Season 2
Dass die Jubelarien, die in seltener Eintracht sowohl von Kritikern wie auch von Zuschauern auf die erste Staffel der Crime-Serie „True Detective" angestimmt worden waren eine ordentliche Hypothek für die zweite Season sein würden, war absehbar. Zumal die Showrunner um Erfinder Nic Pizzolatto ein ungewöhnliches Konzept verfolgten. Außer Titel und Genre sollte alles ausgetauscht werden, was die Serie so einzigartig gemacht hatte.
So wechselte man von der schwül-morbiden Atmosphäre Louisianias ins sonnige Kalifornien, verdoppelte die Anzahl der Protagonisten von vier auf zwei und ersetzte die Jagd auf einen Ritualmörder durch ein undurchsichtiges, aber auch weniger nervenaufreibendes Dickicht aus Wirtschaftskriminalität und Korruption.
Die vermeintlich größte Hypothek bei all diesen Veränderungen war sicherlich der Verzicht auf Mathhew McConnaughey und Woody Harrelson, deren darstellerische Glanzleistungen eines der faszinierendsten Ermittler-Duos der Filmgeschichte hervor brachten, welches hinsichtlich der messerscharfen Sezierung charakterlicher (Un-)Tiefen und menschlicher Abgründe neue Maßstäbe setzte.
An dieser Messlatte konnten Colin Farrell, Taylor Kitsch und Rachel McAdams praktisch nur scheitern, was ihnen dann folgerichtig auch von zahlreichen Negativ-Rezensionen bescheinigt wurde. Oberflächlicher, uninteressanter und eindimensionaler seien ihre Darbietungen, weniger verwoben und sich gegenseitig fordernd ihr Zusammenspiel.
Auf den ersten Blick mag dies zutreffen. Colin Farrell gibt den desillusionierten, korrupten Detective Ray Velcoro beinahe schon klassisch als mürrischen Einzelgänger im Knitterlook. Da er zudem weit introvertierter agiert als Harrelson oder McConnaughey, wirkt seine Figur zunächst weniger komplex. Eine Fehleinschätzung, für dessen Revidierung es allerdings Ausdauer und genaueres Hinsehen bedarf. Denn hinter dem traurigen Dackelblick Farrells lauern ebenfalls tiefe Abgründe, die Schicht um Schicht frei gelegt werden. Als seine Frau von einem Unbekannten brutal vergewaltigt wurde, spürte Velcoro den Peiniger mithilfe eines Tips auf und verübte Selbstjustiz. Der Hinweis kam vom örtlichen Gangsterboss Frank Semyon (Vince Vaughn), mit dem ihn seither ein Abhängigkeitsverhältnis verbindet, aus dem es kein Entrinnen gibt. Längst ist seine Ehe ein Trümmerhaufen und Hochprozentiges ein ständiger Begleiter. In der Spur hält den todesehnsüchtigen Velcoro lediglich sein ihm gänzlich unähnlicher Sohn, was den Verdacht nährt, er könnte einen anderen Vater haben.
Auch Ani Bezzerides ist eine zutiefst ambivalente Figur, die sich erst nach und nach als solche entpuppt. Als übereifriger und tougher Sheriff ist sie krampfhaft bemüht, sich nicht nur auf ihr gutes Aussehen reduzieren zu lassen. Weit mehr macht ihr allerdings ein unverarbeitetes Kindheitstrauma zu schaffen, das im Verlauf des Kriminalfalls wieder intensiv hervorbricht und ihre Ermittlertätigkeit stark gefährdet. Rachel McAdams spielt diese ebenfalls zerrissene Figur als verbissenen Kontrollfreak, die sich einen Schutzpanzer aus Kaltschnäuzigkeit und Selbstdisziplin zugelegt hat, der sich langsam aufzulösen beginnt.
Der dritte im Bunde der verlorenen Polizisten-Seelen ist Streifenbulle Paul Woodrugh. Äußerlich gibt er den coolen Motorrad-Cop mit Karriereambitionen. In Wahrheit ist er aufgrund seiner unterdrückten Homosexualität vom Selbsthass zerfressen. Taylor Kitsch kreiert mit dem gehetzten, cholerischen, aber auch virilen Woodrugh die zugänglichste Figur des Ermittler-Trios, ein Mann, der stets nur das Richtige tun will, aber es nicht schafft, sich selbst zu akzeptieren.
Zynismus, Pessimismus und seelische Deformationen prägen also auch die zweite True Detective-Besetzung, vielleicht weniger expressiv und ausladend, aber nicht minder bedrückend und tiefschürfend. Alle drei sind Verlierer und bei ihren Vorgesetzten auf der Abschussliste. Deswegen setzt man sie gemeinsam auf denselben Fall an, in der Hoffnung und dem Glauben, dass sie nichts erreichen, geschweige denn aufdecken. Der Mord an dem Kommunalpolitiker Ben Caspere hängt mit tiefsten Verstrickungen lokaler Größen der kalifornischen Industriestadt Vinci in einflussreiche, kriminelle wie politische Kreise der nahe gelegenen Metropole Los Angeles zusammen. Es geht um zwielichtige Finanzgeschäfte und ambitionierte Verkehrsprojekte, an deren Umsetzung zu viele Machenschaften finanzkräftiger Persönlichkeiten wie auch diverser Behörden hängen, um diese durch weitreichende Ermittlungen zu gefährden.
Man hat der zweiten Staffel vorgeworfen im Dickicht all der Nebenstränge, der zahlreichen auftretenden Figuren und der Komplexität des Kriminalfalles den Überblick verloren zu haben, bzw. dem Publikum einen solchen nicht zu verschaffen. Vielleicht ist man mit dieser Undurchsichtigkeit aber auch ganz bewusst weitaus näher an realen Begebenheiten, als manchem Zuschauer bewusst ist. Gemeinsam mit den drei Ermittlern scheitert man an dem Versuch, sämtliche Handlungsfäden vollständig aufzudröseln, was auch eine Form der Empathie darstellt. Zudem muss man zugeben, dass diese vermeintliche Schwäche auch schon ein Problem der plottechnisch weitaus simpler angelegten ersten Staffel war, die vor allem gegen Ende zu erzählerisch ins Stolpern geriet. Hier wie da geht es aber in erster Linie um den schonungslosen Blick in malträtierte, verwundete, abgründige Polizistenseelen, ein düsteres Faszinosum, dass auch „True Detective 2" ausgiebig bedient.
Wieder trägt dazu auch die optische Gestaltung entscheidend bei. Das fiktive Vinci fungiert als fünfte Hauptfigur, deren Verkommenheit sich in schäbigen Industrieanlagen, kargen Bürogebäuden und wenig einladenden Hinterhöfen manifestiert. Das typisch allgegenwärtige kalifornische Sonnenlicht, wirkt hier eher diesig als strahlend und die flirrende Hitze eher lähmend, denn angenehm wärmend, oder gar belebend. Ähnlich wie in der ersten Staffel liegt auch hier ein Hauch von Verwesung und Niedertracht über dem zentralen Handlungsort, eine brütende, bleierne Schwermütigkeit. Als Vorbild diente das für seine jahrzehntelange Korruption berüchtigte Vernon (nur wenige Meilen südlich von L.A. gelegen), dessen ikonischer Wasserturm auch in „True Detective" als Wahrzeichen dient.
Die digitalen Aufnahmen wirken weitaus kälter als in der Vorgängerstaffel, aber nicht minder finster. Eine Schlüsseleinstelllung ist dabei der Blick aus der Vogelperspektive auf einen Highway-Knotenpunkt. Immer wieder taucht das Bild sich überlappender, labyrinthartig angeordneter Schnellstraßen auf und visualisiert kongenial das unentwirrbare Dickicht aus Korruption und gegenseitigen Abhängigkeiten.
Die kühlen Nachtaufnahmen erinnern in Farbgestaltung, Ausleuchtung und Arrangement an die Großstadtthriller Michael Manns, ohne aber dessen ästhetische Wucht zu erreichen. Alles wirkt irgendwie miefig provinziell und deutlich weniger panoramaartig. Vinci erscheint so als zurück gebliebener Hinterhof der Stadt der Engel, ein Hinterhof, der den Anschluss verpasst hat und nun endgültig auf der Strecke zu bleiben droht.
Dazu passend starren die Protagonisten häufig ins Leere, schweigen sich gefühlt minutenlang an, oder sitzen verloren in spärlich eingerichteten Motelzimmern, halb verlassenen Büros, oder schummrigen Bars. Der allgegenwärtige Verfall, die desillusionierende Stagnation werden förmlich greifbar. Nur selten entlädt sich die bedrückende Atmosphäre in eruptiven Gewalt-Ausbrüchen, dafür dann aber drastisch.
Mehr noch als bei der ersten Season, sollten die acht Folgen möglichst am Stück, oder zumindest in geringen Abständen gesehen werden, denn nur so wird man in das Szenario regelrecht hineingesogen und verliert auch nicht so leicht den Faden bei der Vielzahl an Handlungssträngen und auftretenden Figuren. Dabei geht es weniger darum den bewusst komplexen Plot zu entwirren, sondern die Gefühls- und Gedankenwelt der Hauptcharaktere zu erkunden, die von Folge zu Folge immer elaborierter ausgebreitet und offen gelegt wird.
„True Detective 2" ist letztlich eine nicht minder faszinierende Reise in die Finsternis versehrter Polizistenseelen wie der gefeierte Auftakt. Vielleicht etwas anstrengender zu entschlüsseln, etwas mühevoller zu konsumieren und dialogisch häufiger ins Abseits trudelnd. Aber auch hier fügen sich visuelle Gestaltung, Figurenentwicklung, Schauspiel und Story-Telling zu einer kunstvoll arrangierten Einheit, die auch im heutigen Qualitätsfernsehen eine Ausnahmeerscheinung ist. Vielleicht kein neuerliches Meisterwerk, aber meilenweit über dem Durchschnitt. Das Konzept der totalen Veränderung auf möglichst vielen Ebenen mag als unnötiges Risiko viele vor den Kopf gestoßen haben. Das Resultat indes bestätigt diesen künstlerischen Wagemut und ebnet den Weg für weitere Detektive-Geschichten abseits ausgetretener Pfade.
(8/10)