„The dark Biker - dänische Tristessen"
Selbstjustiz ist en vogue. Nicht im realen Leben, aber im Film. Nach einer Hochphase in den 1970er und frühen 1980er Jahren war es lange Zeit ruhig um den vigilanten Einzelgänger gewesen. Vereinzelt befriedigten sie immer mal wieder ihren Rachedurst, aber seit ein paar Jahren erhöhen sie massiv ihre Schlagzahl. Mit Kevin Bacon („Death Sentence"), Jodie Foster („Die Fremde in Dir"), Liam Neeson („96 Hours"), Hugh Jackman („Prisoners"), Denzel Washington („The Equalizer"), Keanu Reeves („John Wick") und jüngst Bruce Willis („Death Wish") griffen immer mehr namhafte Stars zur Waffe und holten das Genre aus der Schmuddelecke reaktionärer Videotheken-Hinterzimmer. Der Zeitgeist hatte sich offenbar gedreht, denn solche fimischen Wellen sind auch immer ein Abbild ihrer Entstehungszeit. Warum das so ist, mögen Soziologen klären und erforschen, aber eine zunehmende Unsicherheit im öffentlichen und privaten Raum vieler westlicher Gesellschaften mag ein Erklärungsansatz sein. Das gilt selbst für den bei diesem Sujet eher unterrepräsentierten europäischen Film.
Es ist kein Zufall, dass hier vor allem das skandinavische Kino eine Vorreiterrolle einnimmt, ist es doch schon länger dafür bekannt, vor kompromisslosen Stoffen und expliziter Gewalt nicht zurück zu schrecken. Der dänische Vigilanten-Thriller „Darkland" vereint beides zu einem ebenso intensiven wie schonungslosen Filmerlebnis. Vieles erinnert dabei an das Genre-Urgestein „Death Wish" ("Ein Mann sieht rot"). Auch hier wird ein gut situierter und gesellschaftlich bestens integrierter Musterbürger unvermittelt mit brachialer Gewalt im engsten Familienkreis konfrontiert. Auch er vertraut zunächst den örtlichen Behörden und muss in zunehmender Ohnmacht feststellen, dass diese nicht sonderlich an der Aufklärung des Falles interessiert sind. Zu vage sind die Hinweise, zu unübersichtlich das Milieu in dem sie ermitteln müssten. Schließlich weicht die Hilflosigkeit immer mehr blinder Wut, die in einem gnadenlosen Rachefeldzug kulminiert, bei dem weder Freund noch Feind ungeschoren bleiben.
Zu den bekannten und fast schon archetypischen Plotelementen zieht „Darkland" aber noch eine weitere Ebene ein, die sich den aktuell so brisanten Themen Migration und Parallelgesellschaften annimmt. Der erfolgreiche Chirurg Zaid (Dar Salim) ist ein Sohn irakischer Einwanderer. Während seine Eltern nie so richtig in der dänischen Gesellschaft angekommen sind, hat er es in dieser Hinsicht weit gebracht. Er hat einen angesehenen und gut bezahlten Beruf, wohnt in einem hochmodernen Wohnblock mit Panoramablick über Kopenhagen, ist mit einer Dänin verheiratet und zählt zahlreiche Vertreter der städtischen Oberschicht zu seinen Freunden. Sein jüngerer Bruder Yasin allerdings ist nie aus dem Migranten-Ghetto rausgekommen, in dem sie aufgewachsen waren. Längst ist er auf die schiefe Bahn geraten und verdingt sich als Handlanger des brutalen Unterwelt-Fürsten Semion. Als er nach einem missglückten Bankraub den Bruder um finanzielle Hilfe bittet, lehnt der genervt und kategorisch ab. Am nächsten Morgen liegt Yasin mit lebensgefährlichen Verletzungen auf der Intensivstation. Wenig später stirbt er.
Regisseur und Autor Fenar Ahmad ist selbst irkakischer Herkunft und kam im Alter von 5 Jahren nach Dänemark. Die düstere Schilderung eines Kopenhagener Problemviertels in dem Verbrechen, Gewalt, Drogen und eine virulent aggressive Machokultur den Ton angeben, steht damit kaum im Verdacht tendenziöser Verunglimpfung, zumal man ähnliche Milieus aus zahlreichen europäischen Metropolen kennt, zuvorderst aus Paris, London und Berlin. Zugleich ist auch sein Blick auf gelungene Integration im Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Kulturen autobiographisch geprägt und wirkt in seiner unprätentiösen Darstellung absolut authentisch.
Abgesehen von dieser klug eingewobenen politischen Komponente, ist „Darkland" aber in allererster Linie ein packender Rache-Thriller. Von Beginn an schafft Ahmad eine fiebrig-bedrohliche Atmosphäre und zieht den Zuschauer zusammen mit Zaid sukzessive und unaufhaltsam in die Dunkelheit. Mit pumpenden Electro-Beats, einer kalten, farbentsättigten Optik und einer sehr ruhigen, aber ungemein fokussierten Plotentwicklung erzeugt er eine Intesität aus der es kein Entrinnen gibt. Wenn dann ab der Filmmitte die Gewalt explodiert ist sie von einer rohen Härte, die fast schon zwangsläufig scheint. Zaid jedenfalls hat sich innerlich Stück für Stück von seinem bürgerlichen Leben verbschiedet und rast als schwarz vermummter Motorrad-Rächer durch das nächtliche Kopenhagen. Eigentlich müsste er für seine hoch schwangere Frau da sein, aber seine Seele hat sich längst der Düsternis ergeben. Es ist dies ein großes Verdienst des Films, dass sich Ahmad hier nicht in den Coolness-Fallstricken verheddert, die an allen Ecken und Enden lauern. Zaids Vigilanten-Werdung - hartes Box- und Schusswesten-Training, schwarzer Kampfanzug und sebst verbareichte Adrenalinspritzen - wandert auf einem schmalen Grad, aber die raue, lakonische Inszenierung im Verbund mit Dar Salims eindringlichem Spiel verhindert relativ souverän das drohende Action-Fest. Ein solches würde auch nicht zum durchweg melancholischen und hoffnungslosen Grundton passen, denn dass Zaid aus diesem Szenario als irgendeine Art von Gewinner hervorgeht, scheint nie als Option auf. Der Titel ist absolutes Programm und Ahmad zieht dieses auch konsequent bis zum bitteren Ende durch.
„Darkland" war ein Kinohit in seiner dänischen Heimat, was viel über die Brisanz der Thematik aussagt. Er ist kein leicht konsumierbarer Film, kein cooler Actionreißer wie viele der eingangs genannten Hollywood-Kollegen. Anders als jüngst Eli Roths missglückter Reboot-Versuch („Death Wish"), kommt er dem Genre-bildenden Charles Brosnon-Original deutlich näher als ein Gros der zahllosen Epigonen. Der sozio-kulturelle Subtext mag nicht im Vordergrund stehen, hebt ihn aber dennoch aus der Masse der Revenge-Thriller hervor. Eine gelungene Kombination aus Anspruch, Unterhaltung und versiertem Genre-Kino. Und das „Made in Europe". Das Abendland scheint also noch nicht verloren, auch wenn „Darkland" hier inhaltlich einige Zweifel säht.