---hebräische Sprachfassung mit deutschen Untertiteln---
Eröffnungsszene: Leibesvisitation am Checkpoint. Eine Palästinenserin, eine IDF-Wehrdienstleistende sowie deren Ausbilderin drängen sich in eine wenige Quadratmeter große Durchsuchungskabine. Gesprochen wird kaum, Anweisungen werden nonverbal kommuniziert. Die Spannung zwischen den drei Frauen in dieser klaustrophobischen Szene ist beinahe greifbar. Kopftuch ab, Handtasche ausleeren, Einkaufstüten ebenso, alle Münzen aus der Geldbörse auf dem Tisch ausbreiten. Penibelst kontrollieren die israelischen Soldatinnen ohne Rücksicht auf Intimsphäre. Mehrmals fallen persönliche Gegenstände versehentlich zu Boden. Die Palästinenserin ist sichtlich gedemütigt und ihr schwillt langsam aber sicher der Kamm an. Eine Handcreme? Zum Röntgen. Irgendwelche Fläschchen? Zum Röntgen. Ein handbeschriebenes Blatt Papier? Zum Zensor. Ein Päckchen Zigaretten?Jede Zigarette einzeln kontrollieren, weist die Ausbilderin ihre Rekrutin an. Beim Rumfummeln gehen einige Zigaretten zu Bruch. Die Rekrutin wirft ihrer Ausbilderin einen Ups-Blick zu. Diese antwortet mit einem C’est la vie, weitermachen!-Blick. Und der Palästinenserin schwillt der Kamm immer mehr; eine Mischung aus Wut und verzweifelter Resignation zeichnet ihr Gesicht. Aber auch die israelischen Frauen fühlen sich unwohl bei ihrer Pflichtausübung. Was ist das? Ein sorgsam in Geschenkpapier verpacktes Kindergeburtstagspräsent? Papier abreissen, der Inhalt geht zum Röntgen. Dann muss die Kleidung bis auf die Unterwäsche abgelegt werden. Einmal mit dem Detektor-Stab drüber gebügelt. Danke, das war’s. Bis zum nächsten Mal. Und der Zuschauer fragt sich, in die Augen der kontrollierten Frau blickend: Sind solche Maßnahmen zur Terror-Prävention geeignet oder provozieren sie gar terroristische Akte?
Diese Eröffnungsszene ist dann auch prototypisch für den ganzen Film der Regisseurinnen Vardit Bilu und Dalia Hagar: Alles hier wirkt wie eine Beobachtung, nicht wie ein Kommentar. Politische Themen werden nicht explizit abgehandelt, sie ergeben sich indirekt aus dem Gezeigten. Ein bisweilen quasi-dokumentarisch, episodenhaft anmutendes Werk ist das, aus dem der Zuschauer seine eigenen Schlüsse ziehen muss. Und das ist gut so. Statements der Filmemacher finden, wenn überhaupt, nur indirekt durch Selektion des Gezeigten statt. Dialoge drehen sich um alles Mögliche, nicht um Politik. Moralinsaures oder ach so kluges Geschwafel findet nicht statt. Und auch das ist gut so. Durch Beobachtung setzt der Zuschauer sein eigenes Bild zusammen.
Filmisch nicht gerade von meisterhafter Virtuosität gezeichnet und mit der ein oder anderen Unebenheit in der Narration belastet, lohnt sich ein Kinobesuch dennoch für einen Blick hinter die Kulissen des Wehrdienst-Systems der israelischen IDF. Ein System, das laut Filmemachern unerfahrene 18-jährige Mädchen einzieht und zu Hilfspolizistinnen im Kampf gegen den Terrorismus macht, obwohl es ihnen an Erfahrung und Reife mangelt. In Punkto Kommunikationsfähigkeit und Selbstschutz unzureichend geschulte Teenagerrinnen patrolieren uniformiert die Straßen Jerusalems in Zweiergruppen. Arabisch aussehende Mitbürger müssen angehalten werden. Ausweiskontrolle. Durchsuchungen. Name des Kontrollierten, Ort und Zeit der Kontrolle notieren. Nicht nur, dass einige der Angehaltenen die jungen Frauen wohl nicht für voll nehmen, passiert es ab und an, dass ein Israeli die Soldatinnen anfährt, sie mögen ihre Arbeit gefälligst gründlicher machen. Denn schließlich könne es überall und jederzeit zu einem Terroranschlag kommen.
Doch die jungen Frauen fühlen sich überfordert. Auch sieht nicht jede von ihnen die Notwendigkeit ihres Einsatzes. Diese Teenagerrinnen haben andere Dinge im Kopf: Den Schönling aus dem Cafe, den schicken Hut aus dem Schaufenster, die neuesten Trends im Friseursalon an der Straßenecke, Beziehungen, Planung des weiteren Lebensweges, etc. Folglich drücken sich die Frauen um ihre Pflicht und vertreiben sich bei ihren Patrouillengängen durch die Jerusalemer Innenstadt die Zeit mit anderen Dingen. Werden sie dabei von ihrer Kommandantin Dubek erwischt, gibt es Militärarrest, wo sie dann bewacht werden von gleichaltrigen Gören, welche es geil finden, im Wehrdienst Gefängnisaufseherin spielen zu dürfen.
Das Thema ist zum einen die Auswirkung des Wehrdienstes auf das Individuum. Was passiert, wenn heranwachsende Frauen aus ihrem Leben gerissen, uniformiert und politisch indoktriniert werden? Was bedeutet das für sie selbst, was bedeutet das für die Gesellschaft? Vardit Bilu und Dalia Hagar offenbaren hier eine weibliche Sicht auf Militär/Wehrdienst. Und das ist deshalb herausragend, weil man das nicht gerade oft im Kino sieht. Aber auch universellere Dinge werden hier thematisiert, nämlich die völlige Militarisierung des Alltags. Die Regisseurinnen zeigen eine Gesellschaft, in der das Militär allgegenwärtig und tief verwurzelt ist. Eine Gesellschaft, in der jeder, ob Mann oder Frau, Wehrdienst leisten muss. Eine Gesellschaft, in der polizeiliche Aufgaben wie selbstverständlich vom Militär ausgeübt werden. Eine Gesellschaft, in der uniformierte Soldaten das Jerusalemer Stadtbild prägen.
In erster Linie jedoch ist Close to Home/Karov la Bayit ein Film über das Erwachsen werden seiner beiden Hauptprotagonistinnen Mirit (feines Minenspiel auf amoksüßem Engelsgesicht: Neama Shendar) und Smadar (sehr ausdrucksstark: Smadar Sayer). Mirit und Smadar sind zwei gegensätzliche Charaktere, die im Wehrdienst in eine Zweiergruppe eingeteilt wurden und nun die nächsten Monate miteinander auskommen müssen. Konflikte während ihrer Patrouillengängen sind also vorprogrammiert. Doch aus anfänglicher Ablehnung entwickelt sich langsam Freundschaft, als die beiden jungen Frauen zusammen durch Dick und Dünn gehen müssen. Es handelt sich hierbei also primär um ein außergewöhnliches, weil nicht oft da gewesenes Stück Kino: Ein weiblicher Armee-Buddy-Movie.
Zwei herausragende Jungdarstellerinnen, eine simple, aber fein beobachtete Geschichte über sich entwickelnde Freundschaft und Coming of Age, vermischt mit einem Porträt des israelischen Wehrdienstes sowie pseudo-dokumentarisch episodenhafter Alltagsszenen aus den Straßen Jerusalems ergeben zusammen genommen einen sehenswerten Film. Zwar wirkt manches leicht unfokussiert und das Werk pendelt stellenweise etwas holprig zwischen dem Porträt der beiden Soldatinnen und dem Zeigen des Jerusalemer (Militär)Alltags hin und her, aber das sind nur kleine Wermutstropfen. Close to Home/Karov la Bayit lebt hauptsächlich von kleinen, fein beobachteten Momenten zwischen Merit und Smadar und zeichnet die langsame Annäherung der beiden jungen Frauen feinfühlig. Es ist dem Zuschauer ein Leichtes, eine Empathie zu den beiden Soldatinnen aufzubauen.
Fazit: Irgendwo zwischen subtilem Charakterdrama und Pseudo-Doku ist Vardit Bilu und Dalia Hagar ein Film gelungen, der vielleicht nicht perfekt, aber intensiv und einnehmend ist. Und nebenbei ist es ein Film, der die richtigen Fragen über Wehrdienst und den israelischen Umgang mit Palästinensern stellt, ohne diese Fragen wirklich zu stellen.