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„(Fehl-)Griff nach den Sternen"

Christopher Nolan gilt gemeinhin als Schöpfer des intelligenten Blockbuster, als massentauglicher Visionär. Tatsächlich versteht er es wie aktuell kein zweiter Filmemacher - mit Ausnahme vielleicht von David Fincher -, Unterhaltung und Anspruch gekonnt zu fusionieren.
So verpasste er dem ansonsten doch eher verspielten und wenig tiefschürfenden Superhelden-Kino Würde, Ernsthaftigkeit und vor allem einen klugen, gesellschaftspoltischen wie psychoanalytischen Unterbau. Sein Meisterstück lieferte er dabei mit dem Mittelteil seiner Batman-Saga („The Dark Knight"), bei dem Nolan nicht nur den Vigilantismus des Titelantihelden psychologisch messerscharf sezierte, sondern gleichzeitig auch noch den angeknacksten Seelenzustand der unter den Nachwirkungen von 9/11 und Terrorismus zunehmend orientierungsloseren, westlichen Demokratien verhandelte.
Dass der gelungene Spagat zwischen Anspruch und Kommerz kein zufälliges Kunststück gewesen war, bewies Nolan dann endgültig mit dem Traummanipulations-Thriller „Inception". Ohne den Sicherheitsfallschirm eines aktuellen Selbstläufer-Genres im Gepäck, schuf er eine beeindruckend stimmige Symbiose aus Kopfkino, Bildgewalt und Action, die nicht nur beim Publikum voll einschlug, sondern auch seine Kritiker zumindest deutlich leiser werden lies.

Mit „Interstellar" greift er nun buchstäblich nach den Sternen. Auf der vordergründigen Inhaltsebene geht es um das Finden und Erforschen fremder Planeten zum Zweck der möglichen Besiedlung durch die Menschheit. Da die Erde sich langsam aber sicher selbst zerstört und damit ihren Bewohnern die Lebensgrundlage entzieht, ist die Mission von existentieller Bedeutung.  
Dieser an sich schon faszinierende Explorer-Plot ist natürlich nur eine von vielen Ebenen, auf denen Nolan sein Science-Fiction-Epos anlegt. Wie bereits bei dem Magier-Thriller „Prestige" und dem oben erwähnten „Inception" interessiert er sich insbesondere auch intensiv für (natur-)wissenschaftliche Erklärungsmodelle und Hintergründe der aufgegriffenen Themenkomplexe.

Wie ernst es ihm dabei ist, beweist der Umstand, dass sein Bruder und Drehbuchautor Jonathan Nolan sich - parallel zum Schreibprozess - am „California Institute for technology" dem Studium der Relativitätstheorie widmete und man zudem eng mit dem anerkannten US-amerikanischen Physiker Kip Thorne zusammen arbeitete. Zentrale Theorien seiner Beiträge über die Gravitation und relativistische Astrophysik finden sich folgerichtig eins zu eins im fertigen Skript wieder, womit „Interstellar" auch fundierte Einblicke in den aktuellen, wenn auch durchaus kontrovers diskutierten Forschungsstand der theoretischen Physik bietet.
Konkret bedeutet dies die Möglichkeit von Zeitreisen mit Hilfe von Wurmlöchern. Bei Nolan ist diese Theorie sowohl Grundlage wie auch Motor der Handlung, da menschliche Expeditionen jenseits unseres Sonnensystems ansonsten blose Fantasy wären. Ähnlich wie bei „Inception" muss man also zunächst eine phantastische Prämisse schlucken (dort die Möglichkeit von Traumreisen, hier die Möglichkeit von Zeitreisen), um sich auf den potentiellen Realismus der Folgeereignisse einlassen zu können.  

So hatte die inzwischen geheim operierende NASA zunächst lediglich Aufklärungs-Sonden durch ein zufällig in Erdnähe aufgetretenes Wurmloch in fremde Galaxien geschickt und dann aufgrund der gewonnenen Daten bemannte Missionen zu den vielversprechendsten Planeten entsandt. Nun reichen die technischen Kapazitäten gerade noch für einen letzten Versuch, der endgültig Klarheit über einen potentiellen Ersatzplaneten bringen muss. Also macht sich die vierköpfige Besatzung (bestehend aus einem Astronauten und drei Wissenschaftlern) auf eine interstellare Reise, bei der nichts weniger als das Schicksal und Fortbestehen der gesamten menschlichen Spezies auf dem Spiel steht.

Wie nicht anders zu erwarten bebildert Nolan diese Reise mit teilweise atemberaubenden Weltraumpanoramen von majestätischer Schönheit. Ähnlich wie Kubrick in dem Science-Fiction-Klassiker „2001 - Odyssee im Weltraum" oder kürzlich Alfonso Cuarón in „Gravity" verzichtet er sinnigerweise teilweise komplett auf Ton bzw. Musik und macht damit die auch von Astronauten oft beschriebene, surreale Erfahrung einer nicht fassbaren Unendlichkeit und unwirklichen Stille wenn nicht spürbar, so doch zumindest nachvollziehbar. Auch der finale Akt ist wieder ein deutlicher Beleg für Nolans visuellen Einfallsreichtum und seine Fähigkeit, komplexe Handllungsstränge optisch zu entknoten.
Umso enttäuschender ist es dann allerdings, dass ihm bei der Bebilderung der beiden fremden Welten so gar nichts bahnrechendes oder wenigstens überraschendes einfallen wollte. Planet 1 besteht lediglich aus Wasser und sich immer wieder neu aufbauenden, riesigen Flutwellen. Planet 2 bietet das dann in phantastischen Filmen (u.a. Ridley Scotts „Prometheus") inzwischen gern genommene und dementsprechend sattsam bekannte Island-Setting aus bizarren Eis- und Felswelten. Für einen erwiesenermaßen hochbegabten Bildkompositeur ist dann das doch etwas ernüchternd und dürftig. Allerdings hat Nolan bekanntlich immer mehrere Pfeile im Köcher, um sein Publikum zu packen.

Denn anders als der häufig (weitestgehend fälschlicherweise) zum Vergleich herangezogene „2001" vertraut Nolan nicht allein auf die Faszination grenzwertiger bzw. grenzüberschreitender wissenschaftlicher Phänomene im Verbund mit faszinierenden Bilderwelten, sondern fügt auch eine nicht unerhebliche Portion menschliches Drama bei. So spiegelt er das Schicksal der Menschheit in einer innigen Vater-Tochter-Beziehung und setzt damit offensiv auf die Empathiekarte. Durchaus ein nicht zu unterschätzendes Risiko, gehört dies doch bekanntlich nicht gerade zu den Stärken Nolans, dessen Figuren zwar immer interessant sind, einen aber emotional oft seltsam kalt lassen. Er gleicht dabei häufig mehr einem genau beobachtendem Analytiker und weniger einem einfühlsamen Versteher.

Trotzdem ist die Entscheidung pro Vermenschlichung im Falle von „Interstellar" durchaus sinnig. Gerade auch vor dem Hintergrund der im Film ausführlich verbalisierten physikalischen Zusammenhänge (was eigene Gedankenspiele und Assoziationen weitestgehend ausschließt)  im Verbund mit einer schwer verarbeitbaren apokalyptischen Situation, wäre ein Gros an Abstraktheit kontraproduktiv im Sinne einer nachhaltigen Wirkung.
Also widmet sich Nolan beinahe eine Stunde lang ausführlich der Beziehung zwischen dem Farmer Cooper (Matthew McConaughey) und seiner 10-jährigen Tochter Murph (Mackenzie Foy). Aber obwohl Nolan mit McConaughey „den" Charakterdarsteller der Stunde zur Verfügung hat und der Plot die gebeutelte Kleinfamilie (Cooper ist alleinerziehend und willigt dennoch ein, die womöglich letzte NASA-Mission der Menschheit zu steuern mit geringen Aussichten auf Rückkehr) brutal auseinander reißt, will sich das große Mitgefühl nicht so recht einstellen. Man wird den Eindruck nicht los, dass Nolan die vergleichsweise gefühlsbetonte Exposition vor allem für seinen Schlussakt benötigt, bei dem er - wie beim dramaturgisch ähnlich stotternden dritten Batman-Film - nicht nur bewusst an Tempo und Spannungsschraube dreht, sondern zuvorderst den Fokus auf die kunstvolle und stimmige Verknüpfung sämtlicher ausgelegten Handlungsfäden richtet.

Interessanterweise ist diese technokratische Vorgehensweise Nolans die deutlichste Parallele zu Kubrick (weit mehr als die vermeintliche thematische Verwandtschaft von „2001" und „Interstellar"), der auch vieles außerordentlich gut konnte, aber es nie schaffte seinen Filmen Herz und Seele zu verleihen. Dieser (hier bestimmt ungewollte) abstrakte, kalte Grundtenor ist es auch, der „Interstellar" auf hohem Niveau wenn nicht scheitern, aber einen doch eher ernüchtert zurück lässt und schmerzlich daran erinnert, wie viel mehr hier möglich gewesen wäre. Das ist umso ärgerlicher, oder auch tragischer, da Nolan diesmal offensiv auf die emotionale Karte setzt, diese aber nicht adäquat auszuspielen weiß. So bleibt „nur" ein audiovisuell beeindruckendes Science-Fiction-Epos mit einem klugen Brückenschlag zu aktuellen naturwissenschaftlichen Theorien und gesellschaftlichen Grundstimmungen. Christopher Nolan zementiert damit aufs Neue seine Ausnahmestellung als Entertainer mit und für den Verstand. Etwas mehr Fähigkeit und Willen zu Empathie bzw. zu deren Erzeugung würde diese Reputation aber bestimmt nicht schmälern.

 

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