Die britische Firma Hammer Film Productions füllt ein ganzes Kapitel des phantastischen Kinos. Immer im Spiel mit dem BBFC X-Rating begann man in den 50er Jahren mit Science-Fiction Filmen die Grenzen des Machbaren auszuloten, bevor man sich an klassische Horror-Ikonen wagte, mit denen Universal in den 30er- und 40er-Jahren einst Erfolge feierten.
Der 1972er Film Circus der Vampire dokumentiert schließlich einen Umbruch des internationalen Horror-Kinos. Was einem heute unentschlossen vor dem Gesamtangebot kaum noch augenscheinlich wird, ist die Tatsache, daß die lange Epoche des Gothik-Grusels irgendwann ausgereizt in einer Endlosschleife stagnierte. Die Hammer Filme sollten schließlich durch Anheben der Schauwerte in Reißern wie Circus der Vampire den Ansprüchen des modernen Publikums weiter gerecht werden.
Ferner versetzte man gewohnte Rollenbilder schon mal in die Gegenwart, um dem angestaubten Muff der alten Kostüme zu entkommen. Nouvelle Vague, New Hollywood oder der Junge Deutsche Film etablierten neue Motive und Strukturen des Kinos, während zeitgleich fallende Zensurknebel freizügigere Themen begünstigten, was eine oft niedrig budgetierte Welle von Nasties und Exploitation in Konkurrenz mit einem der gefürchtetsten Kinogegnern führte – dem heimischen Fernseher.
Circus der Vampire entstammt dem ursprünglichen Treatment Village of the Vampires von George Baxt und Wilbur Stark. Von Hammer-Boss James Carreras mit Ablehnung gestraft, weil er sich fragend, was denn nur aus den alten Vampir-Stoffen geworden sei, anläßlich der hohen Dosis von Sex und Gewalt um Zensurschnitte bangte, gab es mehrere begünstigende Faktoren, die Circus der Vampire an die mit lesbischen Themen gespickte Karnstein-Trilogie anchließen ließen.
Die britische Filmbewertungsstelle hatte 1970 das X-Rating liberalisiert. 1971 ging der Hammer-Chefzensor John Trevelyan in den Ruhestand. James Carreras hatte zudem selbst Anfang 1971 seinen Sohn Michael Carreras als Executive eingesetzt. Dieser gab nun wider aller Bedenken grünes Licht für einen Vampirfilm, der kaum besser beschreiben könnte, was zu dieser Zeit im Horror-Sujet passierte.
Interessant ist zunächst die Eröffnung von Circus der Vampire, welche im Prinzip schon die höchsten Vorstellungen eines blutigen Showdowns enthält, als im frühen 19. Jahrhundert in Anwesenheit von nackter Frauenhaut ein ländlicher Mob den Vampirgrafen Mitterhouse hinrichtet, der sich seines Zeichens mit einem Fluch bedankt.
Möglicherweise ist genau dies eine Handschrift des Werbe- und Kurzfilmers Robert Young, dem man hier seinen ersten Spielfilmauftrag gegeben hatte. Nur 15 Jahre später sind es Fledermäuse, die eine Seuche verbreiten. Nicht nur hier sucht man den Realismus echter Tiere, an statt wie üblich Attrappen zu verwenden. Auch der nahende Circus der Nacht, schwerlich vom Titel Circus der Vampire zu trennen, kann mit einigen wilden Tieren glänzen. Geleitet von einem maskierten Kleinwüchsigen sind es so auch nicht nur die echten Artisten nebst Bodybuilder und späterem Darth Vader Darsteller David Prowse als Kraftprotz und ein üble Vorzeichen vorraussagendes Spiegelkabinett, sondern vor allem die animalischen Avancen, mit denen diesen Antagonisten eine Rückführung der Vampire zu ursprünglichem Lusttrieb gelingt.
Mit deutlich psychedelischem Einschlag konfrontiert man den Zuschauer in Circus der Vampire mit Szenen einer Tigerfrau, perfekt in ihren Maßen und doch identitätslos wie eine Schaufensterpuppe, kahlgeschoren in ihrem Streifen-Bodypaint, ansonsten splitterfasernackt einem lasziven Tanz-Rausch verfallen.
Der schwarze Panther, eine Neuerung in der Verwandlungs-Vielfalt derer Vampire, hier in einer männlichen Inkarnation Parallelen zu Jacques Tourneurs Katzenmenschen aufweisend.
Verlockung, Laster, Tod und Verderben treffen auf eine bunt-exzessive Inszenierung. Nicht auszudenken ist hierbei, was aus Circus der Vampire noch hätte werden können. Der vom Autorenfilm begeisterte Robert Young hatte den Drehplan überzogen.
In den insgesamt 6 Wochen Drehzeit sind einige Schlüsselszenen gar nicht erst inszeniert worden und mußten so überspielt werden. Einen halben Tag noch habe er gebraucht, als Michael Carreras abbrach.
Heute aufgrund von kaum kaschierten Nahaufnahmen einer schräg-zahnig reißenden Pantherpuppe und den klar als künstlich erkennbaren rollenden Köpfen aus der Effektschmiede Les Bowies distanziert betrachtbar, erkennt man dennoch den zeitgenössisch-dokumentarischen Charakter von Circus der Vampire.
Sehr präzise beschreibt Robert Young eine Übergangszeit einer zerfallenden Horror-Ära unter Verwendung typischer Motive, welche er ganz ohne die üblichen Besetzungen mit Peter Cushing oder Christopher Lee zu neuen Leben erweckt.
Symbolcharakter nimmt hierbei der Circus der Nacht ein, welcher Fluch und Segen des phantastischen Kinos aufgreift. Circus der Vampire ist ein Zeitdokument für ein Ringen um den Kinobesucher mit Menschen, Tieren und Sensationen.
Im Falle des Horrorfilms bedeutete dies eine Hinwendung zu graphischen Darstellungen aber auch einem Hang der Übertreibung im Sinne des Größenwahns, was sich in den großen Hits bis Blockbustern der folgenden Jahre von Der Exorzist über Das Omen oder Der weiße Hai, ganz zu schweigen von Terrorfilmen wie Das letzte Haus links oder das Blutgericht in Texas anschaulich nachvollziehen läßt.
In seiner Gesamtheit vielleicht nicht perfekt ist Circus der Vampire daher ein Baustein der Erkenntnis und Selbstreflexion – damit eine Bestandsaufnahme für die Hammer Film Productions, die 1974 mit dem brutaler ausgelegten Frankensteins Höllenmonster und der Shaw Brothers Co-Produktion Die 7 goldenen Vampire zwei ihrer Hauptmarken zu einem Ende brachten.
Der 1976er Die Braut des Satans konnte die Erwartungen ebenso wenig erfüllen wie 1979 ein komödiantisches Remake des 1938er Hitchcock Films Eine Dame verschwindet, welches mit dem deutschen Titel Die tödliche Botschaft die Ära der Hammer Film Productions beendete, bis der niederländische Produzent John De Mol 2007 die Rechte an 300 Hammerfilmen erwerben konnte und mit neuen Produktionen unter dem Banner der britischen Horror-Institution begann.
Nicht nur schnippisch als bester Hammer Film der 70er Jahre bezeichnet ist Circus der Vampire also ein Muß für alle, die den interessanten Werdegang einer Traditionsfirma in all ihren Facetten studieren möchten.