Henry V (1944)
Es waren wohl die flammenden patriotischen (und von Shakespeares ersonnenen) Reden des englischen Königs Heinrich V., die dazu führten, das gleichnamige Historienstück ausgerechnet in der heißen Phase des Zweiten Weltkriegs zu verfilmen: Hier war ein tatkräftiger Monarch, der sein zahlenmäßig weit unterlegenes Heer gegen eine Übermacht von arroganten ausländischen Feinden anführte – und siegte. Doch Laurence Olivier, der Initiator, Hauptdarsteller und Regisseur, brachte mit „Henry V“ zur Londoner Premiere am 22. November 1944 weit mehr als einen schlichten Propagandafilm in die Kinos, sondern vor allem die vorzüglich gelungene Filmadaption eines damals bereits 350 Jahre alten Theaterstückes.
Zunächst mußten allerdings einige Ecken und Kanten von Shakespeares Königsportrait abgeschliffen werden, die schlecht in das gewünschte Bild eines vorbildlichen Regenten gepaßt hätten. Kürzungen sind allerdings Teil einer jeden Shakespeare-Adaption, der schwierige Teil besteht indessen darin, einen wortlastigen Theatertext in das visuelle Medium Film zu überführen. Hier leistet Olivier Großartiges, indem er eine dreistufige Bildästhetik einführt: Während der ersten halben Stunde erlebt der Zuschauer die historisch nachempfundene Aufführung einer elisabethanischen Theateraufführung mit spartanischer Bühne, lärmendem Publikum und sich hinter der Bühne schminkenden Schauspielern. Beinahe unmerklich verläßt sodann der Film die naturalistische Ebene und spielt in der zweiten Stufe in immer noch sichtbar künstlichen Kulissen, die in ihrer Flachheit und den falschen Perspektiven mittelalterlichen Buchilluminationen nachempfunden sind (etwa aus dem berühmten Stundenbuch des Duc de Berry). Hier ist nun Raum für intime Nahaufnahmen, insbesondere für die nachdenklichen Szenen vor der Schlacht, in denen der Kameramann Robert Krasker sich nicht an die Vorgaben der Technicolor-Berater hält und sehr dunkle Szenen filmt. Nach einer weiteren halben Stunde schließlich öffnet sich der Film für reale Landschaftsaufnahmen, vor denen die zentrale Schlacht von Azincourt inszeniert wird (gedreht wurde im vom Krieg wenig betroffenen Irland). Olivier hatte zuvor ausgiebig Eisensteins „Alexander Newski“ (1938) studiert, um die heranstürmenden französischen Reiter wirkungsvoll ins Bild zu setzen, und tatsächlich beeindrucken die langen Tracking Shots galoppierender Ritter in farbenprächtiger Rüstung auch noch heute. Hier läuft auch die Filmmusik von William Walton zu großer Form auf, die sich später als konzertante Suite langjähriger Beliebtheit in den britischen Konzertsälen erfreute.
Es spricht für den Schauspieler Olivier, daß er die Regie von „Henry V“ erst übernahm, nachdem mehrere gewichtige Regisseure abgesagt hatten. Immerhin führte der Erfolg dieses Projektes zu zwei weiteren Shakespeare-Verfilmungen von Olivier, die ebenfalls zu den Glanzstücken ihrer Gattung gehören („Hamlet“, 1948, und „Richard III“, 1955). Erst 1989 sollte die nächste nennenswerte Filmadaption des Stückes von Kenneth Branagh erfolgen, die vor allem die 1944 ausgesparten Grausamkeiten des Königs beinhaltet und damit ein notwendiges Gegenstück zu Oliviers Verfilmung darstellt, ohne diese überflüssig zu machen. Daß der Henry-Stoff weiterhin filmische Umsetzungen hervorbringt (allerdings ohne shakespearsche Dialoge), zeigte jüngst die Netflix-Produktion „The King“ (2019). Bei uns ist Oliviers „Henry V“ zwar erhältlich, jedoch nur als minderwertige Blu-ray-Ausgabe mit falscher Laufzeit (25 Bilder pro Sekunde, Fassungseintrag). Zu empfehlen ist daher die preisgünstige britische Blu-ray (Fassungseintrag) mit korrekter Bildrate und einem äußerst informativen Audiokommentar des Kritikers Bruce Eder.
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