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Die filmischen Adaptionen diverser Stephen King – Romane sind trotz arg schwankender Qualität nun schon seit etlichen Jahren sichere Einnahmen für Kino wie Fernsehen. Diese Flut von inzwischen mehr als 70 Leinwandumsetzungen nahm 1976 mit „Carrie“ seinen Anfang und sollte vier Jahre später mit Stanley Kubricks „The Shining“ bereits seinen ersten Höhepunkt erreichen.
King selbst genoss zu dieser Zeit noch keine Popularität und seine Skripte wurden ihm auch noch nicht aus den Händen gerissen. Erst mit diesem Film kam seine Karriere eigentlich so richtig in die Gänge.

Thrillerspezialist und Hitchcock – Verehrer Brian De Palma („Scarface“, „Femme Fatale“) kombinierte sein inszenatorisches Geschick mit der Drehbuchvorlage, die vordergründig gar keinen Horror darstellt, sondern sich erst in den letzten Minuten in ein mörderisches Blutbad stürzt. Bis dahin bleibt „Carrie“ nämlich ein verstörendes Drama mit einfachen Mysteryelementen.

Die Titelgeberin, gespielt von Sissy Spacek („Badlands“, „Coal Miner's Daughter“) ist ein junges, schüchternes Mädchen, das von seinen Mitschülerinnen grundsätzlich gehänselt und ausgelacht wird. Ohne zu wissen, was das Wort Menstruation überhaupt bedeutet, ereilt sie nach dem demütigenden Schulsport unter der Dusche zum ersten Mal die Regel. Eine erneute Gelegenheit für ihre Peiniger sie weiter zu verschüchtern und verhöhnen.
Ihr Problem ist ihre Mutter Margaret (Piper Laurie, „Francis Goes to the Races“, „The Hustler“), eine zutiefst religiös indoktrinierte, fanatische Frau, die Carry keinen Spielraum gewährt, sie zu Hause einschließt, nie aufklärte und ihren verdrehten Weltanschauungen die biologische Uhr ihrer Tochter schon als teuflisches Werk interpretiert.

Es hat wirklich Klasse, wie versiert De Palma das Grauen vorbereitet und schließlich aus Carrie herausbrechen lässt. Insbesondere ihr Elternhaus, sehr düster und karg eingerichtet (sie selbst lebt in einer besseren Besenkammer) erzeugt dabei eine ganz eigene, beklemmende Atmosphäre, die von den toll aufspielenden Piper Laurie und Sissy Spacek erst richtig ausgelotet wird. Die ewigen, von der Mutter stets mit Betstrafen gezüchtigten, Streitereien zwischen den beiden findet ihren inszenatorischen Höhepunkt beim Abendbrot. Im Hintergrund hängt ein Gemälde des letzten Abendmahls und im Hintergrund donnert das Gewitter und zucken Blitze, während beide sich wieder aufgrund ihrer differierenden Ansichten wieder einmal zoffen. Sie möchte endlich erwachsen werden und in die Welt hinaus blicken, ihre Mutter sie stattdessen für immer bei sich einschließen. Aus konzentrierter Angst und Sehnsucht entstehen dann ihre übersinnlichen Kräften...

„Carrie“ gestaltet sich schnell ungeheuer fies und drastisch, zeichnet das Bild einer verkommenen, verzogenen Jugend (ideal: Nancy Allen („Dressed to Kill“, „Robocop“) und John Travolta, („Pulp Fiction“, „Basic“)), die dem Mädchen ihren letzten Rest Würde nehmen wollen, in dem sie sie beim Abschlussball vor allen Schülern blamieren. Denn dafür hat die Außenseiterin am Meisten Angst: totale Demütigung.

Doch vorübergehend scheint ihre Welt, trotz heftiger Intervention ihrer Mutter, in Ordnung. Ohne das sie weiß, dass Sue Snell (Amy Irving, „The Fury“, „Hide and Seek”) aus Mitleid ihren Freund Tommy (William Katt, „House“, „Snake Island“) um diesen Gefallen bat, fragt Tommy Carrie, ob sie nicht Lust hätte, ihn zum Abschlussball zu begleiten. Verwirrt zwischen ihren Gefühlen, dem Erkunden ihrer telekinetischen Kräfte und unter der Knute ihrer Mutter leidend, nimmt sie nach Zögern und Beratung mit ihrer Sportlehrerin Miss Collins (Betty Buckley), die im Grunde den Mutterersatz darstellt, an. Eine folgenschwere Entscheidung...

Als Zuschauer darf man sich hier nicht nur über, besonders im Finale, intelligente Bildmontagen freuen, sondern vor allem über die stringente Erzählweise, die gar nicht versucht sich von Carrie zu lösen. Jede Szene des Films hat früher oder später direkten Einfluss auf sie. Der einfachste Weg des geringsten Widerstands seitens des Direktors führt sie wieder in die verderblichen Arme ihrer Mutter, aus dem aufgezwungenen Nachsitzen ihrer Peiniger bei der Sportlehrerin resultiert wiederum noch größerer Hass auf sie. Das Mädchen, von niemandem verstanden und von fast allen gemieden, kann einem wirklich Leid tun. Auch weil Sissy Spacek dieses in sich zurückgezogene, ängstliche Mädchen mit unglaublich viel Emotionen versieht.

Die unausweichliche Eskalation, die endgültige Entfesselung ihrer telekinetischen Kräfte, von De Palma meisterlich stumm und in Zeitlupe genüsslich vorbereitet und zelebriert, ist dann nur die folgerichtige Antwort auf die vorangegangene Pein und jene Enttäuschung letztlich wieder nur das Ziel von Hohn und Spot geworden zu sein. Der kurze Hoffnungsschimmer endlich akzeptiert worden zu sein, erlischt innerhalb eines Sekundenbruchteils.
Das Finale Blutbad, aus dem eine blutüberströmte Carrie wie ein Fels, ohne mit der Wimper zu zucken, herausragt, während rings um sie herum im Ballsaal Tod und Panik ihren Lauf nehmen, schrieb Filmgeschichte. De Palma taucht dabei Bilder in blutrot, gibt der Optik damit einen surrealen Touch und nutzt De Palma die Splitscreen-Technik, um zwischen der entfesselten „Tochter Satans“ und ihren Opfern, bei denen sie keine Gnade walten lässt, hin und her zu schalten. Die gewaltige Abrechnung mit ihrer Mutter und damit auch ihrer Religion soll allerdings erst noch folgen...

In vielerlei Hinsicht darf man bei „Carrie“ nicht den klassischen Horrorfilm erwarten. Einige Verfilmungen diverser Stephen King-Romane machten den Fehler aus seinen Romanen mehr Horrormotive zu extrahieren und kompakter zu staffeln, als sie eigentlich in der Buchvorlage angedacht waren – nicht so „Carrie“.
Über einen Großteil der Filmdistanz bleibt der Film ein erschreckendes, auf mentaler Ebenes brutales Drama, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Pein der Hauptfigur in allen Facetten aufzuzeigen, um daraus erst final eine blutige Katastrophe aufsteigen zu lassen. So sind die bereits erwähnten Streitereien zwischen Mutter und Tochter, auch dank der beiden top aufgelegten Darstellerinnen, Höhepunkte, die sich aus den völlig verbohrten und verbrämten Ansichten einer Mutter und den Wünschen und Sehnsüchten einer Tochter zusammensetzen.


Fazit:
Klasse gespielter und inszenierter Horrortrip, der sich ungewöhnlich lange als Drama tarnt und final eskaliert. „Carrie“ gehört zweifellos zu den besten King-Adaptionen, läuft nicht zu lang, dafür aber sehr konzentriert, schildert eindringlich und fesselt den Zuschauer mit Bedauern und Schrecken. Brian De Palma lässt hier bereits in vielen Szenen sein Genie aufblitzen, den Rest erledigt die effektiv arbeitende Trickcrew. Nicht ganz ohne Makel (ich persönlich mag den Einsatz von Weichzeichner nicht), aber dafür schnörkellos und auf den Punkt gebracht.

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