Review

Die Farbe ist eine durchaus gelungene deutsche (!) Produktion. Warum das so ist will ich im Folgenden erläutern:

Vorab noch die Information, dass ich mich selbst durchaus als Lovecraft-Fan bezeichne und diverse Verfilmungen, Hörspiele usw. der zugrundeliegenden Story kenne.

Wie viele andere Lovecraft-Geschichten lebt die Geschichte von Lovecrafts ausschmückender Sprache, seinen vielen ausschmückenden Adjektiven, die Erwartung und Vorstellung so herrlich anzuregen vermögen. Deswegen ist es auch so schwierig seine Geschichten auf Leinwand zu bannen, da es äußerst schwierig ist das wirkungsvoll Beschriebene (einschließlich der bewusst gelassenen und ebenfalls wirkungsvollen Auslassungen) auch grafisch zu zeigen.

Die Verfilmung von 2019 geht hier in die Offensive (ähnlich einer anderen gelungenen Lovecraftverfilmung, nämlich Dagon) und macht aus der Not eine Tugend und klotzt mit grafischen Eindrücken bis tief hinein ins psychodelische. Wer mein Review der 2019er Version gelesen hat weiß, dass ich dieser durchaus wohlwollend zugetan bin. Perfekt ist sie aber freilich nicht. Sie krankt etwas am Erzähltempo, teils auch an den Figuren (im Nachgang hat mich hier die Tochter mit ihrem Witcher-Gebrabbel doch mehr gestört als ich dachte) und kleineren Schwächen im Drehbuch.
Einen dieser Schwächen teilt sie mit der Verfilmung von 2010 nämlich das Erzähltempo.

Die Farbe braucht eine ganze Weile bis die Protagonisten da sind wo sie gebraucht werden. Dann baut der Film sich in Form vieler Rückblenden aus mit einem deutschen Bauern, der lange als Sympathieträger daherkommt und auch daherkommen soll......bis zum Ende (möglich, dass hier auch eine politische Anspielung darin steckt, obwohl der Film vordergründig eher gradlinig ist).
Ganz im Gegensatz zur 2019 Verfilmung wurde hier statt grellen Farben schwarz-weiß gewählt - was im späteren Verlauf einen guten und effektiven Kontrast ergeben soll.

Das Geschehen baut sich behäbig auf bis der Komet kommt. Ab dann werden die oft gelungen Aufnahmen (besonders gelungen sind  häufig diverse landschaftliche Weitwinkelaufnahmen) auch durch wenig, aber gute Effekte flankiert, die mit der Zeit mehr werden bis zum Höhepunkt. Der Komet bringt allmähliche Veränderungen und das Familiengeschehen kippt in Isolation und Degeneration (Anspielungen auf möglichen Inzest der Bergbevölkerung?)- wobei sich ein Coup bis zum Schluss aufgespart wird.

Gelungen ist neben der Fotografie und der Farbgebung auch der Soundtrack und die Geräuschkulisse - tonal wird die 2019 Verfilmung aus meiner Sicht klar übertroffen. Klar- beide fahren ein unterschiedliches Konzept, aber das gluckern, plätschern, die gut eingesetzt Musik und teilweise auch die richtig plazierte Stille sitzen hier effektiver.
Beim vorläufigen Höhepunkt gibt es dann tatsächlich zwei starke, aber leider kurze Horrorszenen: der Zerfall der Mutter, aus deren Totenschädel die Farbe gleich Flammen sprüht und der Verfall eines anderen Familienmitgliedes, das aber nicht direkt gezeigt wird sondern es wird - sehr effektiv - die Sicht aus dessen wässrigen Augen gezeigt bis hin zum Zerfließen und ab dann ändert sich die Kameraperspektive wieder.
Hier sehe ich zeitgleich auch die Schwäche des Films. Nach dem langen Vorlauf hätte hier mehr kommen müssen als 5 Minuten Atmosphäre und zwei starke Szenen (Geldmangel?).
Diese Schwäche sucht der Film durch einen zweiten Höhepunkt auszugleichen. So erfahren wir kurz vor Ende, dass die Farbe gar nicht für den Tod aller Familienmitglieder der infizierten Farm zuständig gewesen ist. Den kleinsten Jungen hat doch tatsächlich - aus nicht erläuterten Gründen - unser Sympathieträger umgebracht durch Versenken im Brunnen.
Der dritte inoffizielle Höhepunkt ist die Farbe selbst, die buchstäblich und vielleicht auch als Anspielung gleich einem Samenerguss aus dem Brunnen bricht und sich zurück ins All ergießt (Anspielung auf Geburt? Urknall?).
Der Film endet gradlinig mit einer schönen Kamerafahrt vom Boden des Sees durch Abflussrohre bis zu einer Metropole und hinterlässt im Sinne Lovecrafts zumindest die Wahrscheinlichkeit offen, dass mehr von der Farbe verseucht wurden (nach einem möglichen Inzestseitenhieb auf die Landbevölkerung hier der mögliche Ausgleichhieb auf das dekadente und degenerierte Leben der Stadtbevölkerung?)
Sie sehen liebe Leser -in dem Film stecken viele Interpretationspunkte drin. Die verfilmung hat inhaltlich deutlich mehr Tiefgang als die 2019er Verfilmung und denn ist ihr Aufbau gradliniger was der Geschichte Lovecrafts stilistisch näher kommt.
Wo die 2019er Verfilmung dagegen punktet ist ein längeres, grafisch  bedrückenderes Finale und eine durchaus sehr gelungene grafische Anspielung an das außerirdische Lovecraftuniversum. Das kann und will die 2010er Verfilmung nicht bieten.

Unterm Strich sehe ich die 2010er Verfilmung aber minimal vorne und aktuell als beste Verfilmung des Stoffes; ergo gute und verdiente 7,5 Punkte und eine klare Empfehlung für Lovecraft-Fans, Fans des alten Grusels und durchaus auch Fans des tiefgündigen Films.

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