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Mit seinem naturalistischen Drama „Engel der Verlorenen", das stilistisch stark an den italienischen Neorealismus erinnert, schuf der japanische Regisseur Akira Kurosawa schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein packendes und hochemotionales Werk über die sozialen Verwerfungen in der Gesellschaft und dunkle Vergangenheiten, denen sich die Menschen nicht entziehen können: Der Arzt Sanada (Takashi Shimura) ärgert sich mit dem Gangster Matsunaga (Toshiro Mifune) herum, der seine Furcht vor einer ernsten Diagnose hinter Aggressivität und Machismus versteckt. Gleichzeitig taucht eine dunkle Gestalt aus dem Gefängnis auf, die Ansprüche auf die junge Frau erhebt, die mittlerweile bei Sanada untergekommen ist. Eine dramatische Zuspitzung ist unvermeidlich.

Mit einer ruhigen Kamera, die ein überschaubares Setting in simple Bilder einfängt, allerdings vor allem gegen Ende immer wieder in ungewöhnliche und durchaus aufwendige Fahrten ausbricht, erzählt der Film seine tragische Geschichte über komplexe emotionale Zusammenhänge zwischen Menschen und die Unmöglichkeit, kritischen Lebenswendungen zu entgehen. Beeindruckend fällt dabei vor allem die kluge Ausmalung der Charaktere aus: Der Arzt könnte beinahe ein Vorläufer für Dr. House sein, so grob behandelt er seine Patienten, ohne dabei ihr Wohl aus den Augen zu verlieren. Ohne Gnade und Scheu hält er ihnen ihre Fehlverhalten vor - selbst dem bedrohlichen Gangster, der alles gibt, möglichst brutal und gefährlich zu wirken, obwohl seine verletzliche Menschlichkeit von Anfang an immer wieder durchschimmert. Vor allem diese Figur kommt schauspielerisch überaus intensiv und fesselnd rüber, was das Interesse des Zuschauers durchgehend aufrecht erhält.

Doch auch die weiteren Charaktere sind mit sehr viel Empathie und sanfter Emotionalität gezeichnet: Alle Handelnden tragen ihre schwere Vergangenheit mit sich herum und suchen verschiedene Wege, damit umzugehen. Ohne irgendjemanden zu verurteilen, zeigt Kurosawa so die Hintergründe für soziale Probleme wie Alkoholismus oder Gewalt auf. Gerade durch die stille und zurückhaltende Inszenierung entsteht so ein enorm intensives Porträt von seelisch verwundeten Menschen am unteren Rand der Gesellschaft. Die wunderschöne Musik eines Gitarrenspielers bildet dabei beinahe den einzigen Soundtrack und erzeugt eine träumerisch-melancholische Atmosphäre, in der sich die tragische Geschichte Stück für Stück entwickelt.

Formal und inszenatorisch kommt „Engel der Verlorenen" beinahe schon unauffällig daher, entpuppt sich bei genauerem Blick aber immer wieder als streng durchkomponiert. Bis in die kleinsten Szenen und nebensächlichsten Dialoge entspinnt sich hier ein fesselndes Bild verschiedener Menschen und Schicksale, komplizierter Emotionen und trauriger Verwicklungen. Mit diesem Werk hat Kurosawa schon in frühen Jahren bewiesen, dass er ein Meister darin ist, zärtliche und empathische Psychogramme zu zeichnen und in einen geradezu zwingenden Strudel an Ereignissen zu stürzen. Ein intensives, packendes, emotional aufrührendes Drama!

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