Wirr und grell, schrill und bunt, bizarr und sleazig – das sind die Attribute, die „Lusthaus teuflischer Begierden“ kennzeichnen wie wohl kaum einen anderen Film, den ich in den vergangenen Jahren gesehen habe. Vor allem aber ist er in seinen Qualitäten widersprüchlich – oder kennt jemand sonst noch einen Film, der gleichzeitig schlecht und brillant ist?
Renato Polselli war bereits fast 20 Jahre im Geschäft, als er sich entschied, unter dem Pseudonym Ralph Brown neu anzufangen und Filme zu kreieren, die sich jeder Logik verschließen – mit einer Geschichte, die Bilder aneinanderreiht, die schwer bis gar nicht zu begreifen sind, und mit Figuren, die ein derart erratisches Verhalten an den Tag legen, dass sie metergroße Fragezeichen hinterlassen. „Lusthaus teuflischer Begierden“ war der erste in dieser Reihe und er ist auch schon der extremste, weil experimentellste Vertreter des Regisseurs, weil er ein Thema in jeder erdenklichen Form exzessiv auslebt, das immer wieder Bestandteil im polsellischen Universum sein sollte: den Wahnsinn. In „Lusthaus teuflischer Begierden“ lugt er hinter allen Ecken hervor: Das fängt mit dem durchgeknallten Drehbuchautor Roibert an, der in seinem Hass auf die Welt, vor allem aber auf seine Geliebte Diana, die ihn mit ihrer schwarzen Sklavin Yanita betrügt, Selbstmord begeht. Diese Verzweiflungstat will er aber aus Rache eben Diana in die Schuhe schieben und hat deshalb zuvor größte Anstrengungen unternommen, dass sein Tod nach Mord aussieht.
Was sich als Inhaltswiedergabe womöglich noch relativ stringent liest, sieht auf Leinwand und Bildschirm doch ganz anders aus: Von Anfang an setzt Polselli die Charaktere seines Films in vermeintlichen Rückblenden und/oder Visionen vor leere Hintergründe, über die knallbunte Farbspiele flackern, lässt sie darin dick aufgetragene Liebesschwüre sprechen, legt bevorzugt Rotfilter über diverse Gebäude und Landschaften, die wiederum in keinem Zusammenhang mit dem stehen, was drum herum passiert, löst allgemein mitunter Raum und Zeit auf und verwendet Archivaufnahmen von Streiks und Kriegsangriffen. Die wechselhaften Musikstile, darunter ein schönes Pianostück, kollidieren fortwährend miteinander, und es werden auch mal Polizeisirenengeheul, Maschinengewehrgerattere und Marschmusik akustisch über die Bilder eingespielt. Gesichter in Großaufnahme, weit aufgerissene Augen und viel Geschrei der einzelnen Figuren machen aus „Lusthaus teuflischer Begierden“ einen schwer verdaulichen und anstrengenden Fiebertraum, vor dem man wahlweise kapituliert – oder von dem man sich einfach mitreißen lässt.
Es gibt nicht eine Minute, in der der Film Ruhe gibt, weil auch die zunächst noch sehr kalte und abweisende Diana nach dem vor ihren Augen vollzogenen Suizid selbst den Verstand verliert und sich mit geisterhaften Erscheinungen Roiberts und Erinnerungsfragmenten aus der Vergangenheit konfrontiert sieht, die sie glauben machen, selbst verrückt zu sein. Und dann wäre da auch noch der nicht minder verrückte Zeuge Tortoletto in seinem Satin-Bademantel, der Diana bei ihrem Versuch, die Leiche in einer Truhe zu verstauen, vom Fenster aus beobachtet und ihr fortan auf die Pelle rückt, sich im Haus einnistet, um sie nicht nur zu erpressen, sondern sie bis aufs Blut mit sadistischen Spielchen zu demütigen – wie etwa Diana auf den Boden zu werfen, ihre Gliedmaßen mit Hanteln zu beschweren und einen Schäferhund rohes Fleisch von ihrem nackten Körper schlabbern zu lassen.
Mit dem ersten Erscheinen Tortolettos dreht „Lusthaus teuflischer Begierden“ vollends am Rad, und man weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Sein schädelsprengendes Gehabe, wie ein Springteufel durch die Gegend zu hüpfen, beklopptes Zeug zu quasseln, zu tanzen, zu quak-quak-quaken und sich in regelmäßigen Abständen Eier zu kochen, irritiert dabei ebenso wie Dianas eigener wankelmütiger Gemütszustand, der zwar über weite Strecken hysterisch bleibt, aber immer mal wieder von kurzzeitigen besonnenen, mitunter gar durchtriebenen Momenten unterbrochen wird, um schließlich wieder in kreischende Schockstarre zu verfallen. Gleiches gilt für die alsbald vorbeikommende Yanita, die ihre Herrin auf Tortolettos Verlangen hin erst auspeitscht, aber dann weich wie Butter wird, als ihr Diana ins Bein beißt. Der Biss hat nämlich zur Folge, dass sie sich einen Moment später auf dem Teppich lieben. Später taucht noch völlig unvermittelt ein Freund von Yanita, Stefano, mit nacktem und Fingerfarben bemaltem Oberkörper im Haus auf, ehe sich in einem Nebenraum – ebenfalls völlig unvermittelt – eine Gruppe splitternackter und offensichtlich zugedröhnter Hippies versammelt und mit Schmuse- und Party-Songs um ihr Leben tanzt. Wo die herkommen? Keine Ahnung, hier geht alles.
Wenn Polsellis Film eines ist, dann dieses: unberechenbar. Und er fährt „Lusthaus teuflischer Begierden“ konsequent neben der Spur: Für seinen Film, in dem weder Story noch Figurenverhalten einen Sinn ergeben und sich rätselhafte Szene auf rätselhafte Szene türmt, mag er sich nicht einmal für ein bestimmtes Genre entscheiden. Alle Elemente trägt er dick und noch dicker auf, ob das anfängliche Drama um den depressiven Roibert, das sich anschließende „Das Haus der Lady Alquist“-Kammerspiel-Szenario, die unerträglich kitschigen Liebesszenen, der einer Italo-Klamotte entsprungene Tortoletto oder der als blutender Horror-Geist überall auftauchende Roibert. Selbst die zahlreichen Nacktszenen vor allem von der schönen Rita Calderoni, die mit Erotik nicht zu verwechseln sind, machen regelmäßig seltsame Turns, wenn Diana sich in der Badewanne von Tortoletto erst widerwillig und schließlich doch willig das Blut abbrausen lässt oder wie beschrieben ein Biss ins Bein zu sexueller Erregung führt. Zum Schluss setzt sich zwar der Thriller-Plot durch, aber immer nur kurzzeitig, wird er doch ständig von den tanzenden Blumenkindern unterbrochen.
Als wäre das nicht genug, kann man, wenn man möchte, in dem ganzen Sammelsurium sogar eine mit der Brechstange windelweich gekloppte Gesellschaftskritik erkennen, denn zwischen den Zeilen deutet Polselli immer wieder an, dass Roibert sich mit der Arbeiterbewegung verbunden fühlt, ihr aber nicht zugehörig sein kann, weil er Diana liebt, die wiederum, aus einem adeligen Haus kommend, eine streikende Menschenmasse als „räudige Hunde“ bezeichnet. Stefano wiederum erscheint als Stimme der Vernunft, die Freundin Yanita davor warnt, sich Dianas Welt, in der der Tod regiert, anzuschließen. Der Film lässt sich am Ende somit als Plädoyer für die 68er-Bewegung und die freie Liebe und gegen das politische Establishment lesen, wenn die fröhlich – übrigens unter anderem zu einem Lied mit dem vielsagenden Titel „Ama il prossimo tuo“ („Liebe deinen Nächsten“) – tanzenden Hippies (Frieden) immer wieder dem gewalttätigen Treiben rund um Diana direkt nebenan (Krieg) als Kontrast gegenübergestellt werden. So gesellt sich schließlich in der letzten Szene Tortoletto zu den Hippies, während Diana allein im Nebenzimmer zurückbleibt, sprich: Er hat sich für eine Seite entschieden, Diana bleibt in ihrem alten Trott zurück.
Neben der Originalfassung und einer um einige deutsche Szenenschnipsel ergänzten Version im italienischen Original mit englischen Untertiteln, die vorrangig im Netz kursiert, gibt es auch noch eine vom Schmuddel-Produzenten Alois Brummer um einzelne Szenen geschnittene und mit den Hauptdarstellern nachgedrehte Sexszenen ergänzte Fassung, die seinerzeit in deutschen Kinos lief. Diese macht das wilde Treiben tatsächlich noch schräger, als es das Original ohnehin schon ist – allerdings auch langwieriger und ermüdender, weshalb die ursprünglich intendierte Fassung vorzuziehen ist. Außerdem muss man dabei auf den absoluten Höhepunkt, den vierminütigen Tanz der bekifften Hippies, verzichten, der wie wenige andere Filme das damalige Lebensgefühl, wie ich es mir vorstelle, wiedergibt.
Wer sein Herz für völlig enthemmte, weil sich jeglichen Konventionen verwehrende Werke entdeckt hat, wird „Lusthaus teuflischer Begierden“ lieben. Ja, er ist laut. Ja, er ist grell. Ja, er ist völlig unsubtil – und ja, er ist nicht immer geschmackssicher. Aber er ist in seinem groben und unsauber geschnittenen Polter-Stil auch unglaublich faszinierend, sogar so sehr, dass ich seit meiner ersten Sichtung nicht von ihm loskomme. 8/10.