Spalovac mrtvol (1969)
Die Filme der tschechoslowakischen Neuen Welle sind inzwischen recht gut im allgemeinen filmhistorischen Bewußtsein verankert. Anfang der 1960er Jahre war diese Erneuerungsbewegung von den Studenten der Prager Filmhochschule FAMU ausgegangen und hatte international Aufmerksamkeit erregt, bis 1968 das gewaltsame Ende des Prager Frühlings alles änderte. Viele Filme wurden in der Folge verboten und verschwanden für lange Zeit in der Versenkung, bis sie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erst langsam wiederentdeckt werden konnten. Genau dieses Schicksal widerfuhr „Spalovac mrtvol“, der zwar am 14. März 1969 noch in die Kinos kam, dann aber zumindest in der Tschechoslowakei für 20 Jahre nicht mehr zu sehen war.
„Spalovac mrtvol“ ist allerdings kein typischer Vertreter der tschechoslowakischen Neuen Welle, denn der Regisseur Juraj Herz war nur lose mit dem FAMU-Kreis verbunden – künstlerisch steht er dem Animationsfilmer Jan Svankmajer näher, mit dem er mehr als nur den Geburtstag teilt. Schon der Vorspann von „Spalovac mrtvol“, aber auch viele desorientierende Schnittfolgen, Nahaufnahmen und Kadragen macht dies deutlich. Gemeinsam mit Ladislav Fuks, dem Autor der gleichnamigen Buchvorlage, zeichnet Herz das faszinierend-abstoßende Portrait des mondgesichtigen Krematoriumsangestellten Kopfrkingl (Rudolf Hrusínský). Dessen erotisch-morbide Neigungen und scheinheilige Kleinbürgerlichkeit machen ihn im politischen Klima der 1930er Jahre zum perfekten Werkzeug für die deutschen Besatzer, die auch im sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren die Vernichtung der Juden anstreben. Fuks und Herz enthüllen im Fortgang des Films immer mehr Abgründe des zunächst bloß merkwürdig und opportunistisch wirkenden Leichenverbrenners, bis schließlich ein quasireligiöser Erlöserkomplex und zunehmende Wahnvorstellungen keine Zweifel mehr an Kopfrkingls Geisteszustand lassen. Diese Steigerung wird auf der Bildebene durch den zunehmenden Einsatz von Weitwinkelaufnahmen unterstützt, während Filmkomponist Zdenek Liska mit straussartigen Walzern die aus den Fugen geratende Innenwelt des Leichenverbrenners konterkariert. „Spalovac mrtvol“ versteht es wie kaum ein anderer Film, die unsäglichen Schrecken der europäischen Geschichte sowohl mit Motiven des Gothic Horror als auch mit Momenten des allerschwärzesten Humors zu verbinden.
Daß ein dergestalt reichhaltiger Film mehr als einmal gesehen werden muß, versteht sich von selbst. Daher kann das Label Bildstoerung nicht hoch genug gelobt werden, das „Spalovac mrtvol“ bei uns auf DVD sowohl als üppig ausgestattete Special Edition (Fassungseintrag) als auch in einer Vanilla-Edition (Fassungseintrag) herausgebracht hat. In HD-Qualität ist der Film aus Großbritannien vom Label Second Run zu beziehen (Fassungseintrag). Die OFDb-Kritik von Dr. Phibes stellt noch einige weitere Facetten heraus, die den „Leichenverbrenner“ bis heute so vielgestaltig schillern lassen.
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