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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Hochzeit eines italienischen Genres – Giallo-Triple, Vol. III

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Una farfalla con le ali insanguinate (1971) & La corta notte delle bambole di vetro (1971) & La morte cammina con i tacchi alti (1971)

Im Herbst des Jahres 1971 brachte der giallo drei weitere Perlen des genuin italienischen Genres hervor, mit denen sich die Thriller-Spielart gut umreißen lässt, präsentieren diese drei Filme doch jeweils unterschiedliche drei Gesichter der Furcht. Der am 10. September 1971 uraufgeführte "Una farfalla con le ali insanguinate" Duccio Tessaris präsentiert sich schon in seinem Originaltitel als waschechter giallo, stellt dann aber eine Randerscheinung dar, die sich nah an den reinen Kriminal- und Gerichtsfilm heranwagt. Wer vom giallo eine stark stilisierte Nummernrevue fetischisierter Morde mit überraschender, psychologisch orientierter Pointe erwartet, wird sich hier vielleicht enttäuscht sehen: Solche Elemente, die den Kernbereich des Genres füllen, werden sehr verhalten eingesetzt, wohingegen die Wahrheitssuche im Gerichtssaal großen Raum einnimmt. Das kriminalfilmtypische Moment des Verkennens und Verfehlens wird hier etwas weniger als im giallo üblich auf die visuelle Ebene übertragen: Ein Spiel mit der sinnlichen Wahrnehmung und ihrer Fehleranfälligkeit führt die Zuschauenden ebendiese Fehleranfälligkeit nur selten vor Augen, um die Schwierigkeit der Wahrheitsfindung zu veranschaulichen. Und so beschränken sich die populären giallo-Motive auf einige Oberflächenreize (der behandschuhte Mörder mit Stichwaffe) und auf die gleich beim einleitenden Ort überdeutlich vor Augen geführte Zeugenschaft anwesender Ohren- und Augenzeugen, die sich jeweils – teils nichtsahnend – ihr Bild machen, das sich dann mit den Bildern der Anderen zu einem Gesamtbild fügen muss. In seinem Review geht buxtebrawler um diese am Kriminalfilm orientierte giallo-Form ein...
Im am 28. Oktober 1971 uraufgeführten "La corta notte delle bambole di vetro" Aldo Lados bewegt sich die giallo-Handlung hingegen in die Gefilde des Horrorfilms: Der erstklassig inszenierte, von Ennio Morricone großartig musikuntermalte und mit Ingrid Thulin, Jean Sorel, Mario Adorf und Barbara Bach hochkarätig betzte Film – in dem auch noch Jürgen Drews als Sänger in einer kleinen Minirolle zu erleben ist – schickt durchaus giallo-typisch einen US-Amerikaner in die Fremde: nicht nach Italien, sondern nach Osteuropa allerdings. In fremder Umgebung tappt er dann lange im Dunkeln, wenn er etlichen vermissten Personen nachzuspüren gedenkt: Die Verfehlung der Wahrheit gießt sich hier aber weniger in audiovisuelle, sinnliche Spektakel, sondern lässt das Okkulte und Unerklärliche als Bedrohung mehr und mehr Raum einnehmen, derweil jeder Halt gehörig ins Wanken gerät. Dass alles böse enden wird, darauf deutet der Film von Beginn an hin, wenn die Hauptfigur aus rätselhafter Todesstarre mit wachem Bewusstsein die eigene unglückselige Lage rekapituliert. Die gerne und völlig zurecht mit Nicolas Roegs "Don't Look Now" (1973) verglichene Geschichte treibt die Verfehlung, die Täuschung, den Irrtum aller giallo-Held(inn)en auf die Spitze: Das Verkennen der wahren Umstände führen hier zum völligen Zurückgeworfensein auf sich selbst, das die Hauptfigur von der sie umgebenden Welt nahezu vollkommen trennt: Die Subjektivität kann das Subjekt gehörig von der Welt entfremden. Und auch hier gibt es zwar nicht die stilistischen Extravaganzen, die die Aufmerksamkeit erst so richtig auf die Wahrnehmung selbst lenken, aber geradezu manisch setzt Lado das Blicken und Starren der Figuren in Szene: Schon der italienische Trailer kondensiert die Bedeutung der Blicke in "La corta notte delle bambole di vetro" mit Bravour... Und neben den Blicken der Figuren gibt es noch das Blicken der Kamera, die teils point of view shots liefert und spannende Fahrten mit sich bringt, auf die Jayson in seinem Review eingeht, das "La corta notte delle bambole di vetro" als giallo-Randerscheinung präsentiert.
Luciano Ercolis "La morte cammina con i tacchi alti", uraufgeführt am 30. November 1971, zählt mit Ercolis wüsterem "La morte accarezza a mezzanotte" (1972) zu den hierzulande zuwenig registrierten giallo-Klassikern: "La morte cammina con i tacchi alti" ist dabei bodenständiger als Ercolis darauffolgender giallo – und fällt in die Sparte des Psychothrillers, der blutige Mordreihen, Drohanrufe, Voyeurismus und viele Fährten zu einem aktionsreichen, von regelmäßigen Bedrohlichkeiten durchzogenen Kriminalfall voller fetziger Schockmomente vermengt. Dieser giallo fällt in eine Ecke des Genres, wenn man es etwas offener, ursprünglicher definiert, macht aber in den Augen vieler giallo-Fans erst den eigentlichen giallo aus, der kriminalistisches Rätselraten mit Erotik, Sadismus und Gewalt verbindet, der Täuschung große Bedeutung zuschreibt und dabei auch noch ganz gehörig auf audiovisuelle Reize setzt: Es gibt grelle, expressive Beleuchtungen in rot oder blau, es gibt stilisierte Bühnenshow-Einlagen, es gibt sinnliche Erkundungen weiblicher Körper(teile), die teils gerade – wie die rot zu lackierenden Zehennägel – für den voyeuristischen Blick geschmückt und verziert werden... und etwa zur Mitte des Films kommt es zu einem gewaltsamen Vorfall beim Augenarzt, bei dem genaues Hinsehen und völlige Blindheit einen extremen Gegensatz (ab)bilden – im Finale spielen dann Dunkelheit und Beleuchtung, Blendung und verschwommenes Sehen eine Rolle... Und die Täuschung umfasst nicht zum ersten Mal im Genre auch die geschlechtliche Identität. Den visuellen Reizen des Films widmet sich auch Frankie in seinem Review...


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