Es gibt Filme, die wirken als seien sie am Reißbrett entworfen worden. Sie wollen gar nicht lebendig oder "wie aus dem Leben gegriffen" wirken, sondern beschäftigen sich mit einer originellen Idee, um die sie das gesamte Geschehen herum konstruieren - hier wird der Filmemacher zum Architekten. Doch das muß keineswegs bedeuten, daß sich darin nicht das "wahre Leben" widerspiegeln kann. Ähnlich einem abstrakten Gemälde kann sich die Intention des Gestalters hier deutlicher hervorheben als bei einem "normalen" Film.
"Schräger als Fiktion" versucht keine Sekunde eine normale Geschichte zu erzählen, sondern beginnt ein wenig wie eine Dokumentation. Eine Dokumentation über das Leben des Steuerfahnders Harold Crick (Will Ferrell), beschrieben von einer weiblichen Stimme aus dem Off, die uns schnell damit vertraut macht, daß hier ein Mensch nach einer strengen Ordnung lebt. Harold Cricks Leben hat keinen Raum für Zufälle oder Improvisation, alles ist strengen Regeln untergeordnet, die Anzahl der Putzbewegung beim Reinigen der Zähne, die Anzahl der Schritte bis zur Bushaltestelle und natürlich die sekundengenaue Einhaltung immer der selben Zeit zum Essen oder Schlafengehen.
In diesen frühen Sequenzen ist der Film gestalterisch herausragend. Zusätzlich zu der mit kühlen Bildern unterstützten Personenbeschreibung verwendet der Film Grafiken, die optisch die totale Kontrolle über Raum und Zeit verdeutlichen. Wie bei technische Zeichnungen werden Gebäude und Gegenstände mit Linien umfaßt und dazu ständig Zahlen eingetragen - alles wird vermessen, alle Dimensionen des Lebens lassen sich an Hand von Zahlen ausdrücken. Bei Harold Crick handelt es sich um eine konstruierte, überzeichnete Figur, die genau dadurch menschliche Unzulänglichkeiten auf den Punkt bringt und die in ihrer Künstlichkeit wie eine Fiktion wirkt.
Doch bekanntlich ist hier alles "schräger als Fiktion" und so geht der Film noch einen Schritt weiter. Als die Stimme aus dem Off anfängt Harolds Leben auch zu interpretieren, dabei seine Einsamkeit erwähnt, die jahrelange Eintönigkeit seines Daseins beschreibt und über seine sozialen Unfähigkeiten philosophiert, kann Harold plötzlich mithören. Hier gewinnt der Film eine originelle, wirklich komische Seite dazu. Man muß sich vorstellen, daß eine unsichtbare Stimme unser Leben parallel beschreibt, aber dabei auch immer allwissend über das Geschehen hinausgeht - mal innere Gefühle beschreibt, mal schon einen Blick in die Zukunft wagt und auch kritisch bestimmte Verhaltensweisen beurteilt. Wer käme da nicht aus dem Konzept und hielte sich für wahnsinnig ?
Harold Cricks Leben gerät völlig durcheinander und es zeigt sich deutlich, wie zurückhaltend komisch Will Ferrell als Komiker sein kann. Denn er agiert hier sehr ruhig, der Witz liegt im Detail, nicht in der brachialen Ausschmückung. Ferrell bleibt dem steifen, emotionslosen Charakter treu und zeigt eine langsame Metarmophose hin zu einem "lebendigeren" Menschen. Dazu trägt noch zusätzlich Ana (Maggie Gyllenhaal) bei, deren Steuern Harold prüfen soll. Ana ist das glatte Gegenteil von Harold, anarchistisch und unabhängig, und wenn man dann erlebt, wie sich diese beiden Charaktere langsam aufeinander zu bewegen, dann findet auch der Film wieder ganz zu sich - gerade durch seine offensichtliche Konstruiertheit wirkt diese Begegnung in diesem Filmwerk besonders lebendig.
Doch "Schräger als Fiktion" verläßt zunehmend den einseitigen Blick auf Harold und stellt in einer Parallelhandlung eine weitere Person in den Mittelpunkt - die Schriftstellerin Kay Eiffel (Emma Thompson), die seit Jahren an einer Schreibblockade leidet. Ihr zur Seite gestellt wird Penny Escher (Queen Latifah), die ihr helfen soll, den nächsten Roman zu Ende zu bringen.
So notwendig dieser Handlungsteil für die Auflösung ist, so sehr liegt hier die Schwäche des Films. Für Harold wird noch ein "Deus ex Machina" gebraucht, von den Machern hier wörtlich genommen - Jemand, der gottgleich über Harolds Leben bestimmen kann. Als konstruktive Lösung ist das nachvollziehbar, doch hier verliert der Film nicht nur sein Tempo, sondern vor allem seinen erzählerischen Drive und die emotionale Tiefe. In diesem Teil wird die originelle Story zum Selbstzweck, getreu dem Motto : eine konstruktive Lösung braucht auch immer eine Begründung, der Kreis muß sich schließen und selbst das abstruseste Stilmittel bedarf einer Erklärung, auch wenn diese dann wieder "schräger als Fiktion" sein darf.
Selbst in diesen Momenten bleibt der Film unterhaltend. Das ist aber ausschließlich Dustin Hoffmann zu verdanken, der als Literatur Professor auch an die schrägste Story noch mit interpretatorischem und wissenschaftlichen Eifer herangeht - so das es eine reine Freude ist, ihm dabei zuzusehen.
Zum Schluß kriegt "Schräger als Fiktion" aber wieder die Kurve zu seiner eigentlichen Intention und er bekommt die Ausmaße eines klassischen "Feel-Good-Movies", daß seinen Zuseher mit einem befriedigenden Gefühl zurückläßt.
Fazit : bewußt konstruktives Filmkunstwerk, daß mit einer originellen, absurden, aber in sich logischen Geschichte überzeugen kann. Trotz der darin verborgenen Gesellschaftskritik, bleibt der Film überraschend zurückhaltend, deutlich mehr an seinen Charakteren und ihrem Schicksal interessiert als an irgendwelchen plakativen Aussagen.
Optisch und darstellerisch ist das kongenial umgesetzt, aber zeitweise verliert der Film vor lauter Stilwillen und erzählerischer Konsequenz seine emotionale Tiefe und seinen sanften Witz. Der Handlungsteil um die schreibblockierte Schriftstellerin kann nicht annähernd so berühren wie das Geschehen um Harold Crick, wird aber im Mittelteil breit ausgewalzt, um letztendlich die "Konstruktionszeichnung" zu vervollständigen.
Natürlich spürt man auch hier immer die Intelligenz, aber das allein macht bekanntlich noch keinen guten Film. Doch letztendlich verblaßt dieser Eindruck und da die Macher zum Schluß aus ihrem eigenen Korsett ausbrechen und sich "ein wenig gehen lassen", bleibt das angenehme Gefühl zurück einen originellen, optisch schönen und auch emotionalen Film gesehen zu haben (8/10).