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Eine Frau fährt mit dem Auto durch einen winterlichen Wald, nimmt einen Anhalter mit, der sich als Vergewaltiger entpuppt und sie quer durch das Gehölz jagt. Ein anderer Ort, die Frau gerät in ein Haus einer Familie, die ihr ebenfalls übel mitspielt, sie quält, foltert und missbraucht. So in etwa würde sich sehr übersichtlich der Plot lesen, doch "Hysteria" ist ein trotz seiner augenscheinlichen Handlung weitgehend chiffrierter Film, der mitunter aufgrund seiner Verweise Rückschlüsse auf den artifiziellen Inhalt zulässt. Die schräge Familie, an die die Protagonistin auf ihrem Leidensweg gerät, inszeniert sich wie eine groteske Theatergruppe aus der Stummfilmzeit. Der Look in deren Heim gleicht dem, in Sepiatönen, weichgezeichnet und ausgeblichen steigt zum feierlichen Treffen das scheintote Familienoberhaupt mit seinem Hammer aus einem Sarg, als hätte Tobe Hoopers legendäres "Texas Kettensägen Massaker" in der Ära des Schwarz-Weiß-Films seinen Ursprung. Inspiriert auch durch Roger Watkins Undergroundklassiker "Last House On Dead End Street" ist es grob umrissen eine bösartige Geschichte über Sex und Gewalt in teils exploitativer Form, über Leben und Tod auf einer irrealen Realitätsebene. Sowohl die wiederkehrenden Einstellungen der Verfolgung des mittlerweile nackten Opfers (wohl bemerkt im Dezemberschnee) durch den schweinegesichtig Maskierten zwischen Nadelbäumen in kalten, überstrahlten und übereinander gelagerten Blautönen wie auch pornographische, direkte, hart abgelichtete monochrom rote Bilder aus der Hardcoreschwulenszene erinnern in der bildlichen Ästhetik und dem Inhalt nicht selten an Werke von "Death In June" beispielsweise. Tatsächlich jedoch stammt der dazugehörige Score, neben den klassischen Orgelwerken von Johann Sebastian Bach in den nostalgischen Sequenzen, unter anderem von IO sowie Bahntier mit ihren krachigen Industrialsounds und verstärkt den verstörenden Eindruck, den dieses äußerst sperrige Werk hinterlässt. Mag manch Theatralik der Darsteller zunächst noch den einen oder anderen Schmunzler hervorrufen, so macht sich im weiteren Verlauf die Humorlosigkeit beim Blick auf die abgründigen sowie hilflosen Emotionen breit, die dieses experimentelle Horrordrama auslotet. Weder zartbesaitete noch mainstreamverliebte Zuschauer werden daran Freude haben, denn Regisseur Edwin Brienen, der selbst einen kurzen Cameoauftritt hat, ist ungleich schwerer bei seinen Spielfilmen verdaulich, als manche Auftragsarbeit von ihm, wie Musikvideos, u.a. für Joachim Witt. Mit seinen zwei parallel und nicht chronologisch folgerichtig geschnittenen Handlungssträngen verlangt er seinem Publikum ebenso Aufmerksamkeit ab, wie mit den dialog- doch nicht ausdruckslosen Charakteren, der sich die glaubhafte Hauptdarstellerin bis zum hysterischen Wahnsinn ausgeliefert sieht. Kontroversen sind dem niederländischen Filmemacher nicht neu und so ist dieses Werk gespickt mit Erniedrigung, Demütigung und der Lust an Folter in einer rohen, doch nicht an Gore orientierten Art und offenbart dem aufmerksamen Betrachter darüber hinaus auf einer weiteren Ebene eine religiösen wie politischen Subtext. Auch dort stehen die metaphorischen Symbolismen zwischen dem realen Albtraum und der düsteren Fantasie, ein Spiel, dass durch die erste der Jugendstil-Texttafeln mit "What's your Reality" angedeutet wird und sich wie ein roter Faden über die gesamte Laufzeit zieht. Das lässt immer wieder einigen Freiraum zu Interpretationen zu, wobei eine assoziative Herangehensweise dem Ergebnis mit all seiner digitalen Überzeichnung vom fnord-Team ("K - Der Film") sicher am ehesten gerecht wird. Man sollte gewiss keinen einfach eben sleazigen Arthaushorror, wie er momentan salonfähig wird, erwarten, denn nicht allein das Fehlen vom gesprochenen Wort macht eine tiefere Auseinandersetzung nötig. Edwin Brienen macht es schier unmöglich, diesen Film simpel zur Berieselung zu betrachten und verarbeitet ein ganzes Bündel dessen, was die Gesellschaft in Europa als unangenehm bösartig empfindet. Eine simple Klassifizierung in ein Genre oder eines Inhalts käme dem Versuch gleich, ein satanisches Ritual mit einer erklärenden Formel zu entmystifizieren. Einem solch zweckgebundenen Akt ähnelt das Stilmittel der rhythmischen Wiederholung, denn eines ist "Hysteria" formaltechisch wie inhaltlich gewiss nicht: leicht verdauliche Unterhaltung.

Fazit: Wer sich auf ein sperriges, schwer konsumierbares, experimentelles Horrordrama einlässt, bekommt hinter der Kryptografie einige Einblicke auf Abgründe, die ein ungutes Weltbild hinterlassen. Das funktioniert als visuelles Erlebniskino und nicht durch eine ausgeklügelte Story. 6/10 Punkten

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