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Eine Kamera blickt auf eine Kamera. Wahrheit blickt auf Lüge. "Die Kamera lügt 24 mal in der Sekunde", sagt De Palma. "Film ist Wahrheit: 24 mal in der Sekunde", sagt Godard. "Mise-en-abyme" zitiert sowohl den einen als auch den anderen. Im Teaser zitiert der Regisseur, Björn Last, Andreas Thomas: "Schwarzweiß ist halbe Filmkunst". Viele Zitate hier. Ich habe auch eines, betrifft "Mise-en-abyme": "Ein Scheißfilm. Scheiße ist der, prätentiös", schwatzt nämlich der Filmkritiker. Natürlich hat er mit letzterem nicht Unrecht. Die Bilder in diesem Werk sind überwiegend schwarzweiß, Außenaufnahmen bilden die Ausnahmen. Folglich will er Filmkunst sein, dieser Film, der sich etwas vorgenommen hat.

Björn Last ist der Mann des Mitternachtskinos. Und im Grunde will sein Kurzfilmdebüt eigentlich mehr als nur Film sein. Dafür ist der Mise-en-abyme-Begriff genau begriffen. Von der Idee des Bildes im Bild beziehungsweise des Filmes im Film aus reift Lasts Werk zur Bellevue der Selbstspiegelung mit unzähligen Reverenzen. Es ist kein Scheißfilm, wie der Filmkritiker in "Mise-en-abyme" meint. Eine Figur wie ihn jedoch in den Film zu implementieren und ihm das Worst-case-Vokabular der Kritik in den Mund zu legen, wirkt, ganz nebenbei bemerkt, wie eine präventive Resistenzspritze gegen den Wind der realen Kritik, bringt in erster Line aber vortrefflich das zum Ausdruck, was zum Ausdruck gebracht werden soll: Dieses Stück Zelluloid versteht sich selbst als Stück Zelluloid.

Gleichbedeutend ist diese selbstironische Erkenntnis mit der Demontage aller Illusionen, die das Medium inszeniert. In "Mise-en-abyme" geht es darum, den Traum von filmischer Wahrheit zu zerstören. Knapp 19 Minuten dauert es, dann ist die eindrucksvolle Demonstration beendet. Eine philisterhafte, staubige Lehrstunde war es nicht, auch wenn uns einige filmtheoretische Aphorismen begegnen. Die Aufschlüsselung der Scheinwahrheit vollzieht sich auf medienkompetente und ungemein erfinderische Weise in der fragmentarischen Darstellung eines Filmdrehs oder besser: in der Selbstbeobachtung, die in der zeitlichen Kongruenz von Drehbuch-Schreiben und Drehbuch-Verfilmen ihren Höhepunkt findet. Geistreich und humorvoll hebt Lasts Kurzfilm die Illusion aus den Angeln, macht sich das fehlende Potenzial zur vollendeten schauspielerischen Professionalität zunutze und spielt überhaupt stets das Spiel des Unerwarteten.

In einer Szene tritt Suntje Freier als Aufnahmeleiterin für 10 Sekunden aus dem Bild, um danach zu behaupten, es wäre eine halbe Stunde gewesen. In einer anderen stopft sich Steven Sonntag zum Mittag sinnbildlich Filmrollenschnipsel in den Mund. Und in wiederum einer anderen doubelt ein aufblasbarer Stuntman aus Gummi einen Sprung aus einem mehrstöckigen Gebäude bewusst noch dilettantischer als etwa in der "Schrecklich netten Familie", die aus den Stürzen plumper Doublepuppen einen wunderbaren Running Gag machte. Permanent also bricht Last die Filmregeln. Mal improvisieren Regisseur und Darstellerin planmäßig, mal liegt das Bild auf der Seite. In seine Einzelteile rückübersetzt der Autodidakt das Medium, wenn ein bis aufs Skelett reduzierter Dialog vor weißer Leinwand performt wird, die musikalische Untermalung sich per Knopfdruck auf den Kassettenrekorder unterbrechen lässt und die Bewegung in einer überwiegend als Fotostory präsentierten Szene zu den kinematographischen Ursprüngen zurückkehrt.

Wenn dort im Foto mitunter noch hin- und hergezoomt wird, dann ist die Verbeugung vor "La Jetée" und Chris Marker ohne Zweifel ausgemacht. Solche Ehrerweisungen aus lauter Liebe zum Film gibt es viele: Von der choreografischen Nachahmung einer Drehung Klaus Kinskis in "Aguirre, der Zorn Gottes", bis hin zum Werner-Herzog-Ausspruch "In Celluloid we trust" aus "The White Diamond". Selbst in den Namen der Protagonisten verstecken sich Anspielungen. Nick Reff etwa deutet auf Nick Reve aus "Living in Oblivion" hin, noch so einer Film-im-Film-Odyssee über einen chaotischen Filmdreh, mit ebensolchen Wechseln zwischen Schwarzweiß und Farbe und umgekehrt. Entlarvte Illusionen auch hier. Doch obwohl alles in "Mise-en-abyme" darum kreist, stehen am Ende Godards Worte diametral zum Beginn und damit zum De-Palma-Zitat: "Film ist Wahrheit: 24 mal in der Sekunde". Auch das ist natürlich nicht unwahr.

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