Review

Schon zum wiederholten Male hat sich in der Mühle eines kleinen serbischen Dorfes ein Mord zugetragen. Die bisherigen Opfer sind allesamt die jeweiligen Müller gewesen, die stets mit grässlichen Bisswunden aufgewunden wurden. Der Rat des Dorfes, bestehend aus dem örtlichen Priester und den angesehensten Männern, steht nun vor einem Problem. Niemand will sich freiwillig dazu bereit erklären, die Nacht in der Mühle außerhalb des Ortes zu verbringen. Den Männern kommt ein junger Mann namens Strahinja gerade recht. Der hat soeben erfolglos bei Zivan, dem reichsten Bauer des Dorfes, um die Hand dessen Tochter Radojka angehalten, doch der arrogante Mann erklärte dem Jüngling, dass er seine Tochter niemals einem Mittellosen wie ihm zur Braut geben wird. Schweren Herzens verabschiedete sich Strahinja von seiner Radojka, die er über alles liebt, und kündigte an, die Gegend zu verlassen, da er es nicht ertrüge, sie irgendwann in den Armen eines anderen sehen zu müssen. Nun bietet der Dorfrat ihm an, die freigewordene Müllerstelle zu übernehmen, ein erster Schritt in die Richtung, eigenes Vermögen anzuhäufen und Radojkas Vater dadurch vielleicht doch irgendwann von seiner Rechtschaffenheit zu überzeugen. Freilich verheimlicht man Strahinja, dass die vorherigen Müller allesamt kein erbauliches Ende nahmen und dass die Dörfler vermuten, dass Sava Savanovic, ein gefürchteter Vampir, seine Pranken dabei im Spiel habe. Strahinja verbringt also die Nacht in der Mühle und tatsächlich wird er von einer gar scheußlichen Kreatur angefallen, überlebt aber unversehrt, als er ins Mehl stürzt, darin versinkt und sich erst am nächsten Morgen in die Freiheit schaufelt. Die Dörfler sind ganz verdutzt, dass er die Nacht heil überstand, und wollen nun alles daran setzen, den Vampir untätig zu machen. Mit Hilfe einer schwerhörigen Greisin und eines Pferdes findet man das Grab Sava Savanovics, treibt einen Pfahl durch den Sarg und erklärt Strahinja im Überschwang der Gefühle, dass man ihm nun helfen wolle, seine geliebte Radojka an sich zu reißen. So planen die Männer eine Entführung, vereinen die Liebenden und organisieren die rauschende Hochzeit, die nicht nur die junge Liebe feiern soll, sondern auch den Umstand, dass der Fluch von dem Dorf genommen wurde und sich in Zukunft kein Mord mehr in der Mühle zutragen wird. Zivan, seiner Tochter beraubt, allerdings schwört dem Dorf schwere Rache… LEPTIRICA ist nichts anderes als ein Meisterwerk, einer der unheimlichsten Horrorfilme, die ich jemals gesehen habe, ein Gedicht aus Bildern, ein wundervolles Märchen. 1973 fürs jugoslawische Fernsehen gedreht und mit äußerst beschränktem Budget inszeniert, gelang es Regisseur Djordje Kadijevic mit den geringsten Mitteln maximale Wirkung zu erzielen. LEPTIRICA wirkt, als ob man von einer Großmutter eine Legende aus längst vergangenen Tagen vorgelesen bekommt. Der Film hat viel von der Magie des frühen Kinos, als es noch ausreichte, dem Publikum sich bewegende Bilder zu zeigen, um es sprachlos werden zu lassen. Mich hat LEPTIRICA von der ersten Sekunde an gefesselt und bis zum Ende nicht losgelassen.

Vor allem gefallen hat mir, dass LEPTIRICA nicht nur ein Film fürs Auge, sondern auch ein Schmaus für die Ohren ist. Schier genial setzt Kadijevic auf Sounds. Auf Originalmusik wird beispielweise komplett verzichtet, nur an drei Stellen erklingen serbische Folklorelieder, von Frauenchören vorgetragen, aus der Ferne, ansonsten verlässt der Film sich ganz auf seine natürliche Geräuschkulisse, wodurch er vor allem in den schaurigen Szenen gewinnt. So sind einige Szenen, bei denen der Zuschauer schon mehr weiß als die Protagonisten und das Unheil voraussieht, mit lieblichem Vogelgezwitscher unterlegt. Jedes Mal, wenn der Vampir auftritt, ertönen Laute, die mich am ehesten an grässliche Affenschreie erinnern. Das Mühlrad stellt seine Bewegungen ein. Eine ohrenbetäubende Stille entsteht, in der jedes Dielenknarren wie ein Orkan tost.

Daneben sind jedoch auch die Bilder ein wahrer Genuss. LEPTIRICA schafft es trotz des unleugbaren TV-Looks quasi jede Szene zu einem exzellent photographierten Kunstwerk werden zu lassen. Wenn Radojka allein durch den Wald streift, sich schließlich mit dem Rücken ins Gras legt und zu den Blätterdächern der Bäumen hinaufstarrt oder wenn sie in ein anderer Szene, die das Unheil das Finale bereits ahnen lässt, exakt so vor der Sonne platziert wird, dass ihr Kopf sie verdeckt, und ihre Strahlen ungehindert in die Kamera knallen lassen, als sie sich kurz umdreht, wodurch das gesamte Bild im grellen Weiß verschwindet, dann sind das ganz große Momente des Kinos. An den Schauspielern habe ich ebenso wenig auszusetzen wie an der Geschichte, die zeitlos wie ein Mythos zu sein scheint, und teilweise wie ein Traum wirkt.

Dass die Mitglieder des Dorfrats alle recht lächerliche Feiglinge sind, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Streit verfallen, trägt mehr zu der bizarren, merkwürdigen Atmosphäre des Films bei als dass es sie zerstört. Allein die Art und Weise wie die Männer das Grab Sava Savanovics aufstöbern, kommt derart skurril und surreal daher, dass man gar nicht recht weiß, ob man darüber nun amüsiert oder eher verwirt sein soll. Highlights sind natürlich die drei Horrorszenen, zwei davon in der Mühle und die letzte im grandiosen Finale. LEPTIRICA beruft sich in ihnen wohl nicht zufällig auf zwei große Klassiker des Vampirfilms. An NOSFERATU muss man nicht nur wegen der osteuropäischen Landschaft und den Krallen des Vampirs denken, in einer Szene, wo die schlafende Radojka von unten her gefilmt wird, findet sich sogar eine recht deutliche Anspielung auf den Klassiker von Murnau. Und eine Szene in der Mühle hat mich unwillkürlich an Dreyers oft unterschätzten VAMPYR denken lassen. Jedoch funktioniert LEPTIRICA auch für sich alleine, ohne diese Vorbilder heranziehen zu müssen. Der Vampir selbst ist äußerst phantasievoll dargestellt, und dadurch, dass die Angriffe in der Mühle in nahezu komplettem Schweigen stattfinden, versprühen sie einen Grusel, der vielen anderen ähnlich gelagerten Werken abgeht. Besonders schaurig ist dabei, dass die Bestie ihre Krallen stets erst ins Mehl taucht, sie sich damit einreibt bis sie weiß glänzen bevor sie sich über ihre Opfer hermacht. Zweimal wird es gar erstaunlich blutig und der Schluss des Films, den ich so nun wirklich nicht erwartete und der alles, was zuvor passierte, an Bizarrerie locker überbietet, gleicht einem einzigen Alptraum.

Für mich ist LEPTIRICA einer der besten Horrorfilme, die jemals gedreht wurden, eben weil er es, wie NOSFERATU und VAMPYR versteht, den Zuschauer trotz der Gewissheit, dass das alles nur ein Film ist, mit wenig Brimborium in Angst und Schrecken zu versetzen.

Details
Ähnliche Filme