Review

Tja, man sollte tunlichst vermeiden aktuelle Geschehnisse spekulativ-reißerisch ausschlachten zu wollen und dabei denken, das bei solch einem betriebenen großen PR Brimborium kein Hahn danach krähen würde. So geschah es den Machern der thematisch ähnlich gelagerten „Kannibalen von Rothenburg“ Verfilmung mit dem genauso schlichten, wie auch prägnanten Titel Rohtenburg, deren Aufführung ihres Werkes in letzter Instanz wegen Persönlichkeitsverletzung gestoppt wurde. Doch es war eigentlich klar, das solch eine Thematik nicht berühmter Darsteller und eines großen Budgets braucht, sowie besonders um in seiner Intention auf Zelluloid gebannt zu werden und trotz kaum offenkundiger Medienpräsenz sein Publikum findet und schockieren wird. Der kleine Independentstreifen Cannibal mag zwar ein Nischenprodukt sein, doch es sind ja bekanntlich immer die Kleinen, die dann ganz groß rauskommen…

Ich bin mir ziemlich sicher, das der ein oder andere von Euch im „Esel“ nach den tatsächlichen Aufnahmen des Tathergangs gesucht hat, dabei aber letzen Endes aber nur feststellend, das es sich um billige HC Pornos handelte. Spart Euch Eure Suche - mutmaßend wäre es möglich, das es eigentlich nur SO abgegangen sein wie hier geschildert wird. Und das in einer Intensität, man könnte fast glauben selber dabei gewesen zu sein. Ob dies ausschlaggebend für die unzähligen Höchstwertungen war? Es hat sicher seinen Teil dazu beigetragen, ist man doch in der heutigen Zeit aus auf Effekthascherei - gerade bei solchen Geschehnissen. Ob so etwas nötig tut, eine andere Frage! Da sich jedoch die Inszenierung auf eher künstlerischem Niveau, ähnlich Jörg Buttgereit, befindet, kann man trotz der drastischen Schilderung dieses Kammerspiel nicht wirklich als Schundprodukt kategorisieren, sondern ihn auf ähnliche Ebene wie z.B. Aftermath hieven.

Die Protagonisten bleiben namenlos. Es gibt nur „Der Mann“ und „Das Fleisch“ - die Rollenverteilung sollte klar genug definiert sein. Auch über den Verlauf dieses bizarren Mordfalls in Deutschland muss man nicht mehr viele Worte verlieren. „Der Mann“ lernt über das Internet nach mehrfachen „Rückziehern“ einen unbekannten Mann namens „Das Fleisch“ kennen. Er scheint der einzige zu sein, der mit fester Entschlossenheit von seinem Gegenüber verspeist werden möchte - so treffen sich die zwei…

Jedenfalls macht der Film nicht den „Fehler“, die Hintergründe des Geschehens und die Motivationen der Akteure facettenreich aufzuzeigen, sondern konzentriert sich im wesentlichen auf die letzten Stunden des Lustmordes. Natürlich muss dem Täter ja irgendwie ein Gedankengang ins Hirn gekreucht sein, auf dem er seinen perversen Plan aufbaut. So wird vor den Credits, in denen „Der Mann“ Jeffrey Dahmer liest oder sich bei Menschenfresser und Schlachthausvideos aufgeilt, das Märchen „Hänsel und Gretel“ in frühen Kindheitstagen erzählt. Dies sind auch die einzigen gesprochen Worte ab der kommenden Viertelstunde; nur die Musik begleitet „Der Mann“ bei seiner Abfolge von gierenden Internetbotschaften, erfolglosen Treffen und insgeheim durch gelebten Wunschdenkens, bei dem er sogar einer Buddhafigur genüsslich den (aufgesetzten) Penis abbeißt…

Folgend die Begegnung, in der „Ich bin Dein Fleisch“ und „Ich will nicht leiden“ folgende Zeitspanne bestimmen. Sanfte Annäherung und behutsam versprühendes Begehen sind Auslebung zwischenmenschlichen Verlangens. Ohne wirklich dabei viele Worte zu verlieren - auch später offenbaren die beiden ihr Seelenleben hauptsächlich nur in Gesten und Ausstrahlung. Doch Worte sind auch nicht vieler nötig, wenn die Kamera spricht und die Musik flüstert. Die nächste Zeit sieht man die beiden liebkosen, spielen - in freudiger Erwartung lächeln sie aneinander an, Nahaufnahmen verschmitzter Gesichtsausdrücke verdeutlichen die hoffnungsvolle Erwartung. Ein Kontrast in den sterilen, kühlen Räumlichkeiten, in der auch gar in einer Szene ein fetter Weberknecht über die Wand läuft. Auch das Sprichwort „sich wie ein Wurm“ fühlen wird visualisieren.

Überhaupt lassen sich eine Menge Allegorien zu Tieren herbeiführen, die animalische Seite in einem. Wie ein Schwein, so verdeutlicht „Der Mann“ es „Das Fleisch“ an Hand eines Schattenspiels, wird er geschlachtet, bei dem schwer verdaulichen, weil sehr intensiven Geschlechtsaktes mitten in den Popo peitscht pferdetypisches Gewieher aus den Boxen. Wie gesagt ist die musikalische Untermalung sehr wichtig und vor allem richtig arrangiert wurden. Die anfängliche klassische musikalische Untermalung, bestehend aus einem Streicherquartett und in manchen Momenten teils bewusst verzogenen Violinen, bleibt weitgehend bestehen. Bisweilen weicht aber die düstere musikalische Untermalung, die die selbst zerstörerische Atmosphäre intensiviert, Passagen voller die Leere des Raumes durchwabbelnder Stille, bei deren oralkonträrer Harmonie gar das Heranrücken des Essenstisch in die Knochen geht.

Obwohl dieses kranke Kammerspiel vorhersehbar ist, leidet dessen Intensität auch ob des Wissens kommender Geschehnisse, nicht. Basiert der Film doch auf einer wahren Begebenheit und durch die emotional bindende Machart, die einen ob ihrer exploitativen Bilder immer noch den Anspruch wahrt, das Thema objektiver anzugehen und nur eine Reproduktion des „Kannibalen von Rothenburg“ Geschehens aufzuzeigen, gewinnt dieses Kleinod an Qualität. Basierend auf den veröffentlichten Enthüllungen wird hier konsequent das Schicksal zweier Männer - in ihrer tabulosesten Nähe - detailliert aufgezeigt.

Dazu gehört(?) dann auch das explizite Darstellen des scheußlichen Kannibalismus, bei dem hier kein - Entschuldigung - Schamhaar ausgelassen wird. Ohne in Details schwelgen zu wollen: Insbesondere die letzte halbe Stunde hat es in sich! Ziemlich hart und technisch raffiniert gemacht die orgiastische Sauerei, bei der das abschneiden und verspeisen den Penis erst der Ekel erregende Auftakt einer breiten Palette von derbsten Schockeffekten angehört. In verliebter Detailfreude wird hier nichts, was nicht irgendwo schriftlich festgehalten wurde, ausgelassen. Und zwar so intensiv, das es einem echt flau werden kann. Harter Tobak & ein potentieller 131er Kandidat!

Das Schüler ihre Lehrer übertrumpfen eine Seltenheit, gerade wenn es sich um das Stelldichein ins filmische Gewerbe handelt. Was das Debüt von Regisseur Marian Dora jedoch anbelangt - seines Zeichens Zögling von Uli Lommel - so kann man nur Respekt aussprechen. Neben Angst ist mir schon lange nicht so ein bemüht authentisch- verstörender Film so an die Substanz gegangen wie Cannibal. Dies liegt vor allem an den absolut „harmonischen“ Darstellern, die ihre Rollen emotional ausleben und fast ausschließlich über Körpersprache interagieren. Gepaart mit der teils unangenehmen Stille in der modrig-erdreichen Farbgestaltung der Sets, intensiviert sich die nihilistische Atmosphäre noch mal um einiges und zeichnet einen realistischen Tathergang, der in solcher Detailliertheit nur im kontroversen „Stern“ Artikel geschildert wurde. Wenn es einen „Rothenburg“ Film geben sollte, der seine Existenzberichtigung haben dürfte, dann dieser hier!

Übrigens: In den Staaten hat sich die Firma Unearthedfilms, die auch den krassen Nekropholieschicker Aftermath herausgebracht hat, Cannibal angenommen und wird ihn dort vermarkten! Falls also die deutsche DVD vom Markt verschwinden sollte, hat man zumindest in naher Zukunft eine optionale Möglichkeit ihn zu erwerben.

Details