2000 Filmkritiken!
Alle paar Jahre erreicht man als Autor den nächsten Meilenstein und rückblickend mosert man mehr, als daß man lobt – zumindest erscheint es einem so.
Anlaß genug also, um mal ausschließlich lobend in Erscheinung zu treten, sozusagen einen perfekten Film zu ehren, noch dazu einen der nicht nur persönlich positiv gefärbt ist, sondern das Prädikat auch von der professionellen Kritik hat verliehen bekommen.
Sprechen wir also von Anthony Shaffers „Sleuth“, ursprünglich ein Bühnenstück, das die Urform des Kriminalstücks in eine neue Dimension transportierte, indem Shaffer neben dem gewöhnlichen Plot die archetypischen Elemente aufzählte, ironierte, persiflierte, zitierte und neu anordnete.
Der Stück war sowohl in London als auch am Broadway ein großer Erfolg und da es sich um ein Zwei-Personen-Stück handelt, lag eine Verfilmung dieses Erfolgsstoffes natürlich nahe.
Shaffer baute aus seinem eigenen Stück ein Drehbuch, für die Regie verpflichtete man den theatererfahrenen Veteranen Joseph L.Mankiewicz (dessen letzte Regie dies war) und mit Laurence Olivier und Michael Caine hatte man brisantes Schauspielerpotential auf der Hand.
Aber man kann den Film nicht preisen, wenn man nicht en detail auf ihn eingeht, denn obwohl man die Erfahrung selbst gemacht haben muß und durch eine Beschreibung (die auch immer eine Beschreibung des Inhalts ist) viel verloren geht, was man selbst erleben muß, würde eine generelle Kritik immer nur sachte an der Oberfläche des raffinierten Plots dahinschweben. Dazu kommt der große optische Reiz einer einzigen Location, die sowohl heimelig wie bizarr wirkt und die Figuren samt und sonders in jeder Filmminute unterstützt.
„Sleuth“ ist das pure Theater und so ist es auch auf Film übertragen worden. Ein Landhaus, zwei Personen, einige perfide Pläne, Verbrechen und vor allem Rachegefühle, transponiert in einen pointierten, vielschichtigen Dialog, der mit so viel Spielwitz ausgeübt wird, daß gar nicht auffällt, daß die Figuren eigentlich nur ständig die Räume wechseln.
Aufgeteilt in drei Akte und eine Form von Epilog, bleibt die Form des Theaters mehr als gewahrt (das Stück hat nur zwei Akte), tatsächlich enden bei 132 Minuten Laufzeit die Akte 1 und 3 praktisch jeweils mit dem Stundenschlag, eine komprierte Erfahrung, präzise und termingenau wie so vieles in dieser Geschichte.
Setzen wir uns also aufrecht für den ersten Akt und dieser beginnt schon mit dem Vorspann, eine kleine Falle, wie so vieles hier. Was wir sehen ist ein düsterer Schatten einer Silhouette auf einer Ziegelmauer, doch die entpuppt sich bei der Kamerarückfahrt als Szenerie einer Miniaturbühne, die einen düsteren Ausschnitt aus (wie wir später erfahren) den Büchern von Krimiautor Andrew Wyke darstellt, den Abenteuern seines Helden St.John Lord Merridew. Während die Titel laufen, werden wir noch durch viele dieser düsteren oder hoffnungslosen Szenerien geführt, die nach Verbrechen aussehen, aber doch ihre Faszniation bewahren, während John Addisons famoses Titelthema, das tatsächlich verspielt, düster, krimiartig, zirkushaft, komisch, leichthändig und pompös zugleich ist an uns vorüber zieht.
Von dort an führt der Film dann den Zuschauer in die Irre und das beständig, es beginnt eine Irrfahrt zwischen Schein und Sein, dem was man sieht und dem, was eigentlich gemeint war – und es beginnt schon mit einer Besetzungsliste von Leuten, die wir in diesem Film nie sehen werden.
Das letzte Bild, daß wir sehen, ist schließlich die Fotografie eines idyllischen Landhauses und das verwandelt sich schlußendlich in eine echte Szenerie, die wieder nur Bühne sein soll.
Auf dieser Bühne begegnen sich nun zwei vollkommen unterschiedliche Menschen: der „very“ britische Krimiautor Andrew Wyke und der italostämmige Frisör Milo Tindle.
Wenn sie sich begegnen sind die Pferde bereits gesattelt, jeder weiß so gut wie der andere, was Sache ist.
Tindle (Caine) hat ein Verhältnis mit Wykes (Oliviers) Frau Marguerite und will sie heiraten, der Autor soll sein Einverständnis geben.
Doch das wird nicht geschehen, denn Wyke hat anderes im Sinn. Als britischer und erfolgreicher Gentleman, der es sich in seinem Leben gut eingerichtet hat, sieht er in dem Gast in Wirklichkeit einen Emporkömmling, einen Would-be, den man auf seinen Platz zu verweisen hat.
Schon das erste Zusammentreffen sagt viel von der Beziehung zueinander: Wyke hält sich in einem Gartenlabyrinth auf, in das Tindle vergeblich versucht, einen Weg zu finden. Das funktioniert nicht, weil das Innere nur durch eine Geheimtür zu erreichen ist. Wyke hat Heimspiel, er sitzt in seinem Allerheiligsten und er dominiert alles und diktiert sämtliche Schritte.
Tatsächlich lenkt er von nun an den ersten Akt ungeheuer subtil: Tindles unbritischer Drink ist nicht machbar, weil die Zutaten fehlen; das zwanglose Gespräch wird recht schnell emotional, erst werden leise Spitzen verteilt, dann macht sich Herablassung über die Herkunft und die Familie, den Beruf und die finanzielle Ausstattung des Frisörs breit. Dabei bleibt Wyke stets jovial, belustigt, amüsiert, leicht, doch ständig setzt er kleine Stiche, spielt mit Tindle Billard, ohne daß dieser je zum Stoß kommt, geht es doch hintergründig auch um einen sexuell motivierten Konflikt: der Liebhaber der Frau, der gehörnte Ehemann, der allerdings auch eine Maitresse hat, Altersunterschiede und sexuelle Potenz.
In diesem Spinnennetz verfängt sich Tindle unmerklich, das Haus, in das er gekommen ist, ist eine gewaltige Falle und spiegelt das Innenleben seines Inhabers wieder.
Wyke, mit seinen altmodischen Kriminalgeschichten in einer Art gekünsteltem Vaterstolz gefangen, ist ein Besessener, wenn es um Spiele geht. Die Zimmer sind vollgestopft mit Spielen jeder Art, Schach, Puzzles, Darts, Billard, sogar die Klowand enthält Kreuzworträtsel. Wo keine Spiele stehen, befinden sich dafür Spielautomaten oder Spieluhren, kleine turnende Puppen, ein flüsternder Türke (ähnlich einem Schachautomat) und nicht zuletzt eine lebensgroße mechanische Figur, die des lustigen Seemanns Jolly Jack Tar, der auf Knopfdruck ein röhrendes Lachen von sich gibt, wenn Wyke es braucht und Besucher erschreckt werden wollen. Somit hat der Autor sein eigenes Publikum, wenn niemand mehr mit ihm lacht.
Im Keller gibt es Dutzende von Nischen für die Miniaturszenerien, Kisten voller Kostüme stehen herum und Skelette springen aus dunklen Winkeln.
In dieser Oase gewollter Verspielt- und Künstlichkeit hat sich Wyke als menschlicher Anachronismus britischer Lebensart (sprich: Snobismus) eingerichtet, hier ist er König und die literarischen Klischees seiner Romane dienen ihm zum ironischen Spiel rund um die echte Realität, die er aussperrt.
Doch hier ist ein sehr komplexes Spiel am Laufen, denn nach einer ganzen Kaskade von Herablassungen, wird die Sache ernst – Wyke schlägt Tindle vor, einen Versicherungsbetrug zu inszenieren, bei dem es um versicherte Juwelen geht, da der Frisör aufgrund des verschwenderischen Lebensstils seiner Zukünftigen bald in Geldnot geraten wird. Daß mehr dahinter steckt, scheint Tindle nicht zu bemerken, nicht mal, als es um die Suche nach dem Safe geht, bei dem Tindle glaubt, die Lösung selbst zu finden, während Wyke ihn gespielt mit den Augen lenkt. Doch das geht in dem manisch-kindlichen Enthusiasmus, mit dem Wyke den Einbruch arrangiert, den Tresor sprengt, Tindle in ein Clownskostüm steckt und ihn ein Fenster einschlagen läßt, um schließlich den Wohnraum zu verwüsten.
Doch als es soweit ist, schlägt die Stimmung um: Wyke zückt einen Revolver und enthüllt seine tatsächlichen Pläne, nämlich die Szenerie als Stätte eines perfekten Mordes zu nutzen, die Tindle auch noch freiwilig mit aufgebaut hat – Andrews Ressentiments sind größer als gedacht, voller Verachtung schaut er auf den „Italiener“ herab, unfähig etwas freizugeben, was er sowieso schon verloren hat; ein Sadist, wie er im Buche steht.
Nach ausgedehnter Quälerei schließlich feuert er Tindle eine Kugel in den Kopf – und der erste Akt endet.
Der nun folgende zweite Akt wird, wie praktisch zu erwarten ist, alles auf den Kopf stellen.
Der Wind wird sich drehen, die arrogante Süffisanz sich gegen Wyke wenden, seine eigene Konstruktion fällt auf ihn selbst zurück.
Davon ahnt man aber noch nichts, als der leicht asthmatisch wirkende Inspektor Doppler erscheint, das scheinbare Spottbild des „langsamen“ Landpolizisten, über den sich Wyke während des Spiels und in seinen Romanen praktisch immer lustig gemacht hat.
Doch der brummige Plodder erarbeitet sich in der Folge, wie weilend Columbo, mit einem Hauch von scheinbar ständischer Unterwürfigkeit immer mehr Indizien, die nun wiederum darauf hindeuten, daß Wyke Tindle ermordet hat, obwohl dieser behauptet, es hätte sich nur um ein demütigendes Spiel und eine Platzpatrone gehandelt und Tindle sei wohlbehalten, wenn auch fertig, abgereist.
Doch Plodder verfängt sich weder in den romangeborenen Sottisen Wykes, noch zeigt er irgendeine Form des Humors auf, der Wykes Spitzfindigkeiten und Zitaten entgegenkommt. Der Versuch, mit dem Polizisten „zu spielen“ läuft immer wieder ins Leere, die Klischees verfangen nicht und die Situation und damit das Spiel wird für Andrew immer ungemütlicher und das auch seinem eigenen Terrain.
Seine einzige Ausflucht ist die Wahrheit zu sagen, doch jedes Geständnis bringt den Polizisten nicht von der Möglichkeit ab, das es sich hier doch um Mord gehandelt hat – Wykes Unterscheidung von „noble facts“ und „noble fiction“ verkehrt sich – die Wahrheit klingt wie Fiktion, die Polizei führt der Belustigung plötzlich eine moralische Note hinzu.
Mit einer pedantischen Seriösität sucht er Spur auf Spur zusammen und zieht daraus die unausweichliche Folge, die Wyke natürlich wie eine schlechte Szene aus einem seiner Romane vorkommen muß, ihm droht die Verhaftung.
Doch wieder dreht sich mit einer überraschenden Wendung der Wind – und Wyke muß erkennen, daß diesmal nicht nur mit ihm gespielt wurde, sein Gegenüber gibt sich auch nicht mit einem Unentschieden zufrieden, vielmehr setzt er auf vollkommene Zerstörung des Gegners; um diesen dann mit einem neuerlichen Mord zu konfrontieren, für den die Beweise im Haus versteckt sind, während die Polizei schon auf dem Weg ist. Es bleiben 15 Minuten, um die Beweise zu finden und zu zerstören...
Es wäre ein wahres Verbrechen, die finalen Winkelzüge dieses Films preiszugeben, denn die Wendungen der letzten 30 Minuten sind ein echt bösartiges Vergnügen, wer hier wen übertölpelt, reinlegt, bedroht oder wer den Bogen scheinbar oder echt überspannt.
Der Epilog, die finalen 10 Minuten sind dann der Moment, wo alle Hüllen fallen und aus Spiel Ernst wird und dann ist da plötzlich eine Leiche, ein Mörder und die mechanischen Automaten (die, wie die Kamera geschickt immer wieder zwischen Dialogpassagen suggeriert, die Unterhaltung und den Kampf der Männer unbewegt zu verfolgen scheinen), die mit einem Höllenlärm das Publikum zum genialen finalen Schachzug geben, ehe wie ein satanischer Schlußstrich ein Bühnenvorhang die Szenerie verdeckt.
„Spielen“, das ist hier das ganze Leben, zumindest für Andrew Wyke, doch wer hier nicht spielt, der kann nur verlieren und so spielen die Figuren, spielen die Akteure, führen sie ein Schauspiel auf, auf begrenztem Raum, in der Enge, stets beobachtet von den Augen der Automaten (die übrigens die wahre morbide Atmosphäre des Films ausmachen, vor allem wenn man den Film als Kind erlebt....), ein dauerndes Spiel um ihr Leben oder die Existenz, wie sie sie begreifen.
„Sleuth“ ist dabei ganz seinen Theaterwurzeln verpflichtet, wirkt aber in keiner Sekunde inszeniert oder offenkundig doppelbödig wie „Death Trap“ dies 10 Jahre später war. Mit verbalem Degen und Florett wird über zwei Stunden gefochten und man muß sich schon an diesen rasiermesserscharfen Dialogen erfreuen können, wenn die Figuren in offener oder versteckter Herablassung sich an ihrem Kontrahenten abreagieren, jede Geste ein Schlüssel, jeder Gesichtsausdruck eine Täuschung, jede Finte ein bitterer Zug.
Ein wunderbarer, ungewöhnlich und reizvoll ausgestatteter Film (der beinahe nur innen spielt) mit so vielen kleinen Details, daß man sich allein an dem Set kaum satt sehen will, mit einer oscarnominierten Besetzung, die sich das Leben aus dem Leib spielt.
Natürlich – ein bißchen sollte man dem Theater verpflichtet sein, sonst wirkt dieser bühnenhafte Film möglicherweise zu statisch oder konventionell, doch wer in die Geschichte eintaucht, wird mehr als reich beschenkt.
Sheer Brilliance, durch und durch. (10/10)