Review

Achtung, das Review enthält einige Handlungsspoiler, aber nicht die Auflösung des Films. Da es sich um einen klassische Verriß handelt, sollte jeder verantwortungsbewußte Kinobesucher den Text trotz der Spoiler lesen.

Okay, da kann doch nichts schiefgehen.
Sam Raimi inszeniert einen Mystery-Horror-Thriller rund um eine Wahrsagerin, die Visionen vom Tod eines Mädchens hat und so den Mörder zur Strecke bringen will.
Ist ein Selbstläufer.
Von wegen!
Denn was hier bei einem mehrfach nominierten und ausgezeichneten Allstar-Cast herausgekommen ist, dürfte bei der Wahl zur Niete des Jahres mithalten können.

Denn "The Gift" ist unter dem Strich ein mit Klischees überhäufter, charakterlich enervierender, schlecht geschriebener, nach dem Baukastenprinzip konstruierter Nervtöter, der sich als Südstaatenthriller mit Übersinnlichentouch tarnt.

Einen gewissen Teil der Schuld dürfen wir entweder Billy Bob Thornton, der die Story zu diesem Kracher verzapft hat, oder Tom Epperson, der dann ein Drehbuch daraus gemacht hat, zuschieben. Beiden ist es nicht gelungen, aus den Untiefe der Genrekonventionen herauszukommen und bedienen die üblichen Standardthrillerklischees nach Kräften.

Das fängt schon bei der Einleitung an, die sich südstaatengemäß viel Zeit nimmt, um uns die betreffenden Personen erst einmal vorzuführen. Zu viel Zeit, denn die papierflachen Charaktere enthüllen mit jeder ihnen zugestandenen Filmminute, wie kammerspielartig und banal sie hier eingesetzt werden.
Da ist erst mal Cate Blanchetts Annie Wilson, die sich ihr karges Zubrot durch Kartenlegen verdient, da sie von Großmütterlein das gewisse Extra mitbekommen hat. Der liebe Männe ist tot, der älteste Sohn nervt, weil er in gewisser Hinsicht reifer als die Mutter mit dem Tod des Vaters umgeht, die Kleinen sind anstrengend. Das Ding mit dem Extra muß uns auch noch erklärt werden, denn wenn Annie Karten legt, könnte sie sich ihre Vorhersagen auch ausdenken, denn da erhält der Zuschauer keinen Einblick. Stattdessen zeigt uns Raimi nur, wenn es sie mal abseits ihrer Kärtchen erwischt, etwa beim Wäscheaufhängen, wo Omi auch gleich zur Warnung aus dem jenseitigen Tann stapft.
Wer jetzt noch nicht schluckt, dem treten spätestens bei der Charakterzeichnung die Tränen in die Augen. Annie ist nämlich, mal krass gesagt, ein verhuschtes Haselmäuschen, deren Temperamentsausbrüche so aussehen, als würde ein Meerschweinchen Kamikaze begehen. Stets verängstigt und mit glasigen Augen in die Kamera guckend, wünscht man sich schon bald, sie würde mal etwas in die Pötte kommen oder wenigstens so etwas wie eine (weniger verachtswürdige) Persönlichkeit entwickeln.

An sie reiht sich nun ein flottes Kleinstadtpanoptikum baldiger möglicher Verdächtiger: Oscar-Preisträgerin Hilary Swank als dankbare Kartenkundin, die sich regelmäßig von ihrem Mann die Gesichtszüge zu Klump hauen läßt, ihn aber nicht verläßt. Was ein Wunder, denn es handelt sich ja um Keanu Reeves, der als brutaler, rassistischer und bibeltreuer Schläger seinem Repertoire an klassischen Fehlbesetzungen nach "The Watcher" noch ein weiteres Glanzlicht beifügt. Onkel Keanu kommt zwar optisch erfrischend asozial herüber und braucht auch sichtlich ein Bad, doch nimmt man den pösen Puben Milchschnittchen Reeves einfach nicht ab. Trotzdem macht er ordentlich Wind um nichts, stößt haarsträubende bis lächerliche Drohungen aus, denn Konfliktpotential muß sein.

Weil Autor Thornton seit "Sling Blade" sein Herz für Zurückgebliebene entdeckt hat, schreibt er gern mal desweiteren so eine Rolle in seine Treatments. Hier hat sie Giovanni Ribisi übernommen, der schon in "Ganz normal verliebt" den Behinderten mit Kußhand rüberbrachte. Hier mimt er den Automechaniker, der besser regelmäßig an die Medikamente hätte denken mögen und verdient sich als einziger das Prädikat "Schauspieler".
Dumm nur, daß seine Rolle mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat, sondern zu einer Quai-Nebenhandlung gehört, die beinahe interessanter als der eigentliche Fall ist und letztendlich doch nur als Mittel zum Zweck dient.
Dann natürlich das Objekt der Begierde, hier zweckmäßig dargestellt von Dawson Creek-Schnuckel Katie Holmes, die hier endlich sweet-bitchy rüberkommen darf, reichlich fließende Stoffe trägt und alles vögelt, was nicht schnell genug im Schrank war. Ihr Galan und Angedachter ist der liebe Schulrektor, wie immer recht knuffig von Greg Kinnear dargestellt, wenn auch in der Kombination nicht sehr wahrscheinlich.
Dazu noch ein reicher Daddy (der von der Holmes), ein mental nicht sehr beweglicher Sheriff, ein Staatsanwalt von der schwer einschätzbaren Sorte (Gary Cole macht wieder mal das Beste aus seinem Nachtfalken-Blick, nachdem er selbst von Holmes im Country-Club zugeritten worden ist.) und reichlich Hinterwäldler Marke bärtig redneckig, die aus dem Stand mal eben den Scheiterhaufen neu aufschütten.

Das wird alles in der guten ersten halben Stunde vor uns ausgebreitet, das klassische Whodunit mit den üblichen Carrington- und Ewing-Lookalike-Charakteren. Anstatt mal anzudeuten oder sich später auf (gelungene) Rückblenden zu verlassen, wird hier alles wie im billigsten Fernsehfilm ausgebreitet. Dann ist Holmes weg und Annie bekommt die entscheidenden Visionen von einer extrem toten Jessica.

Hier hätte es heißen müssen: Raimi, übernehmen sie! Wie oft hat ein begabter Regisseur schon ein schwaches Script gerettet. Doch Raimi inszeniert die visionären Sequenzen, als hätte es "Tanz der Teufel" und seine Atmosphäre nie gegeben. Trotz der Bombenlocations der Bayous (sehen wirklich schön unheimlich aus), zieht er die psychischen Attacken nach dem Milchmädchenprinzip länger = besser durch.
Das sieht dann so aus: Cate Blanchett steht oder sitzt irgendwo in der Gegend rum - Stille bricht aus - langsamer Zoom auf Blanchetts Gesicht - lange Einstellung von ihren glasigen Augen (fehlt nur noch das Schild: Achtung, da hinten kommt eine Vision) - plötzlich/endlich sind wir drin in der Vision - die Musik schlägt beunruhigend düstere Töne an - steigert sich - bis jetzt sehen wir nichts Bedrohliches - immer noch nicht - immer noch nicht - inzwischen ist die Musik so nervend bedeutungsschwanger, daß die Spannungskurve verflacht - alles vorbei? - nee, da kommt nichts mehr - AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!!!!!!! - Ein Holzhammerschock mit Buh-Faktor 10 - wir fallen aus der Vision - wieder Blanchetts Augen - Stille - Zoom zurück in die Ausgangsposition - Blanchett sieht sich um. Anderthalb Minuten verschenkt!
Wer da nicht beim zweiten Mal bereits die Geduld verloren hat, ist seine Ansprüche wohl schon vor langer Zeit auf den Flohmarkt losgeworden. Tatsächlich helfen die Schocks, einen über die Filmlänge wachzuhalten (Na, immerhin.), denn der Rest ist aus der Mottenkiste.

Nachdem sie die Leichen-Location mal eben weitergereicht hat, findet man dann in einer extrem langgezogenen Sequenz die wässrige Katie im Teich des pösen Puben, der sich auch hinreichend verdächtig macht und darob eingekastelt wird. Anschließend ordentlich Hexenjagd auf die arme Annie, damit sie noch mäuschenhafter gucken darf. Dann, und damit schießt Raimi den Vogel ab, eine saumäßig inszenierte Gerichtsverhandlung (wie starten die ihre Mordprozesse eigentlich schon nach zwei Wochen?) im nächstbesten Provinzgericht, die so lachhaft ist, daß man ständig "Einspruch" schreien will, weil es sonst niemand tut. Um den Paria noch deutlicher zu markieren, darf ein unendlich herablassender Schleimer von Rechtsanwalt bis zum Überschreiten der Schmerzgrenze die Würde der Blanchett untergraben, bei der man nur noch darauf wartet, daß sie endlich anfängt zu heulen. Aber sie tut es nicht und das ist auch der einzige Gefallen, den die Blanchett uns gönnt. Den Rechtsschleimer ins Gesicht zu schlagen, hätte uns trotzdem mehr gefreut. Trotzdem macht Reeves den Abflug nach Sing-Sing, weil ja auch mal über die Holmes rüber ist, was unter gesundheitlichen Aspekten eh keiner versteht. Jetzt kommt endlich die Rückblende, die wir uns eh schon gedacht haben und deswegen überflüssig ist, aber immerhin präsentiert Katie Holmes einem Millionenpublikum hier ihre blanken Möpse und das ist doch auch schon was.
Logisch, daß Annie da weiter Visionen und Zweifel bekommt und es am Ende doch ein gaaaaaaaaaanz Anderer war, nämlich der, der sich dramaturgisch geschickt am meisten unverdächtig verhalten hat. Ich bin jetzt fies und verrate nichts, denn mit der Auflösung wird, völlig unzusammenhängend, noch ein übernatürlicher Plot-Twist verbunden, für den man keinen sechsten Sinn braucht, um zu erkennen, daß er hier unpassend war.

Es ist also Essig mit einer spannenden Mördersuche im Sumpfmilieu, stattdessen ein Kleinstadtdrama aus der plakativsten Schublade (ganz unten), der erzählerisch unterentwickelt bleibt und zuviel Zeit mit unnötigen Nebenhandlungen verplempert, anstatt atmosphärisch den Tag zu retten. Selten wurden hellseherische Gaben so verschenkt, wenn es um die Abbildung im Film ging. Selten wurde ein Film mit so doofen und nervenden Dialogen gestreckt. Selten wurden Schocks so ungeschickt verteilt. Technisch mag das alles recht sorgfältig gemacht sein, doch für Gore-Hounds gibt's hier nichts zu holen.

Wer hier den Täter nicht mindestens eine Dreiviertelstunde vor Schluß weiß (gefolgert aus den Besetzungs- und Charaktervorgaben, nicht aus der Handlung), hat Glück gehabt, denn er (oder sie) kann offensichtlich sein Gehirn willkürlich abschalten.
Wer etwas in der Art unbedingt sehen will, der werfe seine alten "Twin Peaks"-Tapes in den Recorder. David Lynch wußte, wie das geht. Oder er nimmt "Gift" - vor Nachwirkungen habe ich hier ausreichend gewarnt. (3/10)

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