Review

Staffel 1

„True TV"

Dass Fernsehen inzwischen das bessere Kino sei, geistert bereits seit Jahren durch Feuilletons, Internetforen und private Gesprächsrunden. Tatsache ist, dass mit dem keineswegs uneigennützigen Beschluss zahlreicher US-amerikanischer PayTV-Kanäle ihren Abonnenten exklusive Programme zu bieten, eine neue Ära das Fernsehens eingeläutet wurde. Dadurch, dass man als Bezahlsender nicht unter die Aufsicht der Zensurbehörde FCC fiel, entstanden enorme Freiräume hinsichtlich des Zeigens von Sex, Gewalt und derber Sprache, die man auch weidlich ausnutzte. Kombiniert mit enormen Budgets sowie anspruchsvollen und intelligenten Drehbüchern, konnte man teuren Kinoproduktionen nicht nur Paroli bieten, sondern diese auch in bestimmten Bereichen klar übertrumpfen.

Als Speerspitze dieser Entwicklung gilt der Bezahlsender HBO, der mit Serien wie „Sex and the City", „The Sopranos" oder „The Wire" um die Jahrtausendwende das Fernsehen revolutionierte und auch heute noch - u.a. mit dem Fantsay-Hit „Game of Thrones" - zu den künstlerisch ambitioniertesten und erfolgreichsten Serienproduzenten zählt.
Dass man dennoch keineswegs gewillt ist, sich auf den eindrucksvollen Lorbeeren auszuruhen, sondern immer wieder neue Wege sucht, um die besonderen Möglichkeiten des TV-Formats voll auszuschöpfen, beweist HBO aktuell mit dem bahnbrechenden Crime-Format „True Detective". Hier hat man hinsichtlich Narration, Dialogen, Charakterentwicklung und optischer Gestaltung einen Grad an Perfektion erreicht, der eigentlich nicht mehr zu toppen ist.

Dabei wirkt die zugrundeliegende Rahmenhandlung zunächst relativ simpel. Beschränkt auf lediglich 8 Episoden, folgt man zwei gegensätzlichen Ermittlern bei der Suche nach einem brutalen Ritualmörder durch Sümpfe, Mangrovenlandschaften und heruntergekommene Käffer des von den Nachwirkungen Katrinas gezeichneten Louisiana.
Schon in der ersten Folge wird allerdings sehr schnell deutlich, dass man es hier keineswegs mit einem üblichen Whodunit-Szenario zu tun hat. So wird der Mordfall in Rückblenden erzählt, die aus Sicht der beiden Protagonisten - Detective Rustin Cohle (Matthew McConaughey) und seinem Partner Detective Marty Hart (Woody Harrelson) - geschildert werden. Beide werden getrennt vom FBI zu dem 20 Jahre zurückliegenden Ereignissen befragt, da möglicherweise eine Verbindung zu einer aktuellen Mordserie besteht. Während Hart einen normalen Alterungsprozess durchlaufen hat, sitzt den Ermittlern mit „Rust" Cole ein körperliches und psychisches Wrack gegenüber, was sofort die Frage aufwirft, inwiefern die damaligen Untersuchungen dafür verantwortlich sein könnten.

Dieser unkonventionelle, aber enorm wirksame Spannungsaufbau wird durch die audiovisuelle Gestaltung nochmals gesteigert. Schon der Einstieg transportiert perfekt die Stimmung und Atmosphäre der folgenden 8 Stunden. Zu den Country-Klängen der düsteren Mörder-Ballade „Far from any Road" werden im Stil eines gothikartigen James Bond-Vorspanns Themen und Figuren des folgenden Films variiert. Verantwortlich für die Auswahl des bereits 10 Jahre alten Songs zeichnete Blues-Legende T Bone Burnett, der gerne für Filmproduktionen engagiert wird, die das ländliche Amerika als Setting haben (u.a „Oh Brother, Where Art Thou", „Walk the Line"). Für „True Detetctive" schrieb er die gesamte instrumentale Untermalung, die auf kongeniale Weise die düstere Erzählung und die nicht minder düsteren Bilder verstärkt.

Überhaupt die Bilder. Kameramann Adam Arkapaw präsentiert Louisiana als trübsinnige, brütende Einöde, als siechende, verwundete Landschaft, bei der Verfall und Niedergang allgegenwärtig scheinen. Man sieht abgebrannte, verlassene Kirchen und Schulen. Die Behausungen der einfachen Bevölkerung wirken schäbig und verwittert. Über allem schwebt eine bleierne Trostlosigkeit und resignative Grundstimmung. Hurrikan Katrina hat auch die Psyche des Landes verwüstet.
Setdesigner Joshua Walsh setzt dieser Düsternis noch die Krone auf, indem er nicht nur das verfallartige Interieur diverser Behausungen bis ins kleinste Detail arrangierte, sondern vor allem den „Kunstwerken" des Mörders - kleine Holzpyramiden, verziert mit Kleidungsfetzen und Spielzeugen seiner meist kindlichen Opfer - sowie seinem labyrinthartigen Unterschlupf - vollgestopft mit Schädeln,  verdorrten Zweigen und allerlei Phallussymbolen - einen verstörenden Anstrich aus Verwesung und Irrsinn gab. Die Tourismusbehörde Louisianas dürfte jedenfalls wenig Gefallen an „True Detective" finden.

In dieser alles umfassenden Tristesse bekommt es der bodenständige Hart mit einem neuen Partner zu tun, der wie eine Personifizierung der äußeren Umstände daher kommt. Wortkarg, zynisch, misanthropisch scheint er das genaue Gegenstück zu dem jovialen, redseligen und gerne auch mal einen kernigen Spruch absondernden Hart. Die Serie nimmt sich viel Zeit die beiden unterschiedlichen Charaktere zu sezieren, was ebenfalls gehöriges Spannungspotential birgt, da sich bei beiden quasi scheibchenweise Abgründe auftun bzw. Eigenheiten offenbaren, die nicht nur Auswirkungen auf ihre stets angespannte Beziehung, sondern auch den zu lösenden Fall haben.
Hier zeigen sich die großen Vorzüge des TV-Formats, bei dem man - anders als im Spielfilm - reichlich Zeit und Möglichkeiten hat, die handelnden Personen zu entwickeln und ihre Persönlichkeiten detailliert heraus zu arbeiten. Dazu braucht man allerdings ein entsprechend ausgefeiltes Skript und v.a. adäquate Darsteller. „True Detective" bietet in beiden Bereichen Höchstleistungen.

Showrunner und Drebuchschreiber Nic Pizzolatto orientierte sich bei den nihilistischen Bemerkungen und Erklärungen Cohles an anti-natalistischen, philosophischen Konzepten u.a. Nietzsches und Schopenhauers. Des weiteren finden sich viele Parallelen zu den Werken des zeitgenössischen Horror-Autors Thomas Ligotti.
Aber letztlich ist es die herausragende Leistung Matthew McConaugheys, die den autodidaktischen Pessimisten Cohle zu einer der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Ermittlerfiguren der Genre-Geschichte macht. Die Entwicklung dieser Figur im Verlauf von 20 Jahren zu beobachten ist teilweise spannender als der eigentliche Krimi-Plot. Dies ist aber auch ein Verdienst Woody Harrelsons, der praktisch als Antagonist fungiert, da der gesuchte Killer lange Zeit lediglich als Phantom existiert. Harrelson hat den auf den ersten Blick gewöhnlicheren, biedereren und mimisch damit undankbareren Part. Sicherlich ist Martin Hart weniger traumatisiert und durch seine Vergangenheit vorbelastet als Cohle, dennoch ist auch er ein komplexer Charakter mit allerlei dunklen Schattierungen, die von Harrelson messerscharf herausgearbeitet werden. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass beide Darsteller Glanzvorstellungen liefern, die sie auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zeigen.

Die übrigen Schauspieler verblassen naturgemäß neben solch Ausnahmeleistungen, allerdings wird ihnen auch erheblich weniger Raum zur Entfaltung geboten. Hin und wieder wurde „True Detective" auch Frauenfeindlichkeit vorgeworfen, da er den weiblichen Cast angeblich entweder auf frustrierte Ehefrauen, Prostituierte oder Schlampen mit Stalker-Allüren reduziert. Wahr ist, dass sämtliche Frauenrollen - das gilt auch für Harts Ehefrau Maggie (Michelle Monaghan) - nur Randfiguren bleiben, da die Geschichte klar und ausnahmslos aus der Sicht der beiden Cops erzählt wird, was schon die Rahmenhandlung durch die aktuelle Befragung vorgibt. Es gibt aber eben auch keine Sichtweise des Killers, der Polizisten-Kollegen, oder irgendwelcher anderen handelnden Figuren. Im übrigen fast alles Männer.
„True Detective" ist eine Reise in die Abgründe der menschlichen Psyche, eine Reise die man mit den und aus der Perspektive der ermittelnden Cops Hart und Cohle macht und die durch die Monstrositäten des Kriminalfalls zusätzlich an Wucht gewinnt. Kombiniert mit T Bone Burnetts unterschwellig aggressiver Musikuntermalung, Adam Arkapows unheilvoller, gemäldeartiger Optik und dem morbid-gruseligen Setdesign Joshua Walsh entsteht damit ein Gesamtkunstwerk, das selbst aus der eindrucksvollen Liste qualitativ hochwertiger HBO-Produktionen herausragt. Audiovisuell faszinierend, erzählerisch komplex und unkonventionell und darstellerisch fantastisch. Ein Meisterwerk.

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