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„Sp(i)rit for the Masses" - eine familiäre „Crash-Celebration" mit Herz

Dieser Tage haben die britischen Synth-Rocker Depeche Mode ihr 14. Album veröffentlicht und mal wieder in unaufgeregter Selbstverständlichkeit weltweit die Charts gestürmt. Dieser Tage haben auch die amerikanischen Bleifuss-Rocker um Dominic Toretto ihr 8. Action-Vehikel an den Start gebracht und werden mit derselben Selbstverständlichkeit an die Box-Office-Spitze rasen. Ein absurder Vergleich? Nur auf den ersten Blick und der kann bekanntlich täuschen.

Mal ehrlich, welcher selbsternannte Musikkenner hätte in den 1980er Jahren prognostiziert, dass ausgerechnet die trotz aller Erfolge vom Mainstream als zu schräg, zu düster - also zu unpoppig - verschrieenen Sampling-Bubies aus einem Londoner Vorort fast 40 Jahre später reihenweise Fußballstadien füllen und regelmäßig vom Feuilleton gehätschelt werden? Und mal Hand aufs Herz, welcher überzeugte Filmkenner hätte Anfang der 2000er die steile These vertreten, dass ausgerechnet die trotz aller Erfolge vom Mainstream als zu prollig, zu machohaft - also zu unseriös - verschrieenen Raser-Bubies aus dem Hinterhof LAs fast 20 Jahre später in der Star Wars- und Bond-Liga mitmischen und verwirrte Filmkritiker zu hochtrabenden Phänomen-Erklärungen motivieren werden?  

Tja, im Prinzip ist die Sache ganz einfach. Das neue Mode-Album heißt „Spirit" und damit ist bereits alles gesagt. „Spirit" steht unter anderem für Seele und Geist, beides kann man nicht nur in der Musik von Depeche Mode spüren, sondern auch bei Dom und seiner Gang. Das ständige Pochen auf Werte wie Treue, Vertrauen, Verbundenheit, Gemeinschaftsgefühl ist eben kein bloßes Gerede, oder oberflächliche Attitüde. Schon der erste Film („The Fast and the Furious", 2001) erhob die halbseidene Straßenrennen-Clique um Alphatier und Clan-Chef Dominic „Dom" Toretto (Vin Diesel) zur verschworenen Gemeinschaft mit familiären Strukturen. Hier wurde keiner fallen gelassen, auch wenn er noch so grobe Schnitzer begangen hatte. War jemand zeitweise abtrünnig wie Doms große Liebe „Letty" Ortiz (Michelle Rodriguez), wurde aufopferungsvoll um die Rückkehr in den Schoß der Familie gekämpft. Im Laufe der Filme und Jahre veränderte sich die diese durch filmische und reale Todesfälle sowie durch Neuzugänge von der einstigen Gegenseite. Der Zusammenhalt der Kernfamilie wurde indes immer stärker, die neuen Mitglieder wurden nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern mottogerecht rasend schnell integriert. Sinnbildlich steht dafür das obligatorische Barbecue am Ende eines jeden Abenteuers, bei dem sich alle an den Händen halten und Papa Dom bestimmt, wer das Tischgebet sprechen darf. Dass dieses zugleich altmodische wie sentimentale Ritual keinerlei Fremdschäm-Attacken auslöst, sondern im Gegenteil ein wohliges Gefühl von Geborgenheit und Nähe erzeugt, ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Serie.

Natürlich leben die Filme von spektakulären Autostunts, die spätestens seit dem sechsten Teil („Fast & Furious 6", 2013) auch Fortbewegungsmittel aus ganz anderen Branchen mit einbeziehen. Bereits ein Film früher („Fast Five", 2011) begann die offensive Ausweitung der Spielwiese auf bleihaltige Action-Sequenzen mit epischer Ausrichtung. Schließlich steht „Spirit" auch für Feuer, Energie, Elan und Mut. Und von all diesen Attributen hatte und hat die „Fast & Furious"-Serie eine ganze Menge zu bieten. Inzwischen ist die Reihe so populär und vor allem salonfähig geworden, dass sich namhafte Stars die früher solche Angebote nicht mit der Kneifzange angefasst hätten, regelrecht darum reißen, auf die Besetztungsliste zu kommen. Im aktuellen Film gesellen sich sogar die Oscar-Preisträgerinnen Charlize Theron (als Cyber-Terroristin Cipher) und Helen Mirren (als Jason Stathams Mutter!) zum illustren All-Star-Cast.
Doch bei aller mutiger Neuausrichtung, geschickter Neuerfindung und cleverer Horizont- wie Personal-Erweiterung verlor man eben nie die Essenz der lärmigen Rummelplatz-Sause aus den Augen. Der tiefe emotionale Kern sorgt nicht nur für die regelmäßige Rückkehr zur teilweise bewusst und lustvoll über Bord geworfenen Bodenhaftung, er bindet auch den Zuschauer immer wieder an ein Spektakel, das ohne diesen „Spirit" in der gesichtslosen Masse der seelenlosen Krach-Blockbuster verschwinden würde.

Funktionieren kann eine solche Gradwanderung aber nur mit unbedingter Authentizität. Denn ein emotionaler Unterbau will auch glaubhaft vermittelt werden, ansonsten bleibt er eine leere Worthülse. Auch hier drängt sich der Vergleich mit Depeche Mode auf. Nicht wenige Fans haben 1994 nach dem Ausstieg von Soundtüftler Alan Wilder das Ende der Band befürchtet. Eine unbegründete Angst, denn das Herzstück war und ist Sänger Dave Gahan, der die Melodien und Texte von Mastermind Martin Gore zum Leben erweckt, ihnen eine Stimme verleiht, sie vor allem aber auf enorm eindringliche Art emotional erfahrbar macht. Ganz ähnlich verhält es sich bei „Fast & Furious". So traurig der Abschied von Paul Walker alias Brian war, solange Emotions-Transmitter Vin Diesel am Steuer sitzt, wird die Erfolgsserie weiter gehen.
Der bullige Glatzkopf mag kein großer Mime sein, aber er ist ein Typ, dem man unumwunden abnimmt, was er behauptet und wofür err vorgibt zu stehen. Dass dies weit über seine Film-Persone „Dom" hinausgeht, bewies „Fast and Furious 7" (2015). Der Unfalltod seines Freundes und kongenialen „Fast"-Partners Paul Walker war ein Schicksalsschlag, den er zusammen mit dem Main-Cast der Reihe in einer gewagten Mischung aus Filmhandlung und privatem Statement verarbeitete. Das hätte völlig schief gehen können, aber Diesel war auch hier wieder so entwaffnend authentisch und offen, dass auch der gröbste Klotz berührt sein musste.

Im aktuellen „Fast and Furious 8" droht dieses meterdicke Emotions-Stahlseil nun mit einem lauten Knall zu reißen. Dominic Toretto wendet sich erstmals radikal gegen sein Team und scheint aller stets so felsenfest verkörperten Werte überdrüssig. Ein fieser Schachzug der Drehbuchautoren, aber auch ein sehr gewitztes Manöver. Als Zuschauer und Fan ist man zu gleichen Teilen verdutzt und verwirrt ob des rüden Kappens der emotionalen Taue, aber eben auch gespannt, wie und ob sich der unfallartige Schaden wieder reparieren lässt.
Darüber hinaus bietet sich hier auch die Gelegenheit, das Figurenkarussell mal wieder kräftig durch zu wirbeln, denn ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Wenn der Freund zum Feind wird, dann mach den Feind zum Freund. Also darf „Fast 7"-Gegner Deckard Shaw (Jason Statham) die Seiten wechseln, schließlich ist er neben dem ebenfalls „umgedrehten" Widersacher Luke Hobbs (Dwayne „The Rock" Johnson) der Einzige, dem es jemals gelang den untergetauchten Toretto aufzuspüren. Ganz nebenbei bindet man damit nach „The Rock" einen weiteren Actionstar deutlich enger an die Kernfamilie und sorgt so für einen nicht unerheblichen Fanfamilien-Zuwachs.

Will man die angestammten Fans bei der Stange halten, darf man aber bei allem kreativen Einfallsreichtum nicht das Kerngeschäft aus den Augen verlieren. Das ist nicht nur ein identitätsstiftendes Moment, sondern eben auch eine Frage von Authentizität und Verlässlichkeit. Depeche Mode haben nie ihren elektronischen Wurzeln verleugnet und die „Fast and Furious"-Filme haben nie gänzlich die Welt illegaler Straßenrennen verlassen, oder gar auf spektakuläre Autostunts verzichtet. So bietet der Auftakt von Teil 8 ein Hochgeschwindigkeits-Machoduell durch die Straßen Havannas, bei dem der noch nicht auf die dunkle Seite gewechselte Dom einem kubanischen PS-Fürsten eine Raser-Lektion erteilt.
Im weiteren Verlauf werden die Fortbewegungsmittel dann standesgemäß zahlreicher, größer und schneller und die unvermeidlichen Blech- bzw. Crash-Schäden um ein vielfaches verwüstender und zerstörerischer. Wie immer besteht der besondere Reiz nicht so sehr in ihrer Existenz - das wird schlicht  als selbstverständlich vorausgesetzt -, sondern in ihrer Präsentation und vor allem Variation. Die Erstürmung eines russischen Polarstützpunktes inklusive mitmischendem Atom-U-Boot lässt hier schon einmal wenig Wünsche offen. Heimliches Highlight ist aber die massenhafte Aktivierung von elektronischen Autopilotsystemen abgestellter Fahrzeuge, die sich zu einer Zombie-ähnlichen Blechlawine formieren um sich dann wahlweise rasend durch die Straßen New Yorks zu wälzen, oder aus Parkhäusern auf jene zu stürzen. Man kann von der Reihe ja halten was man will, aber die Kreuzung von modernem Zombiefilm und klassischen „Fast & Furious"-Zutaten ist eine brillante Idee.

Bei so viel lärmigem Elan und überschwänglicher Energie tut ein wenig Besinnung und Werteerziehung ganz gut. Zumal am Ende einer emotionalen Achterbahnfahrt. Depeche Modes „Spirit" schließt mit einer standesgemäß finsteren und ernsten Ballade. „Fast & Furious 8" endet mit einem gemütlichen Abendmahl über den Dächern New Yorks. Alle sind gekommen, um sich auf das Wesen ihrer Beziehung zu besinnen. Neben der tiefen emotionalen Verbundenheit kann man vor allem eines spüren: ihren unverwüstlichen Teamgeist. Auch den nennt man im Englischen übrigens schlicht „Spirit".

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