Review

-- Lauter große Regisseure backen kleine Brötchen, oder: "Mit dem Japaner-Reisebus durch Paris gehetzt" --

Annähernd wie der Episodenfilm “Paris, je t’aime” sähe es vermutlich aus, wenn ein Sehbehinderter ein Bildpuzzle zusammenlegte: Die Einzelteile planlos auf dem Tisch verstreut, Verbindungsstücke zwischen den willkürlich nebeneinander liegenden -- und daher nicht aneinander passenden --Puzzleteilen sind, wenn denn überhaupt, mit dem Hammer angepasst, nichts fügt sich zu einem übergeordneten Gesamtbild zusammen, es bleibt bei einer chaotischen Ansammlung kleiner Bildpuzzle-Teile, ein allumfassendes Konzept ist nur mit Mühe zu erkennen... Doch halt, um Liebe geht es da überall, ja, und um Paris (versucht man dem Zuschauer jedenfalls zu suggerieren, aber die meisten Episoden hätten meines Erachtens gut und gerne auch in Buxtehude spielen können). Aber gut, Liebe und Paris. Wem das Konzept genug ist, mag vielleicht Gefallen an diesem Film (bestehend aus in scheinbar beliebiger Reihenfolge präsentierten Kurzepisoden -- zusammengehalten nur durch die gut gemeinten aber nicht gekonnten Montagen am Anfang und Ende des Gesamtfilms) finden.

Ich für meinen Teil aber fand es furchtbar ermüdend, dieser redundanten Collage der diversen Spielarten menschlicher Liebe beizuwohnen. Neue Liebe, alte Liebe, blinde Liebe, geduldige Liebe, ungestüme Liebe, Rassenschranken-überwindende Liebe, dahinscheidende Liebe,... Mein Gott, es will einfach kein Ende nehmen. Und alles wird in solch einem Mordstempo vermittelt, dass einem schwindelig werden kann. Überflüssig zu erwähnen, dass die meisten der Episoden ohne jegliche Tiefe oberflächlich abgehandelt werden. Aber wie sollte auch Tiefe entstehen, muss doch jede der rund zwei Dutzend Episoden in nur drei bis fünf Minuten heruntergerattert werden - mehr Zeit ist nicht. Nun könnte man meinen, gestandene Regisseure wüssten mit der ihnen gegebenen Zeit umzugehen. Aber Pustekuchen. Da wird teilweise versucht, in eine dreiminütige Episode die gesamte Lebensgeschichte eines Menschen zu pressen. Extremes Beispiel hierfür ist Isabelle Coixets Episode “Bastille”, in der die Regisseurin so viele Informationen unterzubringen versucht, dass der Off-Kommentar ja schon wie eine exorbitante Tzunami-Welle über den Zuschauer hereinbricht. Alles in dieser Geschichte um die todkranke Frau und ihren untreuen Gatten wird überhastet und ohne Tiefe kommuniziert; die Emotionen der Personen sind für den Zuschauer weder greifbar noch erlebbar, denn sie werden ihm von der Erzählstimme vorgekaut. Vor allem ist diese Episode banal und moralisiert aufs simpelste, indem sie den untreuen Ehemann ganz wohlfeil vom Saulus zum Paulus mutieren lässt.

Aber auch viele der anderen Regisseure haben merkliche Schwierigkeiten, aus ihren drei bis fünf Minuten etwas zu kreieren, dass mich berührt, verzaubert, involviert, charmant oder einfach nur interessant wäre. Triviale Plotelemente, Klischees und Allgemeinplätze geben sich die Klinke in die Hand:
Nehmen wir beispielsweise die Episode um den französischen Jugendlichen und die muslimische Einwanderin -- in ihrem Kern eine Geschichte, die schon oft erzählt wurde, und zwar besser, denn hier in "Paris, je t'aime" werden ihr keine neuen Aspekte abgewonnen und sie wird auch wahrlich nicht auf bereichernde Weise inszeniert.
Oder nehmen wir Wes Cravens Episode "Pere-Lachaise", in der ein Geist einem charakterlich unreinen Lebenden den rechten Weg weist -- eine Thematik, die wir in ihrem Kern bei Charles Dickens schon viel besser erlebt haben.

Dennoch: Nicht alle Episoden sind schlecht. Aber: Wird man ausnahmsweise mal mit den Protagonisten einer der Kurzgeschichten warm und fängt an sich für sie zu interessieren, kommt auch schon prompt der unsanfte Übergang zur nächsten Episode: Andere Menschen, andere Probleme, ein anderer Ort in Paris, wieder Liebe und wieder nur drei bis fünf Minuten Aufenthalt, bevor man mit Arschtritten zum nächsten Schauplatz befördert wird. Und noch mal. Und noch mal. Nach dieser zweistündigen filmischen Tour de Force war ich übermüdet und konnte mich des Gefühls nicht erwehren, mit mehr Eindrücken bombardiert worden zu sein, als ich zu verarbeiten in der Lage bin. Vieles wurde schnell vergessen oder wirkt in der Erinnerung so unscharf wie die Details einer durchzechten Nacht:

Natalie Portman war da irgendwo anwesend (und zeigte bereits in den ersten zehn Sekunden ihrer Screentime die gesamte Bandbreite ihres schauspielerischen Könnens: Heulen und Rumtoben), auch Maggie Gyllenhaal habe ich irgendwo gesehen (und sie war saugut - das weiß ich noch, nicht aber die Handlung ihrer Episode - irgendwas mit Drogendealer trifft auf Schauspielerin), Alfonso Cuaron enttäuschte irgendwann mit einem mit nur einer Kameraeinstellung gefilmten Spaziergang mit vorhersagbarem Schlussgag), Tom Tykwer zeigte eine Episode von der Art her angesiedelt irgendwo zwischen “Lola rennt” und “Der Krieger und die Kaiserin”, Isabelle Coixet bemühte wie oben schon erwähnt wieder mal das Motiv der schweren Krankheit (ist irgendwann auch mal gut, Gnädigste?), die Coen-Brüder inszenierten erneut Steve Buscemi, Gus van Sant zeigte die von ihm präferierte Sorte junger Männer, Alexander Payne zeichnete in wenigen Minuten das nächste Bild aus seiner Reihe “gescheiterte Lebensentwürfe”, ...

Das alles ist nicht per se und ausnahmslos schlecht, und “Paris, je t’aime” hat zweifelsohne seine Momente. Aber alles an diesem Film wirkt wie Kraut und Rüben: Jeder Regisseur zieht sein eigenes Ding in seinem eigenen Stil durch, was den eh schon vorhandenen Eindruck der Sprunghaftigkeit und Eile von “Paris, je t’aime” nur noch verstärkt. Und da sich die Regisseure scheinbar nicht untereinander abgesprochen haben und kein vernünftiges gemeinsames Konzept entworfen haben, ergibt die Summe ihrer Kurzfilme kein stimmiges Gesamtbild, sondern stellt eine bloße Aneinanderreihung von Segmenten dar, die bis auf die Prämisse “Liebe in Paris” und die kurze Laufzeit von 3 bis 5 Minuten nichts gemeinsam haben - weder stilistisch noch erzählerisch. Wie oben schon erwähnt, ergibt hier nichts ein großes Ganzes, die Episoden sind zu kurz und teilweise zu oberflächlich oder schlicht zu trivial erzählt, der Zuschauer wird mit Eindrücken regelrecht erschlagen, die dauernden Regie- und Stilwechsel zwischen den einzelnen Segmenten wirken irgendwann nur noch furchtbar ermüdend.

Wenn es etwas gibt, dass mich mit “Paris, je t’aime” versöhnt, dann einerseits die schön gestaltete, wortlose Episode um den Pantomimespieler und andererseits am Ende Gerard Depardieus Episode “Quartier Latin”, die einfach nur ein Gespräch zwischen (bald) geschiedenen Menschen in einem Cafe zeigt und wie eine charmante Momentaufnahme aus dem Leben dieser Menschen wirkt und somit einen ruhigen Gegenpol bildet zu der Hektik, die einem in diesem Film ansonsten um die Ohren fliegt. 

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