Review

In China essen sie Hunde... ist halt so.
Wer damals aus dem Titel schlussfolgerte, dass Lasse Spang Olsen hier einfach ziellos im Tarantino-Fahrwasser mitschwimmen wollte, der darf sich nun in seinen negativen Erwartungen getäuscht sehen. Die kuriose, schlicht einen Sachverhalt konstatierende Aussage ist nicht einfach nur der Versuch, mit einem sicken Titel die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf sich zu ziehen - da steckt was dahinter, das man mit der total seltsamen Finalsequenz sogar Gesellschaftskritik nennen könnte. Was für ein Bombending, wie aus dem Nichts der dänischen Filmewelt entsprungen, wo man einen solchen Beitrag damals unter keinen Umständen erwartet hatte.

In Dänemark gehen sie es gemächlich an
Dabei ist der Beginn von ruhiger, belangloser Natur - speziell der grässlich unpassende Score will überhaupt nicht zum Gezeigten passen, sondern scheint eher einem Amateur-Splatterstreifen anzugehören. Im krassen Gegensatz dazu bahnt sich ein emotionales Drama zwischen zwei Menschen an, deren Beziehung sich auflöst - unser Hauptdarsteller Arvid (Dejan Cukic) und seine Freundin Hanne (Trine Dyrholm). Etwas interessanter wird es, wenn sich Hanne als unglaubliches Miststück herausstellt. Das treibt den Zuschauer auf Arvids Seite und lässt ihn zu seiner Identifikationsfigur werden.

Arvid wird dabei als stinknormaler, netter, ja fast schon langweiliger Kerl dargestellt - der Grund, weshalb Hanne ihn Gift und Galle spuckend verlässt. Schön, in einem normalen Film hätte sich diese Szenerie zu einem etwas trägen und schwerfälligen Drama entwickelt, bei dem unser Arvid entweder die schönen Seiten des Lebens oder das Schicksal der Einsamkeit kennengelernt hätte - je nachdem, ob der Film mit einem positiven oder negativen Touch beendet worden wäre.

Doch derartigen Kategorien entzieht sich Olsens Groteske recht schnell, und die Charakterisierung Arvids wird in vollkommen unerwartete Bahnen gelenkt. Nachdem Dejan Cukics lethargische Figur ausreichend eingeführt wurde, wendet sich der Regisseur von ihm ab und blendet um in eine Küche, womit dann der Weg eingeschlagen wird, den der Film später beschreiten wird. Denn hier begegnen wir vier schrägen Figuren, die ihren Hut vor Quentin Tarantino ziehen und dem, was er spätestens mit “Pulp Fiction” salonfähig gemacht hat. Wenn bis hierhin noch fraglich war, was von dem Film mit dem kuriosen Titel zu erwarten sein konnte, dann lichtet sich mit dem ersten Auftritt der Köche Martin und Peter (Nikolaj Lie Kaas, Tomas Villum Jensen), dem Hilfsarbeiter Vuk (Brian Patterson) und dem manischen Gelegenheitsgangster Harald (Kim Bodnia) einiges.
Die vier Figuren, die zusammen mit Arvid faktisch alles zu verschulden haben, was in den folgenden 90 Minuten an abgedrehten Sachen passiert, stehen in einem ausgefeilten Verhältnis zueinander und verleihen dem Streifen alleine durch ihre nüchterne Interaktion enormes Unterhaltungspotenzial. Nach einer längeren Dialogsequenz in der Küche folgen wir Harald auf den Hinterhof und der Kreis wird geschlossen: Am Tor steht Arvid, womit wir wissen: Zwischen Harald und Arvid gibt es eine Verbindung.

Das Gangsterszenario, das sich nun entwickelt, besteht alleine aus einem Grund: Es soll die Selbstverständlichkeit aufzeigen, die mit dem Brechen von Gesetzen einhergeht. Einfach alles ist auf diesen Umstand zurückzuführen... Charakterzeichnungen, Figurenkonstellation, Storymotivation, Dialoge, Optik, Schauspiel der Akteure, einfach alles. Eine Art von Coolness geht mit dem Plot einher, aber eine andere als die in “Pulp Fiction” - es ist eine Coolness, die für Emotionslosigkeit steht, für Selbstverständlichkeit, Sorglosigkeit, Normalität, Profanisierung, die geradezu ausspricht “Warum nicht?”.

Der Harald, sein kleiner Bruder, seine Kleingangstergehilfen wider Willen und der Vuk
Arvids Bruder Harald ist ein erfahrener Krimineller - das später abgedrehte Prequel “Old Men in New Cars” beginnt mit seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Damit wird er zum bestimmenden Kopf der Bande, denn der Rest ist entweder unfähig (Vuk), widerwillig (Martin und Peter) oder noch in der Ausbildung (Arvid). Wenn zwischenzeitlich die Balkanmafia aufkreuzt, dann wird diese zum feschen Indikator für Haralds Abgeklärtheit. Denn neben der Tatsache, dass die Mafiagang frei nach Tarantino und Guy Ritchie das Oeuvre der schrillen Interessengruppen um einen Teilnehmer bereichert, ist sie nur zu einem Zwecke da, nämlich um Haralds Coolness zu prüfen. Die Verbindung verläuft über Vuk, den illegal unter Harald arbeitenden Serben, der unter der Schutzherrschaft der Mafia steht. Und wenn die Einschüchterungsversuche der Gang beginnen, sitzt Harald nur da und kaut sein Frühstück mit leicht gelangweiltem Blick, während die Köche vor Angst zittern und mit Rechtfertigungen um sich schlagen.
Harald zieht sich also selbst in den Mittelpunkt, obwohl ja eigentlich Arvid der Hauptdarsteller ist. Ihm ist es dann auch zu verdanken, dass die Charaktere allesamt so wunderbar funktionieren und kein Stück wie ein Abklatsch der Genre-Klassiker wirken. Martin und Peter beispielweise wollen eigentlich gar nichts mit kriminellen Geschäften zu tun haben. Sie konzentrieren sich lieber auf ihre hausgemachten Spezialitäten und eigenen Kreationen, an denen sie sichtbar Freude haben. Von der kriminellen Abgeklärtheit Haralds haben sie nichts. Wegen dessen Dominanz werden sie aber wie selbstverständlich immer wieder in die Pläne einbezogen, ohne Nachfrage. Die Konsequenz: Peter und Martin laufen die ganze Zeit mit fragendem Blick durch den Film, während Harald alles zweimal wiederholen muss, denn er fragt nicht, sondern bestimmt. So selbstverständlich, dass seine Köche (immerhin sind sie Köche, keine Gangster) erst einmal nachfragen müssen, ob Harald da gerade wirklich verlangt hat, was er verlangt hat.
Arvid trägt auch sein Übriges dazu bei, denn motiviert durch Hannes Vorwürfe (“Leck mich am Arsch, Arvid” steht in der leergeräumten Wohnung als Abschiedsbrief auf die Wand gesprüht) will der sich ändern und spontaner werden. Hier begegnet uns eine weitere Interessengruppe, nämlich ein Bankräuber mit Freundin, der sich die falsche Bank zum falschen Zeitpunkt ausgesucht hat für einen Überfall - Arvid schlägt den Franz, so des Bankräubers Name, K.O. und befördert ihn damit ins Gefängnis. Aber eigentlich hat sich der Arvid ganz komisch weiterentwickelt, denn als die Freundin von dem Franz bei Arvid auftaucht und ihn in Tränen aufgelöst zur Sau macht, da kriegt der Arvid Mitleid.
Der Witz liegt in der fast schon abartigen Dämlichkeit des Plans, den sich Arvid nun in den Kopf setzt: Franz aus dem Knast befreien und das Beutegeld wiederbeschaffen und dem ihm vollkommen fremden Räuberpärchen überreichen. Die Ironie daran ist, dass der gutmütige Kerl zwar durch den Eintritt in die Kriminalität sein Langweiler-Image loszuwerden beabsichtigt, die Motivation für das kriminelle Vorhaben aber in der alten Liebenswürdigkeit verankert ist. Und dass sein Bruder einfach so diesen saudämlichen Plan unterstützt, zeugt von dem wenig wählerischen Gemüt Haralds: Scheißegal, Hauptsache ein Ding drehen.

Der schräge Vuk, ein magerer, nuschelnder, mitleiderregender Serbe verdient an dieser Stelle eine besondere Erwähnung, ist er doch der “Hans Maulwurf” des Films, sprich der Sündenbock für alles, vor allem für Haralds Wutausbrüche. Während Harald den beiden Köchen gegenüber nämlich durchaus Respekt erweist, ist Vuk für ihn nur ein Instrument, das gefälligst zu tun hat, was man ihm sagt. Dahingehend, dass die Köche stets bemüht sind, Haralds niederträchtigen Umgang mit dem Serben abzufedern, macht Vuk die Combo komplett. Es ist ein Vergnügen, das Wechselspiel aus gegenseitigen Vorwürfen und Zusammenhaltsbekundungen zuzusehen. Und das macht es ein Stück weit pervers. Denn eigentlich dürfte man als Zuschauer gar keinen Spaß an der Sache haben, immerhin ist Harald ganz offenkundig ein Rassist (was in einem Dialog sogar ganz offen geklärt wird), womit die Verbal- und Körperattacken auf Vuk in höchstem Maße politisch unkorrekt werden. Aber Olsen schafft es, das Ganze doch amüsant darzustellen.

In Sachen Humor mögen sie es schwarz
Denn von vornherein sollte klar sein, dass dieser Film den Humor betreffend so tiefschwarz ist, dass selbst “Fargo” dagegen schneeweiß aussieht - zart Besaitete bitte draußen bleiben. Überhaupt ist Vuk ja eher eine Karikatur, sieht man ihn doch ständig in die Luft fliegen und kommentarlos Verletzungen davontragen, nur um in der nächsten Szene zufrieden an einem Sandwich zu nuckeln. Ansonsten geht der Humor generell von der absurden Ausgangssituation aus. Die Darsteller agieren dabei mit trockenen, aber höchst effektiven Gesichtsausdrücken, die wirklich mehr an “Fargo” als an “Pulp Fiction” erinnern. Die Dialoge, obwohl eigentlich gar nicht so schlecht, verlieren deswegen klar an Bedeutung für die Filmqualität. Es sind überhaupt keine brillant-gewitzten Plaudereien nötig, um dem Film die nötige Würze zu verleihen - Situationskomik in Reinform übernimmt diesen Job.

In Gangsterfilmen erschießen sie Leute
So stehen auch die Actionmomente im Dienste der Darstellung von krimineller Alltäglichkeit. Abgesehen von dem schießwütigen Finale und dem Rockband-Massaker stehen zwei Events an: Der Überfall auf einen Geldtransporter und die Befreiung von Franz aus dem Gefängnis. In allen Fällen gibt es kaum große Planung, höchstens auf der naiven Ebene à la “Ich habe einen Plan: Wir machen dies und dann das und zack, sind wir am Ziel”. Probleme tauchen im Zuge der Spontaneität der Vorgänge zwar auf, aber für Harald ist keine noch so brenzlige Situation ein Grund, die Augenbrauen zu heben. Er erschießt Leute am laufenden Band, einfach so... Peter fängt immer wieder an, deswegen zu heulen und Martin sieht in diesen Momenten auch nicht gerade glücklich aus. Arvid derweil scheint zu denken: “Ach so, jo... aber Harald, das macht man doch nich...nich?”. Die Trockenheit der Darsteller übertüncht alles, selbst die massiven Autokarambolagen und C4-Sprengungen.

In Zwischensequenzen erzählen sie eine Geschichte
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Story von Harald, Arvid, Martin, Peter und Vuk nicht die eigentliche Filmhandlung ist, sondern nur eine Geschichte, die ein Amerikaner in einer dänischen Kneipe erzählt - frei nach “The Big Lebowski” oder der Anfangssequenz aus “Desperado”. Bis das ganze Treiben selbstverständlich in dieser Kneipe bleihaltig aufgelöst wird. Und nun gibt es einen gewagten, aber fast schon notwendigen Stilbruch zu vermelden - das Ende überrascht mit einer 180-Grad-Wende, die in ihrer Umsetzung schon fast geschmacklos ist. So wirkt es in diesem Film unter diesen Umständen aber überhaupt nicht, denn die ganze beiläufige, selbstverständliche Art des Films bekommt hier eine ironische Wende. Moralische Idealismen wie Gut und Böse, Sanktionen und Gerechtigkeit werden total demontiert und ihrer Bedeutung geraubt. Ein Stück weit wird damit auch das Gangsterfilm-Genre charakterisiert, überwiegend jedoch soll der Gesellschaft ihre vermessene Art der Existenz unter die Nase gerieben werden - Vetternwirtschaft entscheidet über Himmel und Hölle, der heilige Vater sammelt die Namen seiner Schäfchen auf Karteikarten und wenn eine davon verlorengeht, ist es nicht sein Problem, dann bekommt eben der Teufel den Zuschlag - arme Seele. Ach ja, und wer schwul ist, sollte sich schon mal warm anziehen. Hauptsache, man hat gute Freunde da oben, dann geht schon alles glatt.

Im Fazit fassen sie die Moral zusammen
“In China essen sie Hunde” stellt ein Fakt dar, das verdeutlicht, dass es in anderen Kulturen Manierismen gibt, die für die eigene Kultur vielleicht unvorstellbar sind - aber es gibt sie, und sie sind woanders kulturell legitimiert und moralisch anerkannt. Der Satz, der im Film von Harald erklärt wird, ist eine Extension für den Sachverhalt, dass Individuen oder Gemeinschaften das Recht selbst in die Hand nehmen und Taten dann aufrichtig sind, wenn man glaubt, dass sie es sind. Das muss sich nicht mit den Moralvorstellungen anderer decken, solange man selbst dran glaubt. Die schräge Story mit den noch viel schrägeren Figuren ist bestens dazu geeignet, auf diese Weise mit den naiven Vorstellungen von einem konstituierten Rechts- und Moralsystem aufzuräumen. Interpretierbar ist das auf vielerlei Weise: Kritik am Glauben, Kritik an der zunehmenden Amerikanisierung der Welt im Zuge der Globalisierung oder was auch immer. Das sind aber nur weiterführende Gedanken, die mit dem eigentlichen Film nur noch abgeleitet etwas zu tun haben - denn der strotzt einfach nur vor lauter passiver Spiellaune. Weil jedoch diese Interpretationsmöglichkeiten existieren, ist Lasse Spang Olsens Film ein so gut funktionierender Streifen mit so viel Originalität - und eben kein reiner Tarantino-Klon. In Dänemark machen sie eben nicht nur Dogma-Filme...

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