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Luc Besson ist das Paradebeispiel für einen Style-over-substance-Filmemacher, der seine Filme gerne sinnlich überfrachtet, aber geistig unterbelädt. Während einerseits „Das fünfte Element“ seine Sinnfreiheit und Bedeutungsleere keine Sekunde verleugnet und stattdessen ohne falsche Scham auf ungebremsten, albernen Spaß setzt, ist andererseits „Nikita“ in seiner angestrengt kaschierten Inhaltsarmut (nicht unbedingt Inhaltsleere) spürbar weniger unterhaltsam. Objektiv betrachtet ist „Nikita“ wahrscheinlich der bessere Film, subjektiv betrachtet jedoch nicht, da er mich – obwohl ich ihm durchaus Qualität zugestehen muss - emotional in jeder Hinsicht vollkommen unbeteiligt lässt. Unzweifelhaft ist jedoch, dass er der wichtigere Film ist, insbesondere für Besson und sein Filmschaffen. So kann „Nikita“ als noch unausgereifter Vorgänger von Bessons eindeutig bestem Film gelten: „Leon“.

Gemeinsam ist beiden Filmen trotz gewisser Unterschiede, dass sie von Randgestalten der Gesellschaft erzählen, die ohne Bindung an irgendetwas oder irgendjemanden ihren Lebensunterhalt mit dem Tod anderer Leute verdienen, gefühlsmäßig völlig verarmt aber über kein Leben mehr verfügen, dass zu unterhalten sich wirklich lohnen würde. Beide Titelfiguren werden im Lauf der Geschichte aber unerwartet mit etwas konfrontiert, dass ihrem Leben einen neuen Sinn gibt und sie dazu veranlasst, mit ihrer Vergangenheit brechen zu wollen: Liebe (in unterschiedlicher Form). Sowohl Nikita als auch Leon scheitern letzten Endes mit dem Versuch, sich ein glückliches Leben aufzubauen, wenn auch auf unterschiedliche Art.

Während mir „Nikita“ aber wie eine filmische Kopfgeburt, Frühgeburt, Totgeburt erscheint, spüre ich bei „Leon“ Herz, Reife und Leben. Dramaturgisch ist „Nikita“ episodisch, „Leon“ dagegen organisch. Deswegen wirkt ersterer auf mich trotz dünner Geschichte und - bis auf Nikita selbst - schablonenhafter Charaktere gehetzt und wenig zusammenhängend, während letzterer wie aus einem Guss wirkt.

„Leon“ lebt zu großen Teilen von seinen Darstellern. Jean Reno geht in seiner sperrigen Rolle als vereinsamtem Profikiller Leon förmlich auf, verkörpert diesen Gescheiterten und Gefallenen mit einer derartigen Perfektion, dass einem das Herz blutet, wenn man im Laufe der Geschichte einen endlos traurigen Menschen hinter der stoischen Fassade des Killers entdeckt. Natürlich ist Leon trotz seiner tödlichen Profession ein eigentlich herzensguter Kerl mit dem Gemüt eines unsicheren Kindes. Natalie Portman gelingt ein großes Kunststück, weil ihre Mathilda eben kein nervtötend altkluges und/oder frühreifes Gör ist, wie in so vielen Filmen mit mehr oder weniger tragenden Kinderrollen, sondern dass sie die Zuschauer mit ihrer natürlichen Darstellung eines wahrlich leidgeplagten Problemkindes wirklich berührt. Bis heute war sie nie wieder so gut wie hier. Gewissermaßen eine Frühvollendete. Die für beide heilsame, weil befreiende Beziehung zwischen Leon und Mathilda steht im Mittelpunkt des Films (der manchmal vorgebrachte Pädophilievorwurf geht vollkommen am Film vorbei). Gary Oldman spielt Stansfield, der die eigentliche Handlung dadurch in Gang bringt, dass er Mathilda zur Waisen macht. Oldman übertrifft sich hier in seiner Paraderolle als vollkommen durchgedrehter Bösewicht selbst, weil er hier schauspielerisch noch einmal in neue Regionen in der Verkörperung des drogenvernebelten Irrsinns vordringt. Zwischen diesen drei grandiosen Darstellern herrscht pure Magie auf der Leinwand. Dazu steuert Danny Aiello in einer Nebenrolle als Leons väterlicher Auftraggeber noch weitere schauspielerische Substanz bei.

Vorangetrieben wird die schnörkellose Handlung zwar von Mathildas Wunsch nach Rache für ihren von Stansfield ermordeten kleinen Bruder, doch entwickelt Besson seinen Film in erste Linie aus der Psychologie seiner beiden Hauptfiguren. Man kann sagen, dass er hier in Sachen Figurenzeichnung die dritte Dimension entdeckt. Plot- und Figurenentwicklung greifen hier nahtlos ineinander, ohne dass das eine auf Kosten des anderen geht. Bessons poetische Mischung aus Thriller und Drama wird darüber hinaus noch mit wohl platzierten Actionszenen angereichert, die in ihrer bodenständigen, aber zugleich eleganten Inszenierung jede Genre-Hochglanzproduktion in Sachen Intensität lässig in den Schatten stellen. Die gefühlvolle Musik von Eric Serra und die stimmungsvollen Bilder von Thierry Arbogast tun ihr Übriges dazu, dass der Film seine Wirkung nicht verfehlt.

Es heißt, die ebenfalls von Jean Reno in „Nikita“ verkörperte Figur Namens Victor sei die direkte Inspiration für Leon gewesen. Bleibt Victor aber eine undurchschaubare Gestalt, so führt uns Leon vor Augen, dass sogar Profikiller manchmal ein Herz haben.

Besson gelingt mit „Leon“ ein melancholisches Meisterwerk, ein perfekt ausbalancierter Genre-Mix aus Thriller, Drama und Action, dessen filmische Poesie zutiefst anrührend ist. Ein moderner Klassiker und einer meiner absoluten Lieblingsfilme, weil er direkt ins Herz zielt und trifft. (Der empfehlenswerte Director’s Cut fügt der Kinoversion noch einige erhellende Szenen hinzu, die vor allem die Beziehung zwischen Leon und Mathilda näher beleuchten.)

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