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Japan in naher Zukunft. Die Zeiten sind hart; die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Wirtschaftlichkeit am Boden und die Perspektivlosigkeit unter der Bevölkerung erschlagend. Dies wirkt sich zudem negativ auf die Jugendlichen des Landes und ihren Drang, in der Gesellschaft weiterzukommen, aus. Sie gewähren ihrer Zukunft keinerlei Aufmerksamkeit und destabilisieren das soziale Gefüge. Um dieser Ignoranz den Gar aus zu machen, wird das Battle Royale-Gesetz eingeführt, das dazu dient, renitente Schulklassen zu einem Überlebens-Programm auf eine einsame Insel zu schicken.

Die Klasse 9 B der Shiroiwa Junior High School wird auf die Insel berufen. Jeder Schüler bekommt nach den grundlegenden Erklärungen ein Standard-Paket ausgehändigt. In diesem befinden sich einige für das Überleben notwendige Utensilien, wie etwas zu Trinken und Nahrung für ein paar Tage. In dem Paket ist auch eine zufällig zugeteilte Waffe, die dazu dient, die anderen Klassenkameraden auf die eine oder andere Weise um die Ecke zu bringen, bis eine einzige Person als Sieger aus diesem Wettkampf hervorgeht.

Die Schulklasse beginnt willfährig, der gestellten Aufgabe nachzukommen. Keiner der bisher mehr oder weniger beliebten Klassenkameraden ist sicher davor, durch die Hand der anderen das Leben zu verlieren. Shuya und Noriko schließen sich sogleich zusammen und schlagen sich im Verlauf durch zahlreiche gefährliche Situationen, in denen sie lernen, dass jeder doch sich selbst am Nächsten ist.


Bukkoroshite yaru zo

In der Oberstufe im Sozialkundeunterricht wurden meine Klassenkameraden und ich bei einer historischen Abhandlung mal gefragt, wer denn im Dritten Reich in den Widerstand gegangen wäre. Es gingen prompt alle Hände nach oben. Ob sich auch wirklich jeder gemeldet hat, war letzlich auch egal, da die die Frage eher hypothetischer Natur war und die Lehrkraft von voller Zustimmung ausging. Die Sichtung dieses Filmes erinnerte mich jedoch an diesen eigentlich schon längst vergessenen Moment.

Denn Ansichten über emotionale Entscheidungen in der Vergangenheit sind im Jetzt nichts mehr wert, da sie in einem anderen Kontext erfolgten. Dass man sich heute viel mehr dem Widerstand zur Zeit der Nazi-Diktatur zugehörig fühlt, liegt freilich an dem Umstand, dass eine Zugehörigkeit zu der Obrigkeit des Dritten Reiches keinen nachhaltigen Erfolg brachte und heute hochgradig stigmatisiert ist. Gleichermaßen ist heutzutage der Widerstand zur Zeit des Dritten Reiches ideologisch unantastbar, gegossen in Figuren wie Stauffenberg, im Gegensatz zu den führertreuen Institutionen wie Militär und Verwaltung. Heute sind das alles nicht zur Diskussion stehende Selbstverständlichkeiten. Geht man jedoch in der Zeit zurück, so ließen sich in Schulklassen Obrigkeitshörige wie auch Denunzianten finden, die die Juden in ihren Reihen meldeten und ihrem Schicksal überließen. Nachbarn, Kollegen, alte Freunde, alle standen auf den Abschusslisten eifriger Verräter. Das war zu der damaligen Zeit eben ideologisch vertretbar und erwünscht. Die Möglichkeit der Machtgewinnung, die in bestimmten Situationen oder auch bestimmten politischen Zuständen möglich ist, wird von den Menschen zum großen Teil dankbar wahrgenommen und mit voller Brust umgesetzt. Selbst wenn es das Selbstverständnis des Menschlichen verletzt sind Mitmenschen zumeist Opportunisten. Beweisführungen finden sich in der deutschen Geschichte neben dem Dritten Reich auch im Zuge der konsequent fortgesetzten Unterdrückungsmaschinerie in der Deutschen Demokratischen Republik, die sich dort halt Stasi nannte und viele willige Helfer zählte. Die Menschen überraschen sich diesbezüglich immer wieder aufs Neue, da das Individuum käuflich ist, sei es mit Geld oder mit Macht. Eine Betrachtung aus einer anderen Situation, die diese Möglichkeiten nicht mehr offenbart, wird immer falsch sein. Heute stellen sich solche Fragen nicht mehr, also wird man solche Entscheidungen nicht nachvollziehen können. Am Ende war eh jeder im Widerstand, da es natürlich keiner gewesen sein will.


Kuso shite shinezo

Auf einer Insel abgesetzt, mit einer Gruppe von alten Bekannten und der Aufgabe, allen das Leben zu nehmen; würde man selbst das Töten mitmachen? Da der Zuschauer also folglich in keinem Fall die Situation korrekt bewertet, macht sich „Battle Royale“ jenes Fehlurteil zu nutze und nimmt den Zuschauer in eine menschliche Untiefe mit, die in dieser maskenlosen Form nur selten zu Bestaunen ist. Die überraschende Reaktion auf diese hypothetische Situation ist, dass jeder sich seinen eigenen Vorteil erarbeitet und versucht, allen anderen das Leben zu nehmen, nur um selbst nicht ins Gras zu beißen. Der Klassenverband, der dem diabolischen Programm ausgesetzt ist, reagiert nicht mit Kollegialität und Gemeinschaftlichkeit, die man eigentlich erwarten sollte.

Doch der Effekt des eigenen Opportunismus wird direkt ersichtlich. Die Ausführung der Handlung macht zudem eine emotionale Überwindung notwendig, da solche Taten freilich nicht locker von der Hand gehen. Somit wird die psychologische Komponente offensichtlich, die wirkt, wenn man den Effekt des eigenen Handelns direkt zu sehen bekommt. Die Charaktere reagieren panisch, wenn sie realisieren, welche persönliche Schwelle sie überschritten haben, da sie plötzlich im Stande waren, eine so abscheuliche Tat wirklich umzusetzen. Die Charaktere lernen so quasi über sich selbst, dass die Situation sie zu solchen Dingen befähigt. Zu diesem Zwecke bietet der Film eine gehörige Portion Gewalteinlagen als Schauwerte dar. Durch die Gewalteindrücke erzeugt der Film die notwendige Distanz, um die Last der Kinder zur Schau zu stellen. Die Gewaltdarstellung wird aus diesem Grund zu keinem Moment zu einem Selbstzweck, sondern zeigt das traumatische Potenzial auf, das die Aufgabe mit sich bringt, als einzige Person die Insel verlassen zu müssen. Der Film lebt inhaltlich aus dem Zusammenspiel aus dem Gewalteindruck und dem abstoßenden Beigeschmack. So ergötzt man sich zum einen an den gewalttätigen Einlagen, erschaudert aber auch in gleichem Maße.


Butayaro

Ziel des Battle Royale ist es, motivierte Jugendliche aus den Klassen herauszufiltern, die für das Vorankommen des Landes eine grundlegende Basis darstellen. Hierfür sind natürlich auch die Regularien zu erachten, die das System vorgibt. Es ist eine Art umgekehrtes Förderprogramm, das Jugendliche wieder gierig nach ‚Mehr’ machen soll. Nur den Strebsamen wird eine Zukunft eingeräumt. Es soll Menschen herausfiltern, die der Gesellschaft würdig sind und denen alle Chancen offen stehen. Gleichermaßen ist das Battle Royale ein Statement gegen weit verbreitete, aber auch sinnfreie Ansichten allzu beschwichtigender Kuschelpädagogik. Da der Lehrer der maroden Klasse gegen eine Einberufung seiner Schützlinge war, wurde er kurzerhand um die Ecke gebracht. Der ehemalige Lehrer Takeshi jedenfalls, der den Niedergang der Moral im Klassenverband miterlebte, empfand diese Klasse als passend, um an dem Kampf teilzunehmen.

Schuya will aber gar nicht daran teilnehmen. Zusammen mit Noriko und dem tötungsmüden Kawada sind sie die einzigen, die gewillt sind, für ihre moralischen und persönlichen Grundlagen die Anforderungen des Systems zu verweigern. Sie sind die einzigen, die sich dem Kampf nach Machtgewinn entziehen. Sie sind der eigentliche – mit Bezug auf die oben schon erfolgte Abhandlung - Widerstand, den das System hervorzubringen in der Lage ist, es jedoch zu keinem Zeitpunkt destabilisiert. Und letztlich sind sie die Gejagten des Systems, weil sie sich gegenseitig nicht mehr dezimieren wollen.


Okamesan

Die Geschichte, die auf einem Roman basiert, hat trotz seines sehr guten Konzeptes auch einige Schwachpunkte. Obwohl die Story für sich gesehen enorme Stärken und eine gewisse Sprengkraft aufweist, schafft es der Film nicht, die Geschichte ohne Fehltritte durchzuhalten. So werden kurz vor Beginn des wichtigen Kampfes dem Klassenverband zwei Charaktere hinzugefügt, die sich als Fremdkörper in das Getümmel des Klassenkameraden mischen und letztlich auch zu viele Tötungen landen können. Damit entgleitet dem Film nicht nur eine große Portion seiner potenziellen Dynamik, sondern er enthebt das Geschehen aus der sozialen Entität einer Schulklasse. Durch die Dreingabe von zwei alten Hasen, werden die Schüler nicht nur gegen ihre Kameraden ins Gefecht geschickt. Die zwei hinzugefügten Figuren sollen für eine größere Anstrengung aller Beteiligten sorgen, als eine Art Katalysator, damit man sich nicht ausschließlich auf friedliche Mittel besinnt.

Dadurch leiden einige Elemente, die der Film nur anschneiden kann. In Flashbacks gepackt werden – zwischen den jeweiligen Tötungen - die früheren Beziehungen der einzelnen Klassenkameraden untereinander rekapituliert, so wie auch die klischeebehafteten Rollen einzelner Personen. Die Beliebten, die Gemobbten, die Schwatzhaften und andere finden sich allesamt im Klassenverband und werden entsprechend portraitiert, mit Shuya als zentralem Sympathieträger der Erzählung. Bei den Tötungshandlungen dienen die Vor-Erzählungen als Schablone, ob die Täter zwischen Mitleid, Bedauern und der Freude am Töten wanken. Jedoch bleibt das insgesamt zu schemenhaft, um als elementarer Baustein der Geschichte zu gelten. Das ist ein immenser Verlust für die gesamte Erzählung, die mit einem simplen dramaturgischen Kniff, vielleicht imposanter gestaltet, aber eben auch verwässert wurde.


Was vom Inselkoller übrig blieb

Die Schauspieler werden ihren leicht überdrehten Rollen freilich gerecht und portraitieren die unterschiedlichen Charaktere amüsant und beschaulich. Es gibt selbstverständlich die Klischeecharaktere einer Schulklasse, die es in dieser Form anscheinend überall auf der Welt zu geben scheint. Zumindest glaubt man das. Gerade aus diesem Grund funktioniert der Film international. Die nennenswert bekannten Schauspieler sind das japanische Allround-Talent Takeshi Kitano, der als Lehrer des Klassenverbandes den kontrollierenden und kommentierenden Part einnimmt und auch in dieser Rolle in seiner typischen Manier brilliert. Als einzige bekanntere Schülerdarstellerin ist Chiaki Kuriyama zu erkennen, die man als Gogo Yubari in „Kill Bill Vol. 1“ gesehen hat.

Ingesamt gibt „Battle Royale“ eine herrliche Satire ab, gespickt mit köstlich absurden Situationen. Seien es die klassischen Musiken aus den Lautsprechern zu grausamer Tötungsästhetik, die Aufforderung zur Morgengymnastik, einige Konfrontationen unter den Schülern und viele andere humorvolle Einwürfe. Ansonsten wird von der Geschichte ein absolut dystopisches Bild der Zukunft gezeichnet. Dieses ist natürlich nicht unbedingt realistisch, aber es ist grundsätzlich glaubwürdig und reicht als Prämisse für einen blutigen Film über Schüler, die einer unfassbaren Situation ausgesetzt sind.

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