Review

Gelungener Einstand ins Regiefach


Marian Dora erlernte sein blutiges Handwerk bei Ulli Lommel, war als Produzent dubioser Filmwerke tätig und wechselte dann eigenständig ins Filmfach als Autor und Regisseur. Bislang brachte es Dora nur auf zwei Filme; die es aber dicke in sich haben und den ahnungslosen Zuschauer zum Nachdenken geben.

Eines dieser Arthousefilme, auch Kunstwerke moderner Zeit genannt und zugleich Erstlingswerk, ist "Cannibal" und erzählt die Geschichte des berühmt berüchtigten Armin Meiwes, der als "Kannibale von Rothenburg" in die Geschichtsbücher der Profiler einging. Dieser Fall von Menschenfresserei sorgte für Furore und für neuen Stoff der Filmproduzenten. Während "Rothenburg" der kommerzielle Kinotitel verboten wurde; weniger wegen extremer Gewaltdarstellung, sondern urheberrechtlicher Geschichten von Meiwes aus, konzentrierte sich Dora auf die ekligere Seite der Nacht, die in Rothenburg blutig zu Ende ging. Im Underground liess es sich ohne Konsequenzen im strafrelevanten Sinne arbeiten, im Gegensatz zum Kinofilm, der dann später gerichtlich doch noch freigegeben wurde. Dieser legte mehr Wert auf die psychologischen Hintergründe der Tat,während Dora die Bluttat authentisch durch Voyeuristische Betrachtungsweise darstellt.

Wieder einmal macht sich Dora`s Stil bemerkbar; kurze Rollennamen der Charaktere werden verliehen, nämlich Der Mann und das Fleisch, (Mann, wieder eine klasse Darbietung von Katzedarsteller Carsten Frank) verabreden sich im Homochat bei Mann,mit dem Wissen, dass kannibalistische und machochistische Neigungen mit Todessehnsucht aufeinanderprallen und ausschweifen werden. Nach zögerlichen Versuchen und Ablehnungsgewissen kommt es doch zu der ungeheuerlichen und grausamen Bluttat.

Mit Carsten Frank und Victor Brandl besetzte Dora diesen Exploitationsfilm spitzenklasse; beide geben sich ihren Rollen voller Inbrunst hin, fusionieren regelrecht mit den Charakteren,allen voran Carsten Frank, der den Psychospacko überzeugend gibt und auch schon bei "Melancholie der Engel" als Katze mit Schuss total zu überzeugen weiss.

Marian Dora zeigt schonungslos in einer von Kammerspielartigen Atmosphäre geprägten Trieb und kranken Wollust zweier Männer, die ihre Lust durch brutales Verstümmeln und Zerstückeln mit anschliessendem Verspeisen der Leichenteile gewinnen, der eine passiv, der andere aktiv.
Man taucht ein in die Welt psychisch gestörter Individuen, die abseits unserer Gesellschaft nach dem letzten Kick, der höchsten Stufe ihrer kranken Sexualität ausleben und deren Realität mit ihrer eigenen kleinen Welt verschwimmt.

Der Regisseur hält sich steif an die Fakten des Gruselfalls, veränderte hier und dort mal ein kleines Detail, was eher randlastig zu verbuchen wäre.
Viel krasser erscheint die stimmige und von Leid gestanzte Zweisamkeit, die Abrechnung mit dem Leben, dem Wunsch,endlich miteinander im Fleische zu verschmelzen und sich selbst zu spüren, jemanden zu haben, der die Leidenschaft mit einem teilt; dieses verstörende Psychogramm wird einem vor das jungfräuliche Auge geführt,mit der Absicht, dem Zuschauer seine erbärmlichste Grenzen des absurden und makabren aufzuzeigen.

Authenzität war Dora wichtig und die gelang ihm eindringlichst. Allen voran eine düstere Location, wie man sie nur selten kennt und realistischen FX, wie sie kaum aus Amateurfilmen bekannt sind.
Im Film wird kaum gesprochen, er lebt eher von seiner Bildsprache; Worte sind bei "Cannibal" überflüssig, genauso wie die Musikuntermalung, die stimmig passt , aber der Film allein versprüht Ausdrucksstärke.
Ich würde lügen, wenn ich sage,hier handele es sich nicht um Filmkunst. Dora beschreitet neue Wege im Filmbusiness und öffnet neue Tore im Zeitalter brutaler Medien.

Kritik: Auch wenn "Cannibal" nicht für die breite Masse geeignet ist,für einen Undergroundfilm besitzt der Streifen Klasse. Auch wenn die Zerstückelungs- und Fressszene zu drastisch ausgefallen ist, hat der Film Anspruchswert und Kultpotential, denn die die Darstellung des beklemmenden Psychokammerspiels ist atemberaubend, nervenzerfetzend, magenkrampfend und beeindruckend.
Ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht!

9 von 10

Ist die Beschlagnahmung gerechtfertigt? Klarer Fall von §131 StGb. Der Zuschauer als Voyeur von grausamer Menschentötung im detailfreudigen Sinne.

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