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Nach seinem Konzertfilm „Yes 9012 Live“, einem Kurzfilm sowie dem Drama „Sex, Lügen und Video“ startete US-Regisseur Steven Soderbergh („Ocean’s Eleven“) in die 1990er-Jahre, indem er sich an einer Mischung aus Kafka-Biographie, Kafka-Verfilmung und Horror/Thriller-Genre-Film versuchte: Schlicht „Kafka“ lautet der Titel dieses insbesondere für einen jungen Regisseur ambitionierten Unterfangens aus dem Jahre 1991, das in US-amerikanisch-französischer Koproduktion umgesetzt wurde.

Im Prag des Jahres 1919 arbeitet Kafka (Jeremy Irons, „Die Unzertrennlichen“) als Versicherungsangestellter unter seinem Vorgesetzten (Alec Guinness, „Lawrence von Arabien“) und verdingt sich zudem als Hobby-Schriftsteller. Als er vom Tod seines bestens Freunds erfährt, laut Polizist Grubach (Armin Mueller-Stahl, „Momo“) ein Suizid, begibt er sich auf die Suche nach der wahren Todesursache. Dabei stößt er auf weitere mysteriöse Todesfälle sowie auf eine geheime Widerstandsgruppe, die von einer Gabriela (Theresa Russel, „Die Hure“) geleitet wird. Dieser gehörte auch sein Freund an, der als Teil der Untergrundorganisation gegen Dr. Murnaus (Ian Holm, „Alien“) Machtapparat ankämpfe, welcher im Schloss Experimente mit den Gehirnen seiner Opfer durchführt, um sie jeglicher Individualität zu berauben…

Auch ohne mit Kafkas Œuvre sonderlich vertraut zu sein, glaube ich gern, dass es zu den größeren Herausforderungen gehört, es adäquat fürs Kino aufzubereiten. Soderbergh und Drehbuchautor Lem Dobbs orientieren sich an Kafkas Leben in Prag und lassen ihn gewissermaßen zum Protagonisten seiner eigenen Romane werden: Die Handlung bedient sich vornehmlich der Motive aus „Das Schloss“ und „Der Prozess“, gespickt mit Details aus weiteren Erzählungen. Sie avanciert unter Soderberghs Regie zu einem atmosphärisch düsteren Mad-Scientist-Verschwörungs-Thriller inkl. surrealer Anleihen, in dem sich Kafka einer übermächtigen, im Verborgenen agierenden Maschinerie ausgesetzt sieht, die angetreten ist, den freien Geist zu vernichten – so weit, so kafkaesk. Zudem ist „Kafka“ unschwer erkennbar als Hommage an die Ära des expressionistischen Stummfilms angelegt. Vornehmlich in Schwarzweiß gedreht, bezieht er viel seiner Stimmung aus dem effektiven Spiel mit Licht und Schatten und der Name des Antagonisten ist ein Verweis auf Friedrich Wilhelm Murnau, einen der stilprägendsten Regisseure des Expressionismus.

Mit Betreten des Schlosses indes bricht Soderbergh sowohl mit diesem Stil – das Innere des labyrinthischen Komplexes erscheint in Farbe – als auch mit der Handschrift Kafkas: Zwar bleiben die im Hinblick auf Ausstattung und Spezialeffekte beeindruckenden Vorgänge im Schloss reichlich grotesk, damit einher geht jedoch eine eindeutige Visualisierung, wie sie in Kafkas Schriften eher im Uneigentlichen, Undefinierbaren bleibt. Zudem erfährt die Handlung eine zusammenhängende Pointierung, anstatt offen zu bleiben oder in einer Sphäre der Scheinbarkeit bzw. im Nichts zu enden.

Dass sich „Kafka“ damit seinem Medium Kino beugt, den Unterhaltungsfaktor in die Höhe schraubt und für sein Publikum ein Stück weit konventioneller im Sinne von klassischer Dramaturgie folgender gerät, liegt auf der Hand und kann man Soderbergh kaum verdenken oder anlasten. Zusammen mit seinen verdienten Schauspielern, allen voran dem herrlich zerrissen wirkenden Jeremy Irons, ist ihm ein außergewöhnlicher Film gelungen, der in Form und Inhalt immer noch individuell genug ist, um nicht Genre-Konventionen oder gar Klischees zu verfallen (vgl. beispielsweise den desillusionierenden Epilog), sondern vielleicht sogar das Potential zu besitzen, Zuschauer für das Werk des titelgebenden Autoren zu interessieren – so sind die humoristischen Einsprengsel beispielsweise keinesfalls auf Soderberghs Mist gewachsen, sondern Bestandteil des Kafkaesken; eine Erkenntnis, die manch Hemmschwelle abbauen sollte. Und selbst, wenn nicht, bleibt ein unabhängig davon funktionierender, allegoriereicher Phantastik-Film auf hohem Niveau, weshalb ich Soderbergh & Co. einen gewagten, doch geglückten Spagat attestieren möchte – der regeren Zuspruch an der Kinokasse verdient gehabt hätte.

Für diese Kritik stand mir Kafka-Expertin Juli H. freundlicherweise beratend zur Seite.

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