Sex ! - Schock ! - Provokation ! - Ich kann es nicht mehr hören. Warum fällt keinem etwas anderes angesichts der Filme Paul Verhoevens ein ? - Gut, Regisseur Verhoeven hat eine eigene Art seine Geschichten zu erzählen. Selten bemüht er sich um längere Dialoge und er ist nur wenig daran interessiert, die Intentionen seiner Protagonisten durch Worte zu erläutern. Viel mehr schaut er auf deren Reaktionen und reiht meist mit hohem Tempo Szene an Szene aneinander und entwirft so ein komplexes Bild der Charaktere.
Schon in seinem frühen Werk "Türkische Früchte" erkennt man Verhoevens Willen, seine Geschichte, trotz ihres nicht am Massengeschmack orientierten Themas, keineswegs für eine am Autorenkino interessierte Minderheit zu erzählen, sondern unterhalten zu wollen. Eine Vorgehensweise, die Mitte der 70er Jahre automatisch dazu führte, sich schnell eines populistischen, provokanten Stils verdächtig zu machen. Nur, warum hat sich an dieser Sichtweise bis heute nichts geändert ?
"Türkische Früchte" beginnt mit einer unwirklich wirkenden nächtlichen Szene, in der ein Mann, der aus seinem Auto steigt, brutal erschlagen wird und seine Begleiterin direkt danach eine Kugel in den Kopf verpasst bekommt. Dann blendet die Kamera auf Eric Vonks (Rutger Hauer) Gesicht über, welches kurz von einem leichten Grinsen überflogen wird. Er liegt unten herum nackt auf seinem Bett, inmitten eines völlig verwahrlosten Zimmers. Ganz offensichtlich handelt es sich bei der gezeigten Gewaltszene um eine Wunschfantasie seinerseits. Er dreht sich auf seinem Bett um, blickt die an der Wand hängenden Nacktfotos einer hübschen Frau an und beginnt wild fluchend darauf zu onanieren. Ganz offensichtlich unbefriedigt sinkt er in sich zusammen bis plötzlich ein Ruck durch ihn geht. Er räumt sein Zimmer auf, schmeisst das verdorbene Essen weg, duscht sich und reisst eine Frau nach der anderen auf. Dabei geht er alles andere als sensibel vor, sondern eindeutig fordernd, was zu ständigen Sexszenen mit wechselnden Partnerinnen führt.
Verhoeven schildert diese Szenen mit drastischen und eindeutigen Bildern, die nur von den notwendigsten Dialogen unterlegt sind. Doch schon hier zeigt sich seine Meisterschaft, scheinbar plakative ,provokante Abläufe mit Brüchen zu versehen, die die dahinter verborgene Tragik verdeutlichen. Man kann sich bei dem Bild des nackten Rutger Hauer zu Beginn an dessem Penis festhalten, aber gerade diese Optik macht die hier gezeigte Verwahrlosung nur deutlicher. Auch die Sexszenen mit den verschiedenen Frauen entbehren nicht einer gewissen Komik, wenn Erik etwa einer Partnerin die Schamhaare abschneidet und sie sich als Bart unter die Nase hält, aber immer spürbarer wird durch die fast hektische Abfolge dieser Schilderungen, Eriks Sucht sich abzulenken und seine Suche nach einem verlorenen Ideal...
Verhoeven blendet zwei Jahre zurück und zeigt Erik Vonk als freischaffenden Künstler, der gerne provoziert und wenig Lust zeigt, sich anzupassen. Gerade an Hauers exzellentem Spiel ist zu erkennen, wie differenziert er, gerade im Vergleich zu den heute gerne in Filmen gezeigten "coolen" Typen, angelegt ist. Äußerlich mit langem Blondhaar und unbürgerlicher Attitüde ein angesagter Womanizer, ist er in seinen Emotionen jederzeit nachvollziehbar und keineswegs extrem.
Das zeigt sich auch in den Szenen, in denen Erik Olga (Monique van de Ven) kennenlernt. In einer schnellen Abfolge schildert Verhoeven, wie Erik von Olga als Anhalter mitgenommen wird, wie es spontan zum Sex kommt und kurz danach zu einem schweren Unfall, woraufhin Erik mit der blutüberströmten bewußtlosen Olga auf dem Arm hilfeschreiend zur Autobahn zurückläuft. Allein in dieser kurzen Abfolge ist Verhoevens inszenatorische Stärke zu erkennen. Jede Einzelne der oben geschilderten Szenen ist für sich genommen eine plakative Schilderung, doch in ihrer Gesamtheit ergeben sie ein komplexes Bild von starken Gefühlen und emotionaler Direktheit, aber auch von ihrer Unmöglichkeit in der Realität und der damit verbundenen Selbstzerstörung.
Die dann folgenden Szenen der Gemeinsamkeit zwischen Olga und Erik, die kurzentschlossen heiraten, sind keineswegs eine bunte Abfolge von Glücksmomenten. Selbst in banalsten Sequenzen gelingt es Verhoeven immer gleichzeitig auch eine Ebene zu vermitteln, die verdeutlicht, daß ihre Beziehung gefährdet ist. Interessanterweise verzichtet Verhoeven während dieser Schilderungen der jungen Beziehung größtenteils auf ausschweifende Sexszenen und zeigt viel mehr ruhige Momente, die Eriks Liebe und Begeisterung für Olga fühlbar machen. Selbst die bekannten Bilder, auf denen er der nackten Olga auf einer Bank sitzend den Hintern versohlt, wirken nur aus dem Kontext gerissen anrüchig und sind im Film viel mehr Ausdruck einer fröhlichen, albernen Szene.
Auch wenn Verhoeven in seinen Film immer mal kleine Szenen der Kritik (wie etwa der ungehemmt laufende Abwasserkanal mit Dreckwasser) einfädelt, bleibt "Türkische Früchte" die Geschichte einer Liebe zwischen Mann und Frau. Exemplarisch wird sein Film nicht dadurch, daß hier eine Beziehung gezeigt wird, die sich äußerlich nicht den Normen anpasst, sondern durch die Schilderung ihrer emotionalen Tiefe. Verhoeven vermeidet plakative gesellschaftliche Kausalitäten und zeigt zwei verletztliche, sensible Menschen auf der Suche nach ihrer Identität und Liebe. Der etwas ältere Erik ist sicherer in seinen Gefühlen, aber Olga ist noch nicht in der Lage, sich auf die eigenen Emotionen endgültig einzulassen...
Fazit : "Türkische Früchte" ist ein großartiger, emotional berührender Liebesfilm, der die Etikettierung Erotik und Provokation nicht verdient hat, denn selbst die drastischsten Bilder in Verhoevens Film sind immer der Thematik untergeordnet.
Provozierend ist in diesem Film einzig die Qualität und Tiefe, mit der hier Gefühle geschildert werden - Gefühle, die man nicht gerne an sich heran lässt, da sie nur schwer mit unserer täglichen Normalität vereinbar sind. Intensiver und nachvollziehbarer ist die Schilderung einer solchen Geschichte nicht vorstellbar und ich versteige mich zu der Aussage, daß heute Niemand mehr in der Lage ist, einen solchen gleichzeitig unterhaltenden und berührenden Film zu diesem Thema noch zu drehen (10/10).