Review

  „Die Macht der Legende"

Legenden haben häufig eine größere Strahlkraft als die Wirklichkeit. Geschichtsklitterung kann manchmal mehr bewirken, als die historische Wahrheit. Sie kann sinnstiftend und identitätsfördernd sein. Das gilt vor allem für kriegerische Ereignisse und Kampfhandlungen. Kaum eine europäische Großmacht, die nicht bis mindestens zum Ende des zweiten Weltkriegs vermeintliche Heroen und Heldentaten instrumentalisierte, um die eigene Größe anhand ihrer ruhmreichen Vergangenheit zu glorifizieren.
Ähnliches gilt im besonderen Maße auch für die USA, deren rasanter Aufstieg vor allem während ihrer Gründerjahre mühsam mit sehr viel Blut, Gewalt und körperlicher Anstrengung erkämpft worden war. Unabhängigkeitskrieg, Bürgerkrieg sowie die Indianerkriege boten und bieten dabei einen schier unerschöpflichen Fundus an Material und Stoff für Identitätsstiftende Legenden.  So galt General Armstrong Custers verheerende Niederlage gegen eine indianische Übermacht am Little Big Horn lange Zeit als heroisches Opfer für ein hehres Ziel: die endgültige „Befriedung" des Kontinents. Heute wird Custers „Heldentat" auch in den USA weitaus differenzierter gesehen und ist längst als tolldreiste militärische Dummheit entlarvt. Die Legende indes konnte nie vollständig zerstört werden.

Western-Spezialist John Ford widmete sich dieser Thematik im ersten Film seiner berühmten „Kavallerie-Trilogie". Fort Apache (Bis zum letzten Mann im deutschen Verleihtitel) kann durchaus lediglich als „klassische" Westernunterhaltung konsumiert werden, bietet dem interessierten Betrachter aber auch eine differenzierte Studie über Legendenbildung und die Bedeutung von Mythen.
Aus General Custer wurde Colonel Thursday und aus Sioux-Häuptling Sitting Bulls vereinigtem Indianerheer wurden Cochises Apachen.  Wie sein historisches Vorbild ist auch Thursday ein arroganter und starrsinniger Offizier, allerdings ohne dessen Schneidigkeit und Abenteuerlust. Der auf den entlegenen Vorposten „Fort Apache" (straf-)versetzte Thursday ist steif, spießig, unnahbar und gefühlskalt. Er legt äußersten Wert auf korrekte Kleidung, unbedingten Gehorsam und eiserne Disziplin. Konstruktive Vorschläge untergebener Offiziere oder gar Unteroffiziere schätzt er nicht. Wiederholt führt er seinen höheren Dienstrang ins Feld, um mögliche Diskussionen bereits im Keim zu ersticken. Seiner Tochter Philadelphia - die sich im Unterschied zu ihm dank ihrer offenen und herzlichen Art sofort in die Gemeinschaft des Forts integriert und schnell Freunde findet - verbietet er den Umgang mit dem frischgebackenen Lieutenant Michael O´Rourke. Dieser stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ist als Sergeant Major gar lediglich Unteroffizier. Für den von einem ausgeprägten Standesdünkel beherrschten Thursday natürlich eine unmögliche Verbindung. Henry Fonda spielt diesen emotional verkrüppelten Unsympathen mit eingefrorener Mimik und stocksteifer Körperhaltung.

Captain York ist Thursdays Gegenpol. Eine Paraderolle für Fords Lieblingsdarsteller John Wayne. In seiner gewohnt lässigen, hemdsärmlichen und von einer natürlichen Autorität geprägten Art, bietet er schon rein optisch einen klaren Gegenentwurf zum hölzernen und kleinkarierten Thursday Fondas. Individualismus, Menschlichkeit, Flexibilität, Pragmatismus und Anerkennung kennzeichnen den umgänglichen und beliebten York. Die raue Wirklichkeit auf dem entlegenen Vorposten hat die Männer (und deren Frauen) zusammengeschweißt. Im Fort herrscht ein freundschaftlicher und kameradschaftlicher Umgangston. Das positive Klima innerhalb der Gemeinschaft ist nicht zuletzt ein Verdienst von Yorks eher lockerem Führungsstil.
Thursday rauscht in diese Idylle wie ein plötzlicher Artilleriebeschuss. Das wird besonders deutlich bei den von Ford stets als Gemeinschaftsritual inszenierten Tänzen. Zweimal unterbricht er traditionelle Tanzveranstaltungen der Fortbewohner und bringt die ausgelassene Stimmung abrupt zum Erliegen. Nirgends wird seine Isolation und seine Funktion als Fremdkörper augenscheinlicher, sein mangelndes Taktgefühl und seine Unfähigkeit am sozialen Leben teilzunehmen signifikanter herausgearbeitet.

Interessant ist im Konfliktfeld Thursday - York auch der Umgang mit den Indianern. Während York die rechtswidrige Flucht der Apachen aus dem ihnen zugewiesenen Reservat voll und ganz verstehen kann (der ihnen zugeteilte, korrupte Regierungsbeamte Meachum verweigerte ihnen Nahrung und Kleidung und versorgte sie statt dessen mit billigem Fusel und Gewehren), sieht Thursdays Cochises Tat als strafbare Handlung, die eine militärische Vergeltungsaktion erfordert. Während York erklärt, Cochise habe nur getan, was jeder anständige Mann getan hätte, bezeichnet Thursday den Häuptling und alle Indianer als ehrlos und verlogen. Als die Apachen dank der Vermittlung des auch bei ihnen angesehen York zu Verhandlungen zurückkehren, bricht Thursday sein Wort und erscheint bewaffnet mit seinem gesamten Regiment. Das von York den Indianern gegebene Ehrenwort hat für Thursday dagegen keinerlei Bedeutung. Von Beginn an auf Konfrontation aus, brüskiert er den Apachenhäuptling und treibt ihn zum Kampf.

Fords stetig wachsende Sympathien für die amerikanischen Ureinwohner sind in Fort Apache bereits deutlich zu spüren. Durch seine häufigen Dreharbeiten im Monument Valley (ein Teil der Navajo Reservation) lernte er die indianische Kultur und deren Denkungsart immer besser kennen und gewann zahlreiche Freunde.  Die beiden Protagonisten stehen stellvertretend für konträre Einstellungen gegenüber den Indianern und Ford lässt keinen Zweifel daran, wessen Einstellung er persönlich teilt. Die positive Identifikationsfigur des Films (York) begegnet den Indianern mit Respekt und Verständnis. Der selbst ehrlose Thursday spricht den Indianern dagegen jegliche Ehre ab und hält ihnen gegenüber auch Verrat für gerechtfertigt. Während York seine Männer dank eines auf gegenseitiger Achtung beruhenden Verhältnisses zu Cochise retten kann, bezahlt der ruhmsüchtige Colonel seine menschenverachtende Haltung mit einem sinnlosen Massaker unter einer Einheit und dem eigenen Leben.

Trotz dieser negativen Führungsfigur wird die Kavallerie und damit die Armee nie ernsthaft in Frage gestellt. Ihre entscheidende Rolle bei der Eroberung des (Wilden) Westens für die weiße Zivilisation war stets einer der Grundpfeiler des Fordschen Geschichtsverständnisses. Geprägt vom Zweiten Weltkrieg (über den er ebenfalls zahlreiche Filme drehte), war der Regisseur vom Wert und der sinnstiftenden Bedeutung des US-Militärs überzeugt. Kritischere Töne sollten sich erst in seinem Spätwerk zeigen - u.a. im Meisterwerk Der Schwarze Falke und besonders in seinem letzten Western Cheyenne Autumn - , als sein lange Zeit idealisiertes USA-Bild etwas brüchiger wurde.
Fort Apache liefert lediglich eine Studie über zwei konträre Führungsstile, die ob ihrer extremen Ausrichtung beide nicht zum Erfolg führen. Während Thursday für seinen Starrsinn, seine Überheblichkeit und seine Ruhmsucht grausam bestraft wird, muss der überlebende York einen Teil seines Individualismus und seiner Lässigkeit aufgeben, um das Fortbestehen seiner Einheit und damit der gesamten Kavallerie zu sichern.

Das vieldiskutierte und nicht selten auf Unverständnis gestoßene Ende des Films macht diese These deutlich. Dank seiner auf gegenseitigem Respekt beruhenden Beziehung zu Cochise gelingt es York, die von Thursdays selbstmörderischer Attacke verschont gebliebene Nachhut wohlbehalten ins Fort zurück zu bringen. Vor extra angereisten, sensationshungrigen  Reportern bezeichnet er Thursday dann wider besseren Wissens und Gewissens als Held und verklärt seine militärische Dummheit zum heroischen Opfergang.
John Ford wurde für diesen überraschenden Schlusstwist häufig kritisiert (in der stark gekürzten deutschen Kinoversion ist die Szene gar nur verstümmelt enthalten). Ist das nun blanker Zynismus, oder eine sich beim konservativen Zielpublikum anbiedernde Verlogenheit? Weder noch. John Ford ist oft als konservativer Utopist, als romantischer Realist bezeichnet worden. In der Schlusssequenz von Fort Apache kommen all diese Widersprüche zusammen. Ford bekennt sich hier zur Notwendigkeit von Legenden für das Selbstverständnis und das Fortbestehen eines Landes. Ein Mythos wird erschaffen, um kommenden Generationen ein Vorbild, ein identitätsstiftendes Ideal zu geben. Letztlich zählt nur der Verlauf der Geschichte, der von positiven Gedanken und Gefühlen beseelte Aufbruch in eine neue Welt, notfalls eben auch basierend auf einer Lüge.

(8,5/10 Punkten)

Details
Ähnliche Filme