das muss per se kein Problem sein, angesichts der sehr speziellen Stärken des Stars fuhr man hier allerdings im Risikobereich. Im ersten Filmdrittel, das die letzte Mission der Black Tiger in Vietnam zeigt, ist er noch in seinem Element. Mit John Booker als auf eigene Faust ermittelnden Politik-Professor stößt er allerdings sehr schnell an seine Grenzen. Hier muss er nicht nur den eloquenten Hochschullehrer geben, sondern auch noch Gefühle wie Trauer, Wut und Liebe zeigen, was teilweise unfreiwillig komisch wirkt, da er entweder völlig übertrieben oder fast schon unbeteiligt reagiert.
Auf Produzentenseite wusste man wohl um die möglichen Fallstricke und gab das Projekt in die bewährten Hände von Ted Post. Der hatte nicht nur reichlich Erfahrung bei diversen TV-Filmen gesammelt, sondern auch die beiden Clint Eastwood-Hits HÄNGT IHN HÖHER (1967) und
CALAHAN (1973) inszeniert. Post verordnete dem hypernervösen Norris erst einmal einen intensiven Schauspiel-Crashkurs und beruhigte ihn zusätzlich mit gestandenen Co-Stars wie Anne Archer und James Franciscus. Im Großen und Ganzen ging Post Deeskalationsstrategie auf und Norris hielt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten recht wacker.
Problematischer ist allerdings der Thriller-Plot, der nie so richtig in die Gänge kommen will. Die Mörderhatz und Ermittlungsarbeit von Professor Booker und Reporterin Margaret (Archer) plätschert höhepunktslos vor sich hin. Immer wieder bremsen lange Dialogpassagen die kurzfristig aufkeimende Spannung aus und verkomplizieren die im Kern relativ simple Verschwörungsgeschichte. Ted Posts behäbige Inszenierung (offenbar hatte ihn die viele TV-Arbeit eingeschläfert) und die nach dem temporeichen Auftakt nur noch sporadisch eingestreuten Actionszenen machen den 90-Minüter zu einer recht zähen Angelegenheit.
Natürlich lässt ein Budget von ungefähr $1 Million keine Großtaten wie im ein Jahr zuvor entstandenen Bondfilm
THE SPY WHO LOVED ME ($13,5 Millionen Budget) zu. Im direkten Vergleich wirken allerdings Skiszenen, motorisierte Verfolgungen und Massenschießereien frappierend schwächer, zumal man bei Locations und Cast erheblich billiger fuhr. Post setzte auch viel zu wenig auf Norris Kampfsport-Qualitäten. In Erinnerung bleibt einzig ein allerdings spektakulärer Sprung durch die Windschutzscheibe eines fahrenden Autos. Ironischerweise führte der ansonsten beinahe alles selbst machende Norris diesen Stunt gar nicht persönlich aus, sondern ließ seinen jüngeren Bruder Aaron ran, der als Stuntman schon einen ausgezeichneten Ruf besaß und im weiteren Verlauf an fast alles Projekten Chucks (vor allem als Kampfchoreograph und Stuntkoordinator) beteiligt sein sollte.
Den diversen Schwächen zum Trotz spülte die Lowbudget-Produktion sagenhafte $20 Millionen in die amerikanischen Kinokassen. Norris war in einer regelrechten Tour die Force durchs ganze Land getingelt und hatte den Film auf allen nur erdenklichen Plattformen und Veranstaltungen beworben. Und das sollte ich auszahlen. So wurde der Film nach seinem Siegeszug durch ländliche Regionen wenig später auch breiter gestartet und dem einträglichen Großstadtpublikum zugänglich gemacht. Zwar war der griffige Titel GOOD GUYS WEAR BLACK deutlich cooler als der dazugehörige Film, aber Norris hatte eindrucksvoll bewiesen, dass es eine nicht unerhebliche Nachfrage in Bezug auf Martial Arts-orientierte Stoffe gab und der mit dem Tod von Bruce Lee prognostizierte Genre-Untergang etwas voreilig gewesen war.
Für den unsicheren Schauspieler Norris war es die Bestätigung auch abseits reiner Kampfsportszenarien auf der Leinwand bestehen zu können und damit ein wichtiger Schritt auf seiner Karriereleiter. Klar wurde aber auch, dass seine filmische Zukunft nicht unbedingt in dialoglastigen und emotional fordernden Rollen liegen würde. Der aufrechte Held wider Willen bedurfte also noch etwas Feinschliff, was in diesem Fall eher einen Grobschliff meint. Bereits mit seinem nächsten Projekt
A FORCE OF ONE (mit dem fast noch schöneren deutschen Titel DER BULLDOZER) machte er sich diesbezüglich an die Arbeit.