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„Auslaufmodell Vigilantismus? - Der dunkle Ritter am Scheideweg "

Der schwarze Rächer mit der Fledermausmaske ist kein strahlender Superheld wie seine in knallbunten Jumpsuits umherfliegenden Kollegen Spiderman oder Superman. Während letzterer im wehenden roten Cape und gleißenden Sonnelicht die Welt rettet, muss sich der Fledermausmann Nacht für Nacht in den dunklen und schmutzigen Gassen des Molochs Gotham City mit allerlei verbrecherischem Gesindel herumschlagen. Seine Kämpfe sehen dabei immer nach harter körperlicher Arbeit aus, am Ende wirkt er oft müde, abgeschlagen und muss erst mal seine zahlreichen Blessuren versorgen. Auch sein Vigilantismus hat immer etwas Angestrengtes und Brutal-Gewalttätiges. Er kämpft verbissen, nicht elegant.
Nein, Batman ist kein Heroen-Naturtalent, er ist ein Action-Malocher. Er hat weit mehr vom verschwitzten McClane als vom gewitzten Bond. Anders als Spiderman verfügt er über keinerlei übermenschliche Fähigkeiten und über dessen profane Teenagerprobleme würde er vermutlich auch nur müde lächeln. Batman ist ein düsterer, grüblerischer, von Ängsten und Selbstzweifeln geplagter Charakter. Er besitzt weder den jugendlichen Übermut des Spinnemannes, noch die über den irdischen Dingen stehende, beinahe schon entrückt wirkende Souveränität des Mannes aus Stahl.

Regisseur Christopher Nolan hat eindeutig ein Faible für solche Figuren. Auch seine (Anti-)Helden sind innerlich zerrissene, getriebene, verzweifelte Individuen. Ängste, Traumata (Memento, Insomnia), Eifersucht und Hass (Prestige) sind ihre Antriebsmotoren. Stets umgibt sie eine Aura von Düsternis, Schwermut und Ambivalenz. Die Comicfigur Batman passt somit perfekt in den Nolanschen Kosmos. Die Wahl des unkonventionellen britischen Jungregisseurs für einen Relaunch der von Joel Schumacher zugrundegealberten Batman-Franchise (Batman Forever, Batman & Robin) überraschte seinerzeit viele. Batman Begins lies allerdings die meisten Kritiker schnell verstummen.
Ähnlich wie dem ebenfalls zunächst auf Ablehnung stoßenden Tim Burton (wie Nolan ein wenig massenkompatibler, vor allem für die Düsternis und den Nonkonformismus in seinem Oeuvre bekannt und geschätzt), gelang es Nolan sowohl den Zeitgeist wie den Kern der Figur zu treffen. Zwar hatte Batman Begins einige Schönheitsfehler (hektisch und unausgegoren wirkende Actioneinlagen sowie eine etwas dünne Geschichte) aufzuweisen und auch Hauptdarsteller Christian Bale blieb recht deutlich hinter Michael Keatons Leistung zurück. Der Druck des finanzierenden Studios dürfte hier ein nicht unwesentlicher Hemmschuh gewesen sein. Die Grobrichtung und vor allem der Ton stimmte aber wieder. Auch Burton hatte mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und konnte seine Vision des dunklen Ritters erst nach dem Riesenerfolg des ersten Films frei von jedweden Studiozwängen und -auflagen umsetzen (Batmans Rückkehr). Man durfte also durchaus gespannt sein auf Nolans zweiten Versuch. Zumal auch sein letztes Projekt - der Magier-Thriller Prestige - für seine Ansprüche eher durchwachsen ausgefallen war. Sollte er ausgerechnet mit einem potentiellen Blockbuster und einer Ikone des Popcornkinos wieder zu alter Höchstform auflaufen?

Wer The Dark Knight zum ersten Mal sieht, wird sich verwundert die Augen reiben. Das soll der gleiche Regisseur sein? Unmöglich. Nolan läst den seinerzeit vornehmlich positiv aufgenommenen Batman Begins wie eine Rohfassung aussehen. Einen Film von solch visueller Brillanz, thematischer Vielschichtig- und Tiefgründigkeit und nicht zuletzt epischer Wucht hat das in den letzen Jahren mit immerhin einigen Qualitätsfilmen auftrumpfende Superhelden-Genre bisher nicht hervorgebracht. (Dass dies um den Preis eines Genre-untypischen Realismus - das von Chicago „gedoubelte" Gotham und seine Bewohner wirken völlig realitätsnah - erreicht wurde, dürfte allerdings nicht jedem Comicfan gefallen).
Bis in die kleinsten Rollen hervorragend besetzt und gespielt, besticht der Film vor allem durch sein ausgeklügeltes und komplexes Storygerüst. Der phänomenale Erfolg an der Kinokasse ist hochverdient, aber gleichzeitig auch sehr überraschend.. Prall gefüllt mit gesellschaftskritischen und das aktuelle politische Zeitgeschehen aufgreifenden Assoziationen und Denkanstößen ist dies definitiv kein Film für ein in erster Linie knallige Unterhaltung präferierendes, jugendliches Mainstream-Publikum.
Mit The Dark Knight gelang es Ausnahmeregisseur Christopher Nolan erstmals, die Erfolgsformel seines bisher besten Films (Memento) ohne Qualitätsverlust auf das Blockbusterkino zu übertragen. Ein doppelbödiger Plot, dessen verschiedene Schichten und Ebenen erst im Verlauf nach und nach offen gelegt werden. Ungewöhnliche Kamerafahrten und eine ausgeklügelte Bildästhetik, die die bedrohliche Grundstimmung perfekt visuell umsetzen (besonders eindrucksvoll in der IMAX-Version). Vielschichtige und ambivalent gezeichnete Charaktere bei denen „gut" und „böse" nur durch eine feine Linie getrennt sind und die Grenzen oftmals bis zur Unkenntlichkeit verwischen.

Zentraler Motivkomplex ist eindeutig der Krieg gegen den Terror, mit all seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Schon das offizielle Filmplakat macht dieses Anliegen deutlich (Batman steht vor der brennenden Fassade eines gläsernen Wolkenkratzers). Im Verlauf des Films arbeitet Nolan bewusst mit metaphorischen Bildern, deren Ursprung klar identifizierbar ist. Die Allegorien zu den tief nicht nur ins US-amerikanische (visuelle) Gedächtnis eingegrabenen Terroranschlägen von Oklahoma City und des 11. Septembers sind überdeutlich. Die daraus resultierenden Reaktionen und Fragestellungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Filmhandlung: Wie weit dürfen ein Rechtsstaat und seine gewählten Organe gehen, um ihre Bürger zu schützen? Wie viel Unrecht ist erlaubt, um für Gerechtigkeit und vor allem Sicherheit zu sorgen?
Batmans Nemesis „Der Joker" zwingt nicht nur die Behörden Gotham Citys sondern auch den dunklen Ritter selbst sich diesen unangenehmen Fragen zu stellen. Heath Ledger verkörpert in seiner letzten Rolle meisterhaft Batmans Erzfeind als anarchischen Psychopathen, dem es einzig und allein um den Spaß an Terror und Chaos geht. Selbst die Gangsterbosse der Stadt kapitulieren vor seiner zügellosen kriminellen Energie. Keinerlei ideologischer Hintergrund oder monetäres Interesse (er verbrennt einen riesigen Berg Geldbündel vor den entsetzen Augen der Gothamer Unterwelt) schränken sein nihilistisches, vernichtendes Tun ein. Er überzieht die Metropole mit einer Serie perfider Terroranschläge und delektiert sich an dem angerichteten Chaos. Immer wieder stellt er seine Opfer vor Entscheidungen, bei denen sie nur verlieren können.

Auch Batman hat seine eigenen Regeln, wenn es um die Verbrechenskämpfung geht. Auch er steht über und außerhalb des Gesetzes. Dem Joker ist diese deutliche Parallele durchaus bewusst und er hat sichtlich Spaß daran, seinen Widerpart mit dieser schmerzlichen Wahrheit zu malträtieren. Er weidet sich an dem grausamen Dilemma, dass Batmans Versuche seiner habhaft zu werden ihn letztlich zu Methoden greifen lassen, die denen des Jokers immer ähnlicher werden. Als sich Batman in der finalen Auseinandersetzung nur noch mit den Mitteln des totalen Überwachungsstaates zu helfen weiß, wirkt das wie ein Sieg für den anarchischen Verbrecher. Christian Bale gibt eine ungleich differenziertere Vorstellung als im Vorgängerfilm und leuchtet sämtliche Facetten seines innerlich zerrissenen und ständig mit sich hadernden Charakters gekonnt aus. Der in zahlreichen Superheldenadaptionen positiv besetzte Vigilantismus wird hier äußerst kritisch unter die Lupe genommen, seine Schattenseiten, Grenzen und vor allem Gefahren werden deutlich herausgearbeitet. Am Ende erringt Batman lediglich einen temporären Pyrrhussieg, der nur über die Lüge und eine extreme Aushöhlung des Rechtssystems zustande kommt.

Düster, komplex, vielschichtig, doppelbödig, visionär und bildgewaltig ist The Dark Knight eine tiefschwarze und äußerst pessimistische Analyse aktueller gesellschaftspolitischer Problemfelder und Brennpunkte vor allem der USA (aber auch anderer westlicher Demokratien). Das Superheldengenre ist damit endgültig im Erwachsenenkino angekommen. Die seitenlangen Sezierungen im seriösen Feuilleton sprechen für sich. The Dark Knight ist alles andere als leichte Kost, entfaltet aber durch seine wuchtige Inszenierung eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann.
Trotz seiner enormen Lauflänge wirkt der Film wie aus einem Guss und vermag bis zum Ende zu fesseln. Die brachialen, hervorragend choreographierten und photographierten Actioneinlagen haben daran einen deutlichen Anteil. Im Vorgängerfilm ob ihres Selbstzweckhaften Charakters und ihrer hektischen Inszenierung noch ein klarer Schwachpunkt, steht die Action diesmal eindeutig im Dienst der Handlung und treibt diese zusätzlich voran.

Trotz seines übermächtigen, den Film teilweise dominierenden Gegenspielers verkommt der Titelheld nicht zum Statisten. Joker und Fledermausrächer bedingen sich gegenseitig und bedürfen einander, eine Lektion die Batman erst im Schlussakt schmerzlich bewusst wird. Der anarchische Sadist treibt Batman bis an die Grenzen seines ureigenen Rechts- und Moralkodexes und lässt seinen damit einhergehenden Vigilantismus in Sphären vorstoßen, die auch seine engsten Vertrauten nicht mehr mitgehen wollen oder können. Am Ende siegt die Gerechtigkeit nur über eine Lüge. Ein finaler Triumph des nihilistischen Jokers. Der Jäger wird zum Gejagten, aber vielleicht war es das ja ohnehin schon immer.

(9,5/10 Punkten)

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