Review

Season 03 / 2

DIE SIMPSONS - DAS DRITTE JAHR.
TEIL 2


EPISODE 13
WER ANDEREN EINEN BRUNNEN GRÄBT (Radio Bart)
Deutsche Erstausstrahlung: 01.02.1993
US-Erstausstrahlung: 09.01.1992

Inhalt: Zu seinem zehnten Geburtstag bekommt Bart ein Funkgerät geschenkt, mit dem er sich jedes Radiogerät einschalten kann. Nach ein paar harmlosen Streichen kommt ihm dann die Super-Idee: Er versenkt den Lautsprecher und den Verstärker in einem Brunnen und ruft um Hilfe. Er gibt sich als einen von Direktor Skinner verstoßenen Waisenjungen aus - ein Streich mit fatalen Folgen! (Booklet-Text)
Basierend auf Billy Wilders “Reporter des Satans” geht die 13. Folge der dritten Staffel wieder verstärkt Richtung Medienkritik. Und sicher eines geglaubten Erfolges, höchstens noch leicht gefährdet durch “Ren & Stimpy”, reichte man diese Folge ein, um zum dritten Mal in hintereinander den “Emmy” zu gewinnen - und ihn gegen “Claymation Easter” zu verlieren.
Emmy-Potenzial war aber da, denn “Radio Bart” funktioniert gleichermaßen medienkritisch wie moralisch und ist in der Lage, beides interdisziplinär aufeinander abzustimmen und noch dazu diverse Bewohner Springfields an ihren typischen Charaktermerkmalen zu packen und sie sinnvoll in den Plot einzuflechten.
Alles beginnt mal wieder mit der Werbung. Betont auf deren Mechanismen ausgelegt, sehen wir einen Spot für ein Radio-Mikrofon, und es wird zu einer kausalen, unausweichlichen Folge, dass der Konsument dieses Clips - hier Bart - das beworbene Produkt ohne wenn und aber kauft. Man kann sich sicher sein, Homer hätte es auch gekauft.
Die Berichterstattung durch die Fernsehmedien steht nun im Vordergrund. Angesprochen wird die radikale Emotionalisierung und das In-Szene-Setzen einzelner Vorfälle, während ringsherum möglicherweise weitaus schlimmere Dinge passieren. Als sich dann Bart wegen eines dummen Fehlers selbst in den Brunnen befördert, wird die Wankelmütigkeit der Medien aufs Korn genommen - in einer Sekunde der arme Timmy, in der anderen der verbrecherische Betrüger-Bart. Das Schicksal eines kleinen Jungen wird gleichgültig; wichtig ist es, welche Story man aus dem gegebenen Informationen basteln kann. Passend dazu hat natürlich Bürgermeister Quimby wieder einen denkwürdigen Heuchelauftritt (“I’m flip-flopping!”), das Springfield-Volk tritt in Massen in Erscheinung und Itchy & Scratchy liefern sich eine Schlacht in einem Brunnen.
Einen kleinen Seitenhieb auf die Musikindustrie gibt’s auch noch: In einer Reportage wird eine Parodie auf “Milli Vanilli” gebracht, die in den Achtzigern bekanntlich durch ihren Playbackgesang einen Skandal hervorbrachten zu einer Sache, die heute alltäglich ist.
Auf der anderen Seite nun die moralische Komponente, die durch Barts dumme Idee angetrieben wird und in derselben Szene ihren Wendepunkt markiert, die auch schon die Medienkritik in eine neue Richtung lenkte: Barts Fall in den Brunnen. Durch den parallelen Erzählstrang wird dementsprechend eine Verbindung gezogen zwischen beiden Ebenen, wenn auch die Aussage darauf hinzielt, beides getrennt zu betrachten, was diesmal durch das korrekte Verhalten der Simpsons-Eltern (irgendwie auch von Homer) verdeutlicht wird.

EPISODE 14
DER WETTKÖNIG (Lisa The Greek)
Deutsche Erstausstrahlung: 25.01.1993
US-Erstausstrahlung: 23.01.1992

Inhalt: Lisa beklagt sich bei Marge, weil Homer kein Interesse an ihr zeigt. Marge rät ihr, Interesse an seinen Hobbies zu zeigen. Homer hat einen Faible für Football-Wetten und genau da setzt Lisa an. Keiner weiß wie, aber sie tippt immer auf den Sieger und Homer gewinnt. Zwischen Vater und Tochter läufts jetzt natürlich blendend, bis Lisa merkt, dass Homer sich eigentlich nur für ihre Tipps interessiert. (Booklet-Text)
Die Homer-Lisa-Vater-Tochter-Episoden waren immer eine zwiespältige Angelegenheit. Von Fans guter Slapstick meist verachtet, zeigten sich Kritiker eigentlich immer begeistert davon, wenn Homer und Lisa in Konflikt gerieten. Und wenn man mal ganz ehrlich ist: So witzig Episoden auch sein mögen, die Bart und Homer im Fokus haben, die Qualität einer Homer-Lisa-Episode haben sie nie erreicht.
Weshalb dem so ist, überrascht eigentlich nicht weiter. Gegensätze schaffen Kontraste, und Kontraste schaffen Dramatik. Und die Dramatik hält einen Handlungsbogen aufrecht. Tja, und Handlungsbögen, die sind das Herz einer guten Folge.
Nehmen wir als Vergleichsbeispiel mal “Das Seifenkistenrennen”. Die Folge hat sicherlich gezündet, nicht zuletzt durch die diversen Actionfilm-Anspielungen. Aber die Mühe, in der linearen und absolut parallelen Verhaltensfolge von Vater und Sohn - die sich nun mal ähneln wie ein Ei dem anderen - Differenzen und väterliche Defizite zu konstruieren, war den Drehbuchautoren deutlich anzumerken. Dass Homer Bart nicht erreichte, lag einzig und alleine an ihm und seiner erbärmlichen Vorstellung als Vater, nicht jedoch an der Beziehung zwischen beiden.
Ganz anders sieht das nun in dieser Folge aus. Die Differenzen zwischen Homer und Lisa schreiben sich wie von selbst, weil ausgehend von den charakterlichen Unterschieden automatisch Streitigkeiten und Missverständnisse entstehen. Zwar betonen die Autoren, dass Lisa-Homer-Folgen für sie ebenso schön wie schwierig zu schreiben sind, aber das dürfte rein an der Vielschichtigkeit der Beziehung liegen.
Diese wird in “Der Wettkönig” durch eine metaphorisch zu verstehende Wette auf Footballspiele dargestellt. Zunächst ist es ein Verbindungsfaden, der Homer und Lisa vereint; als Homer am Saisonende jedoch den Vater-Tochter-Sonntag aufgeben will, wird es zu einer Probe für die Beziehung zwischen Homer und Lisa. Die Situation vor dem Finale ist ein kleiner Geniestreich; Hier wird mit dem Unterbewusstsein der Charaktere gespielt und ihr komplettes, komplexes Gefühlsleben in eine simple Gleichung gesetzt. Im übertragenen Sinne wird also Lisas facettenreiches Innenleben auf Homers simple Zweispurigkeit hin angepasst und kompatibel gemacht. Das ist schlichtweg genial und so eigentlich nur in einer Folge möglich, in der Homer und Lisa im Mittelpunkt stehen.

EPISODE 15
WENN MUTTER STREIKT (Homer Alone)
Deutsche Erstausstrahlung: 03.02.1993
US-Erstausstrahlung: 06.02.1992

Inhalt: Marge kann nicht mehr. Aufgrund der hohen Belastung der Familie erleidet sie einen Nervenzusammenbruch. Daraufhin begibt sich Marge in die wohlverdiente Kur und die Kinder werden zu ihren Tanten Patty und Selma gebracht. Maggie wehrt sich jedoch erfolgreich und darf bei Homer bleiben. Lisa und Bart bleiben die Tanten allerdings nicht erspart. (Booklet-Text)
“Homer ist meine Lieblingsfigur!” “Ich bin Homer-Fan!” “Bart finde ich witzig.” “Homer rult alles weg!”
Diese und ähnliche Sätze hört man immer wieder. Aber gibt es jemanden, dessen Lieblingsfigur Lisa oder Marge ist? Eher weniger. Ich will mich da selbst auch gar nicht rausnehmen, Homer ist einfach der Gott der Fernsehunterhaltung, und eine schrullige, politisch unkorrekte Person ist grundsätzlich immer lustiger als ein moralisch unangreifbares Pendant. Doch eines sollte mal klargestellt werden: All die Albernheiten der männlichen Hälfte der Simpsons-Familie wären überhaupt nichts ohne einen angemessenen Kontrast. Und den erstellt neben Lisa, die zu diesem Zeitpunkt schon diverse Folgen auf ihrer Haben-Seite hatte, nun zum ersten Mal Marge.
Bis man sich in den letzten Folgen, was ihre Charakterzeichnung betrifft, enorm verzettelte, galt Marge nämlich immer als der unauffällige Familienrückhalt aus dem Hintergrund. Marge-Folgen waren deshalb lange Zeit rar gestrickt, denn ihre Aufgabe war es stets, den von Homer gestifteten Unsinn mit ihrem Saubermann-Image geradezu herauszufordern. Eine Protagonistenrolle hätte da nicht ins Konzept gepasst.
Nun wollte man diesen Sachverhalt mal endlich in das Bewusstsein der Leute berufen, die ganz undankbar Tag für Tag Homer anbeten und darüber hinaus Marge vergessen. Viele Hausfrauen werden sich da mit enormem Identifikationspotenzial wiederfinden, denn dies ist nicht nur ein Problem der Rezeption von Cartoonfiguren, sondern das ist auch ein realer Sachverhalt. “Wenn Mutter streikt” ist also einerseits eine Richtigstellung dessen, wie die Simpsons wirklich funktionieren - andererseits ist es eine Mahnung, auch diejenigen zu ehren, die sich im Hintergrund der Maschinerie den Allerwertesten aufreißen und nicht nur dann, wenn alle hinsehen.
Dargestellt wird dies durch eine schrittweise Verschlechterung der Konditionen, unter denen Homer mit seinen Kindern haust - parallel zu der Dauer, die Marge in Urlaub ist. Das Intro zeigt noch zwei rüpelhafte Urwaldtiere, die in einer Hommage an die Roadrunner-Cartoons mit Standbild, Zeitlupe und Fast Motion durch ein unendliches Wohnzimmer rennen (bei der Gelegenheit: der Audiokommentar dieser Folge eignet sich besonders für historisch Interessierte, die wissen wollen, inwiefern Hanna-Barbera-Cartoons Einfluss auf die Simpsons ausgeübt haben). Rücksicht auf die Mutter, die das Haus sauber hält, wird da noch nicht genommen. Nachdem Marge dann ausgerastet ist und in Kur fährt, kann man mit jeder Einzelanimation sehen, wie die zurückgebliebenen Simpsons Stück für Stück verlausen. Nimmt man das Grundgerüst weg, fällt das ganze Haus zusammen - dies ist die Grundaussage, und Hausfrauen oder andere gerne übersehenen “Minderheiten”, die mit dieser Episode in Kontakt kommen, werden frohlocken und die Groening-Serie zu ihrem Liebling erklären.
Ein Parallelschnitt zwischen Marge in Kur und den Simpsons bei ihrem Kampf mit dem Alltag führt nun durch die weitere Laufzeit, und die relaxte Atmosphäre schafft einen wunderbaren Kontrast zu der verzweifelten Lage in Springfield, die sich vor allem mit Slapstick über Wasser hält, welche sich auf die grummeligen Marge-Schwestern und den hoffnungslos überforderten Familienvater stützen. Die Odyssee von Maggie im Subplot des dritten Aktes glänzt derweil mit der Suche nach symbolischen Ersatzmüttern. Und mit einem strahlenden Familienfoto, das vor die abgehalfterte echte Familie gehalten wird, zeigt sich der Verwandlungsprozess überdeutlich - und Marge hat ihre Würde wieder. Zumindest bis zum Beginn der nächsten Folge.

EPISODE 16
DIE KONTAKTANZEIGE (Bart The Lover)
Deutsche Erstausstrahlung: 26.01.1993
US-Erstausstrahlung: 13.02.1992

Inhalt: Barts Lehrerin Mrs. Krabappel fühlt sich einsam und gibt eine Kontaktanzeige auf. Als Bart eines Tages bei ihr nachsitzen muss, entdeckt er die Anzeige auf ihrem Schreibtisch. Er beschließt ihr einen Streich zu spielen und antwortet mit einem Liebesbrief auf ihre Kontaktanzeige. (Booklet-Text)
Es wurde Zeit, dass man sich mal mit den Eigenschaften verschiedenster Medien auseinandersetzte sowie mit den Möglichkeiten, die sie bieten; und den Gefahren, die sie bergen.
Als “Versuchsexemplar” wurde mal ausnahmsweise kein Simpsons-Mitglied auserkoren, sondern Barts Lehrerin Mrs. Krabappel, die zugleich auch ordentlich Charakterzeichnung erfährt. Während man sie zuvor immer nur als etwas sarkastische und amtsmüde Beamtenperson in der Schule sah, begleiten wir sie nun beispielsweise kurzzeitig in ihr Apartment, das gewisse Einflüsse von Catwoman aus “Batman Returns” erahnen lässt; und das wäre nicht einmal so falsch, denn was sich offenbart, ist die Tatsache, das auch Mrs. Krabappel hinter ihrer Schulfassade ein menschliches Wesen ist, das genauso traurig und verzweifelt wie auch glücklich und zufrieden sein kann.
Der Clou liegt in einem Spaß, den sich Bart mit seiner Lehrerin macht. 1992 war das Internet noch eine Nerd-Phantasie im Frühstadium, aber diverse Aspekte, die hier in den Vordergrund treten sollten, werden in dieser Folge bereits in literaler Form vorweggenommen. Kann ein Mensch die Identität eines anderen Menschen annehmen? Kann Mrs. Krabappel einen Schüler aus ihrer Klasse für ihren Traummann halten? So wie es aussieht, ja. Möglich macht’s der Brief.
Wir werden nun erst einmal aufhorchen: unser dummer Bart soll Liebesbriefe schreiben können, die eine erwachsene Frau zum Schmelzen bringen? Nun ja, da spielt natürlich einmal die Verzweiflung dieser Frau mit; andererseits bastelt sich Bart aber auch Texte daraus zusammen, was er so aufschnappt; seien es die Briefe des Vaters (die allerdings in der Rohfassung wohl keinen romantischen Effekt gehabt hätten), Ednas Träumereien bei der Aufsicht über den nachsitzenden Bart oder Bilder von Prominenten. Ein Subplot um die Flanders-Kinder macht dieses Imitationsverhalten auf spaßige Weise deutlich, denn sie beginnen plötzlich, zu fluchen, und Ned ist auf der Suche nach der Quelle. Dieser Subplot birgt viele witzige Momente, die sich aus dem Kontrast der Gottesfurcht zu Homers gotteslästerlichem Gefluche ergeben.
Das Ende versöhnt alle und zeigt, dass Unwissenheit manchmal ein Segen ist. In familiärer Einheit wird ein romantischer Abschiedsbrief für Edna geschrieben, zwischendurch mit Homers absurden Einfällen gewürzt (“P.S.: I am gay!”), aber insgesamt unheimlich stimmig und süß, fast schon schmalzig, aber wenn, dann gewollt.
Ein “Remake” dieser Folge würde heute sicherlich im Internet stattfinden; das bietet dafür genug Gelegenheiten.

EPISODE 17
DER WUNDERSCHLÄGER (Homer At The Bat)
Deutsche Erstausstrahlung: 02.02.1993
US-Erstausstrahlung: 20.02.1992

Inhalt: Die Firmensoftballmannschaft des Atomkraftwerks nimmt am Städtewettkampf teil. Normalerweise ist diese Mannschaft nicht sehr erfolgreich, doch dieses Mal tritt Homer mit einem selbstgebastelten Schläger an. Dieser Schläger wirkt angeblich Wunder und die Mannschaft schafft es ins Finale. Doch Mr. Burns hat andere Pläne... (Booklet-Text)
Jim Reardon liefert noch mal eine reine Funepisode, die prompt endlich mal Dauerkonkurrenten Bill Cosby schlug, was sicherlich an den vielen Gaststars lag. Tatsächlich wirkt “der Wunderschläger” irgendwie wie “Ocean’s 11" bzw. “12": Haufenweise Promis werden in ein Team gesteckt, und der Plot bemüht sich, in der knappen Zeit jeden einzelnen ordentlich zu charakterisieren und jeden ganz individuell in den Plot einzubinden. Und mitten im Plot steht ein grundsätzlich Unbekannter, der sich mit einer TV-Serie einen Namen gemacht hat und nun gegen die vielen Kinostars anstinken muss. Die Rede ist von Homer, der versucht, in das erste Softballteam des Kernkraftwerks zu kommen. Zu blöd, dass Burns eine Wette laufen hat und deswegen kurzerhand sämtliche Baseballstars kurzfristig angestellt hat, um sie ins Softballteam zu befördern.
Wenn man denn so will, ist dies eine Underdog-Geschichte. Man kann sogar, wenn man ganz knallhart etwas hineininterpretieren will, auf den Wert alter Tradition und Zuverlässigkeit gegenüber kurzfristigen Modetrends pochen, auch wenn Homer sicherlich alles andere als traditionell und zuverlässig ist. Aber eigentlich ist es doch wirklich nur eine Geschichte ohne Hintergedanken, eine reine Sportsache, mit Rivalitäten und allem, was dazugehört.
Vor allem ist Kreativität gefragt. Jedem dürfte klar sein, dass Homer es niemals geschafft hätte, durch reines Training zum ersten Team zu stoßen; die Sache mit dem “Wunderschläger” verpufft Simpsons-like auch im Nichts, als erstmals ein Profi gegen Homer und seine Superwaffe antritt. Und das ist typisch Groening, die in “gewöhnlichen” Trickfilmen gerne thematisierte Magie einfach ganz unspektakulär auslaufen zu lassen. Der deutsche Titel “Der Wunderschläger” ist daher auch etwas unglücklich, denn er hält nur bis zur Mitte der Episode.
Weiter geht’s nämlich damit, die Struktur klassischer Sport- und Powerfilme umzudrehen. Würde sich normalerweise der Held zur Höchstform trainieren und aus eigener Kraft allen zeigen, was eine Harke ist, so versteht sich - wie gesagt - von selbst, dass dies bei Homer nicht sein kann. Was tut man also? Ganz einfach: die zahlreichen Stars auf verschiedenste Art und Weise daran hindern, im entscheidenden Team zum Spiel zu stoßen. Und hier wird’s mitunter etwas absurd, aber niemals zu absurd. Einer leidet an Superwuchs, der andere rettet die komplette Innenausstattung aus einem brennenden Haus, noch ein anderer fällt in einem Kuriositätenkabinett in einen “Alice im Wunderland” nicht unähnlichen Bau. Und welches Schicksal die Stars auch immer trifft, es ist stets komplett abgestimmt auf ihren Ruf und ihre Charakterzüge. Das ist es, was man an den frühen Simpsons so geliebt hat: die Kopplung mit einem hintergründigen Sinn, fern jeglicher Selbstzweckhaftigkeit, die leider diverse aktuelle Folgen befallen hat.

EPISODE 18
DER EIGNUNGSTEST (Separate Vocations)
Deutsche Erstausstrahlung: 27.01.1993
US-Erstausstrahlung: 27.02.1992

Inhalt: Bart und Lisa nehmen an einem Berufstest der Schule teil. Der Test ergibt, dass Bart Polizist und Lisa Hausfrau werden sollte. Rektor Skinner setzt Bart als Schulwächter ein und Lisa wird immer muffiger und lustloser. Aus Frust stiehlt sie die Lehrerschulbücher mit den korrekten Antworten, doch Polizist Bart erwischt sie. (Booklet-Text)
Was wäre eigentlich, wenn Bart auf der Seite des Gesetzes wäre und Lisa die Rebellin? Dieses Szenario wird in “Der Eignungstest” simuliert.
In erster Instanz ist dies ein Abgesang auf die Bürokratie, die Menschen versucht, in Daten zu erfassen und ihnen nach einem klar abgegrenzten Schema potenzielle Charaktereigenschaften zuschreibt. Dass dies nicht immer so ganz funktioniert und der Mensch nun einmal ein komplexes Wesen ist, das über reine Beschreibung hinausgeht, soll hier aufgezeigt werden.
Fast wie in einem Protest wird dann völlig übertriebenerweise Lisa durch die reine Kraft der Bürokratie zu einer anderen Person, was das ganze Schema einfach umdreht: Hier wird die Person durch den Eignungstest nicht etwa beschrieben, sondern verändert, was dem eigentlichen Sinn eines solchen Tests vollkommen zuwiderläuft.
Bei Bart sieht die Sache da anders aus: Für ihn ist es eine Art Ansporn, seine Bedürfnisse auszuleben. Im Gegensatz zu Lisa erfährt er keine Veränderung seines Charakters, sondern er nutzt die neuen Gegebenheiten für seine eigenen Zwecke, passt sie also seiner eigenen Persönlichkeit an. Das zeigt, dass Lisa gegenüber äußeren Einflüssen emotional empfindlicher ist und der Umwelt gegenüber nicht resistent genug ist, um gegen sie zu bestehen zu können, während Bart die Dinge so nimmt, wie sie kommen.
Was Lisa betrifft, werden vor allem Attitüden von 50er-Jahre-Rebellen à la James Dean verwendet. Barts Metamorphose zum Aufsichtscop hingegen wird über Action- und Film Noir-Referenzen dargestellt. Es gibt hier eine Autoverfolgungsjagd, die wie “Cops” beginnt und schließlich in einer “Bullitt”-Hommage mündet, und später zeigt eine Szenenmontage musikalische und stilistische Anlehnungen an den klassischen Film Noir.
Der so wichtige Kontrast, diesmal zwischen Schwester und Bruder, ist es wiederum, der diese Folge so sehenswert macht. Das Ende mag wieder etwas zuckrig ausgefallen sein, aber das ist kaum störend in Anbetracht der Tatsache, dass das notwendige Gleichgewicht auf eine so schöne Art wieder hergestellt wird.

EPISODE 19
AUF DEN HUND GEKOMMEN (Dog Of Death)
Deutsche Erstausstrahlung: 08.02.1993
US-Erstausstrahlung: 12.03.1992

Inhalt: Der Familien-Hund Knecht Ruprecht wird krank und die rettende Operation kostet 750 Dollar! Natürlich herrscht in der Simpsons-Kasse wie üblich Ebbe und so arbeitet Marge einen Sparplan aus. Der Hund wird zwar gerettet, doch die Familienfreude ist eher verhalten. Alle sind stinksauer, dass sie wegen ihm den Gürtel enger schnallen müssen. (Booklet-Text)
Hier hätten wir wieder einen Rückbezug auf die allererste Folge. Wir erinnern uns zurück: Am Ende eines total versauten Weihnachtstages entschlossen sich die Simpsons, ein verstoßenes Tier aufzunehmen, einen Hund, den keiner mehr wollte. Und jetzt ist wohl die Zeit der Probe gekommen. Der Hund wird krank und seine Operation belastet das Budget der Simpsons erheblich. Wie wird die Familie mit der Situation umgehen?
Es handelt sich um einen Plot, der enorm nachvollziehbar ist. Geldprobleme kennt jeder Mensch von Natur aus (man hört immer wieder, dass selbst millionenschwere Filmstars auf jeden Cent achten), und Millionen von Familien besitzen Haustiere. Und wenn diese Haustiere älter werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie krank werden, was letztendlich nicht selten zu einem für Tierliebhaber schmerzhaften Gewissenskonflikt führt: Kann man ein Tier aus Geldgründen sterben lassen? Der Verstand pocht nicht selten auf eine Bejahung dieser Frage; das Herz empfindet da anders.
Umfassend wird nun dargestellt, wie Geld die Welt regiert. Der Nachrichtensprecher gewinnt live im Fernsehen in der Lotterie und ganz Springfield scheint vom Geld hypnotisiert zu sein. Dies führt letztendlich dazu, dass der Hund nach seiner erfolgreichen Operation nicht etwa liebevoll wieder aufgenommen wird, sondern niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben will, weil er allen Simpsons-Mitgliedern durch seine teure OP negative Folgen gebracht hat. Diese Folgen werden alle nacheinander nachvollziehbar erzählt, so dass man theoretisch mit den Simpsons sauer auf den Hund sein müsste; ein Blick in die traurigen Hundeaugen genügt jedoch, um den Zuschauer auf die Seite des Hundes zu bringen, dessen Blickwinkel wir im Folgenden nun einnehmen. Im Audiokommentar wird betont, wie schwierig es ist, einen Hund zum Hauptdarsteller zu machen und ihn dennoch nicht zu vermenschlichen. Tatsächlich gelingt es, dem Protagonisten seine animalischen Züge zu lassen, indem einfach längere Zeit textfrei ein klassisches Musikstück eingewoben wird und man Knecht Ruprecht bei seiner Odyssee folgt.
Dass jene Odyssee, die den Windhund letztendlich in die raffgierigen Fänge von Mr. Burns treibt, überhaupt stattfinden kann, ist den Simpsons zu “verdanken”, die sich nach der Operation nicht mehr um den Hund gekümmert haben, so dass er nachts weglaufen konnte. So folgt die Auflösung des Plots dem Motto “Man weiß erst, was man daran hatte, als es weg war.” Tatsächlich muss man sagen, dass die emotionale Kehrtwende dramaturgisch zwar ausgereift ist, das Beibehalten der animalischen Züge dieser Dramaturgie jedoch Tribut zollen muss. Wenn Knecht Ruprecht nach seiner Killerausbildung (die übrigens eine geschickte Anspielung auf “Uhrwerk Orange” enthält) mitten im Angriffsprung plötzlich Erinnerungsflashbacks hat und den alten Besitzer ob seiner Anflehungen freudig wiedererkennt, so ist dies doch, wenn überhaupt, eher ein menschliches denn ein tierisches Verhaltensmuster. Das muss man zwar nicht, kann es aber negativ ankreiden in einer ansonsten durchweg konsequenten und gut durchdachten Folge.

EPISODE 20
HOMER AUF ABWEGEN (Colonel Homer)
Deutsche Erstausstrahlung: 09.02.1993
US-Erstausstrahlung: 26.03.1992

Inhalt: Homer benimmt sich bei einem Kinobesuch völlig daneben und Marge macht ihm so richtig Dampf. Beleidigt zieht Homer durch die Kneipen und lernt die singende Kellnerin Lurleen Lumpkin kennen. Homer ist von ihren Country-Songs begeistert und wird ihr Manager. Lurleen wird immer populärer, doch Marge ist alles andere als glücklich über die neue “Geschäftsbeziehung” ihres Mannes. (Booklet-Text)
Das Skript von Meister Groening himself (wenn auch mit einigen Hilfestellungen) beruht auf Michael Apteds Film “Nashville Lady” und versucht, Homer in eine andere Welt zu entführen, die weit über seinen Horizont hinausgeht. Man heuerte dazu Beverly D’Angelo an, die auch an “Nashville Lady” beteiligt war und nun der Country-Schönheit Lurleen ihre Stimme lieh. Und sie leistete ebenso wie die Animatoren ganze Arbeit darin, Lurleen sexy zu gestalten - wie man vermuten kann, im Simpsons-Universum ein schwieriges Unterfangen. Das Design von Simpsons-Figuren ist schlichtweg nicht auf Schönheit ausgelegt, sondern auf Skurrilität. Im Design orientierte man sich deshalb auch gleich an der realen Beverly D’Angelo - und wenn man das Endprodukt mal mit Frauen aus den ersten beiden Staffeln vergleicht, die hübsch aussehen sollen (ich beziehe mich da vor allem auf die Folge mit der Spionkamera), dann lässt sich da schon ein deutlicher Fortschritt verzeichnen.
Die Skurrilität des üblichen Simpson-Stils wird gerade im Kontrast von Homer zu Lurleen deutlich. Da hätten wir diesen fetten Klumpkopf, mit Glatze und einem Mundbereich, der aussieht, als sei er ein abnehmbares Zubehör; und dieses “Geschöpf” scheint eine Ausstrahlung zu besitzen, die eine solche Südstaatenblüte anspricht. Wer sich auch nur entfernt mit Homer identifizieren kann (also so gut wie jeder Mann), der wird ein Gefühl der knisternden Spannung erleben, zumal diese knisternden Momente in diversen Szenen geradezu forciert werden. Stilmittel dazu sind neben D’Angelos betörender Stimme die dezente musikalische Untermalung, unterstrichen von vollkommen stillen Momenten sowie vor allem die Beleuchtung - ein Stilmittel, das wegen des Aufwandes eher selten benutzt wird, hier jedoch reichlich angewandt wird, um die komplette Episode zu einer einzigen emotionalen Achterbahnfahrt zu machen. Abgenabelt von der Restwelt in einem kleinen Trailer wird die Verlockung geradezu überdeutlich und der innere Konflikt, seine treue Ehefrau zu betrügen, stark spürbar. Rückblenden in die Jugend zeigen dann Homers Probleme mit dem weiblichen Geschlecht, was einerseits das Identifikationspotenzial und damit die Verlockung noch stärker ansteigen lässt, andererseits ein Wegbereiter ist für den Auftritt von Marge in dieser Rückblende, der zeigt, dass sie die Einzige war, die ihn immer geliebt hat. Selten war eine Simpsonsfolge wirklich noch emotionaler; selbst die ansonsten gut vergleichbare Episode mit der rothaarigen Mindy verhält sich da in gewissen Momenten viel plumper und überzeichneter.
Vom Design her wird dagegen durchaus mit Südstaatenklischees gespielt. Einige Hommagen an die 50er Jahre und Filme aus dieser Zeit (oder die in dieser Zeit spielen) werden eingeflochten, und das komplette Szenario jenseits von Springfield scheint eine Spiegelwelt dessen zu sein (nicht umsonst heißt das Bier dort “Fudd” anstatt “Duff”). Neben Lurleen scheint also auch die komplette Welt nach Homer zu rufen, eine Welt, die Homer in seinem eigenen Heim niemals erblicken könnte - und dies darzustellen, ist die Leistung von “Homer auf Abwegen”.

EPISODE 21
BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET (Black Widower)
Deutsche Erstausstrahlung: 10.02.1993
US-Erstausstrahlung: 08.04.1992

Inhalt: Tante Selma möchte unbedingt heiraten. Aus Mangel an Bewerbern entscheidet sie sich für den Ex-Häftling Sideshow Bob. Als sie ihn der Familie vorstellt, trifft Bart fast der Schlag - er hat ihn damals hinter Gitter gebracht. Alle sind begeistert von Sideshow Bob, nur Bart traut ihm nicht über den Weg. Als er herausfindet, was Bob wirklich vor hat, muss er was tun. (Booklet-Text)
Eröffnet wird die Episode mit einem frechen Kommentar an die Nachahmer, womit gezeigt wäre, dass die Simpsons seit der ersten Staffel mindestens ein oder zwei Stufen erklommen haben, so dass sie nun diejenigen sind, die kopiert werden. Und zwar geht es hier um “Die Dinos”, eine unglaublich dreiste Simpsons-Kopie - nicht ganz so dreist wie “Family Guy”, aber schon ziemlich dreist. Erstaunlich ist, dass selbst diese Kopien funktionieren - manchmal so gut, dass es Leute gibt, die diese dem Original vorziehen... aber man will ja niemanden verurteilen. ;) (P.S. Wer die Macher über “Family Guy” lästern hören will, der schalte bitte ungefähr in die 13. Minute des Audiokommentars zur letzten Folge der Staffel)
Die Folge selbst hat einen waschechten Kriminalplot. Als Ausgangspunkt suchte man sich “Der Clown mit der Biedermaske” aus der ersten Staffel aus, wo der intellektuelle Clownsassistent Sideshow Bob seinen furiosen Einstand feierte. Sideshow Bob-Folgen sollten im Laufe der Zeit zu speziellen Events werden, weil sie sich stets um Rachegelüste an Bart drehten und damit wieder und wieder die erste Staffel aufwarfen. Vielleicht wird es sogar nochmal Zeit für eine Sideshow Bob-Show...
Neben dieser Bob-Bart-Vendettageschichte spielt aber noch eine zweite Dauerthematik mit ein: Selmas Wunsch, zu heiraten. Damit wird “Bis dass der Tod euch scheidet” gewissermaßen zu einem Knotenpunkt der Serie, und dieser wird durch die flashbackartige Struktur eines Krimis aufbereitet. Zu diesem Zweck trumpft die Regie vollkommen auf. Regisseur David Silverman spielt mit Winkeln, Beleuchtung, Kamerafahrten, Einstellungsgrößen und narrativer Struktur, um überall verräterische Zeichen einzubringen - natürlich dem Satirecharakter der Serie gemäß übertrieben offensichtlich (etwa wenn Sideshow Bob bei der Fußmassage über das Töten spricht). Die Auflösung durch Bart (der den unfähigen Wiggum damit belehrt) offenbart dann auch einige Aha-Momente - mit Bedacht, denn durch die Offensichtlichkeit der Hinweise ist man mit Bart auf einer Höhe und darf sich über Homers und Wiggums Begriffsstutzigkeit lustig machen. Eine satirisch brillante Episode, die mit dem Intellekt des Sideshow Bob eine zusammenhängende Linie bildet.

EPISODE 22
DER FAHRSCHÜLER (The Otto Show)
Deutsche Erstausstrahlung: 11.02.1993
US-Erstausstrahlung: 23.04.1992

Inhalt: Schulbusfahrer Otto muss bei der Kontrolle zugeben, dass er eigentlich keinen Führerschein besitzt und wird natürlich gefeuert. Als er dann auch noch seine Wohnung verliert, nehmen ihn die Simpsons bei sich auf. Doch schon nach kurzer Zeit geht er allen ziemlich auf die Nerven. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn wieder loszuwerden: Otto braucht einen Führerschein! (Booklet-Text)
“The Otto Show” ist eine recht platte Folge, die darüber hinaus nicht einmal die Masse anspricht, was den Humor betrifft, sondern nur eine Randgruppe, nämlich die Metaller oder zumindest Metal-Interessierten. Deren Lifestyle wird hier nämlich aufs Korn genommen - die Garage Days erleben quasi ein Revival.
Bezeichnend für den “Randgruppenhumor” ist die Tatsache, dass man die englische Heavy-Band Spinal Tap die Episode mit einem kompletten Konzert einleiten ließ - eine Band, die unter den Vorgesetzten von Fox niemand kannte und die wohl auch beim Publikum höchstens vom Namen her bekannt ist, sofern man sich nicht tendenziell für die Musikrichtung interessiert.
Bei dem Rockkonzert macht Bart erste Erfahrungen mit einer Richtung, in die er sein Leben einschlagen könnte (während Homer draußen im Auto sitzt, Chips isst und “Spanish Flea” hört, was einen göttlichen Kontrast zu den Vorgängen im Stadion schafft). Es ist also schon auch eine Geschichte über die Beeinflussung junger Menschen durch äußere Einflüsse.
Erst in der Mitte der Episode taucht eigentlich der Mann auf, nach dessen Name im Titel steht. Otto, der zu meinem Bedauern bei den Simpsons insgesamt eher ein Schattendasein fristet, zeigt hier viel von seinen Wurzeln. Diese Figur ist unglaublich authentisch, repräsentiert einen kompletten Lebensstil und erfüllt im Rahmen der Serie doch durchaus seinen Zweck - weshalb tritt er also so selten auf? In dem Otto-Konstrukt stecken diverse Elemente, die man ansprechen kann; neben den Metal-Einflüssen ist dies vor allem das vagabundenartige Hausen und die Ziel- und Perspektivlosigkeit einer ganzen Jugend. Und diese Folge versteht sich als Präsentation dieser Elemente und des Potenzials, das in der Figur steckt. Eine Erklärung für Ottos zurückhaltende Auftritte bei den Simpsons wäre die, dass Mike Judge mit “Beavis & Butt-Head” schon alles zum Thema gesagt hat, was zu sagen ist. Trotzdem ist es schön, auch Otto mal näher charakterisiert zu sehen.

EPISODE 23
LIEBE UND INTRIGEN (Barts Friend Falls In Love)
Deutsche Erstausstrahlung: 15.02.1993
US-Erstausstrahlung: 07.05.1992

Inhalt: Barts bester Freund Milhouse verliebt sich in die neue Mitschülerin Samantha. Die Angebetete bemerkt dies auch und die beiden werden (sehr zum Ärger von Bart) ein Paar. Bart fühlt sich vernachlässigt und verrät Samantha bei ihrem strengen Vater. Dieser ist empört und reagiert sofort: Er verfrachtet Samantha in die härteste Klosterschule. (Booklet-Text)
Ganz so genial wie in dem brillanten, von Spielbergs “Jäger des verlorenen Schatzes” inspirierten Intro geht es danach nicht mehr zu. Regietechnisch handelt es sich dort nämlich schon um das Tüpfelchen auf der dritten Staffel. Eine schöne, wenn auch eher unauffällige Folge ist es danach aber trotzdem noch geworden. Und das liegt an Bart, Milhouse und der Growing Up-Story, die ein wenig an “Drei Freunde und ein Comic-Heft” erinnert, welche in der zweiten Staffel ebenfalls an die vorletzte Stelle gesetzt wurde.
Die Dynamik erreicht der Plot durch den unterschiedlichen Entwicklungsstand der beiden besten Freunde. Kritisch anzumerken ist, dass ausgerechnet Milhouse derjenige ist, der als erster erwachsen wird und sich für Mädchen interessiert - das widerspricht ein wenig seiner Charakterzeichnung im Vorfeld. Aber: es wirkt wider Erwarten glaubwürdig. Zudem war er die einzige Möglichkeit, denn um die Problematik adäquat herauszustellen, bedurfte es wirklich Barts besten Freundes, und da blieb eben nur Milhouse übrig.
Die Dialoge stechen nun verstärkt in den Vordergrund, da die Drehbuchautoren das Auseinanderdriften der Interessen von Bart und Milhouse in die Ausdrucksweisen von Kindern transferieren mussten, und zwar so, damit verständlich wird, was hier bezweckt wird. Diese Aufgabe wurde gut erfüllt: Wenn es beispielsweise um den Kuss geht, argumentieren Bart und Milhouse auf unterschiedliche Weise - beide ihrem Standpunkt nach zu urteilen absolut nachvollziehbar. Auch die Synchronsprecher waren gefordert. Milhouse wirkt sehr bedächtig und irgendwo auch “erwachsen”, während Bart vollkommen ausgelassen und emotional agiert, eben “infantil”. Die Grundstimmung ist sentimental - “Wunderbare Jahre” lassen grüßen.
Auf der anderen Seite hätten wir noch einen Subplot um Homers Freßsucht, geschmückt mit massig köstlichen Eindrücken von ihm, wie er vor dem Fernseher sitzt und ob der Schokoriegelwerbung herzlich sabbert. Einige imaginäre Szenarien bilden sich in Marges Kopf bezüglich dessen, was passiert, wenn Homer so weiter frisst, und eine falsch abgepackte Hörspielkassette lässt Homer schließlich zur Intelligenzbestie mutieren anstatt zu einem dünnen Menschen. Dieser Plot hat rein gar nichts mit der Haupthandlung zu tun, was irgendwie eine witzige Sache ist... so ganz nebenbei, fern der Probleme unserer Hauptfiguren, arbeitet also jemand anders noch an seinen eigenen Problemen. Schönes Ding.


EPISODE 24
DER VERMISSTE HALBBRUDER (Brother, Can You Spare Two Dimes?)
Deutsche Erstausstrahlung: 07.04.1994
US-Erstausstrahlung: 27.08.1992

Inhalt: Eine Gesundheitsuntersuchung im Kraftwerk ergibt, dass Homer unfruchtbar ist. Aus Furcht vor einer Klage erhält Homer von Mr. Burns eine Auszeichnung und 2000 Dollar. Auch Homers Halbbruder Herbert erfährt von dem Geldsegen. Ohne mit der Wimper zu zucken, haut er die Simpsons wegen einer “kleinen” Unterstützung für seine neue Erfindung an. Er bekommt das Geld und der Baby-Übersetzer wird ein voller Erfolg. (Booklet-Text)
Das Staffelfinale hat man sich absichtlich für diese Folge aufgehoben, denn es handelt sich um ein Sequel zu 15. Folge der zweiten Staffel, “Ein Bruder für Homer”. Dieses Ding hatte unter Mitarbeit von Danny DeVito einfach alles weggerult durch die grandiose Zwillingsthematik, die zeigte, wie sich am Ende doch alles ausgleicht, vor allem was Glück und Pech betrifft.
Insofern ist die Idee zu einem Sequel auch nicht bloßes Erfolgsdenken - Filmstudios geben bei Überraschungserfolgen bekanntermaßen in der Regel dann Sequels in Auftrag, wenn es sich kommerziell als lohnend erweist - sondern ein konzeptionell durchdachter Geniestreich. Die Ausgleichssache, die sich in der ersten Homer-Herbert-Folge lediglich zwischen den beiden Brüdern ergeben hatte, erfährt nun auch einen Ausgleich in Bezug auf jede Einzelperson und damit einen absoluten Ausgleich. Soll heißen: Da Herbert am Ende des ersten Teils vollkommen ruiniert war, gilt es nun, ihn wieder zurückzubringen.
“Der vermisste Halbbruder” wird durch diesen interstrukturellen Ansatz zugleich eine Geschichte über den American Dream, denn es ist auch eine Geschichte darüber, wie man vom Tellerwäscher zum Millionär wird. Dass auch dieses System ein zweischneidiges Schwert ist und große soziale Ungleichheit zur Folge hat, erkennt man wiederum durch den Rückbezug auf den ersten Teil, denn dort war es immerhin auch möglich, einen schwerreichen Mann zum Penner zu machen. Es ist also die Thematisierung der Möglichkeit und ihrer Ergreifung respektive ihrer Auslassung.
Die Art und Weise, wie sich Herb am eigenen Schopf wieder aus dem Sumpf zieht, ist natürlich cartoonlike hanebüchen, demonstriert aber auch wiederum, dass das Wirtschaftskonzept, dem der “American Dream” unterliegt, nicht notwendigerweise leistungsorientiert ist, sondern viel mehr Ellbogen und unbedingten Willen erfordert.
Maggie darf übrigens auch mal den Mund aufmachen, vermag es aber noch nicht, über unartikuliertes Gebrabbel hinauszukommen, was Herbert ja überhaupt erst die Idee zu seiner Maschine brachte. Filmanspielungen gibt es auch: Homers Trip auf dem Massagesessel lehnt sich an Stanley Kubricks “2001" an und die Geschenkvergabe von Herbert an jedes Simpsons-Mitglied als Vergeltung für die Hilfe spielt auf “Der Zauberer von Oz” an - wobei eines der Geschenke wiederum die amerikanische Politik kritisiert, indem Bart zum Mitglied der National Rifle Association gemacht wird. Ein gelungener Abschluss der Staffel, aber ein Satz, den man an dieser Stelle erwartet, fehlt noch:
Das Original war aber besser als das Sequel.

Fazit
Laut Matt Groening ist es die “Season der Liebe” geworden - und wahrhaftig, die Anzahl der Schlüsse, die in schmalzigem Kitsch (im positiven Sinne gesprochen) enden, ist ausgesprochen hoch. Von der ersten Folge an, in der ein einsamer, aber glücklicher Mann der Sonne entgegen geht, nachdem er vorher das glückliche Miteinander gepredigt hatte, bis zur letzten Folge, wo Homer sich triefend vor Dankbarkeit bei seinem Bruder verabschiedet und in einem perfekten Kreis wie Ying und Yang ein Kapitel zufriedenstellend geschlossen wird, ist so ziemlich alles an dieser Staffel herzallerliebst. Es gibt haufenweise Liebe, Freundschaft und Einheit; die rosafarbene Umverpackung der DVD ist damit keinesfalls übertrieben.
Damit soll aber nicht gesagt sein, dass alles und jeder von Anfang bis Ende glücklich durch sein Leben wandert. “Season 3" ist ein äußerlich rundes Ding geworden, von innen jedoch ein komplexes Wechselspiel aus Freud und Leid, ein dramaturgisches Hin und Her par excellance. Die perfekte Metapher dafür ist eigentlich ein Homer, wie er unter der Dusche steht und sich nicht entscheiden kann, ob er nun “heiß” oder “kalt” schreien soll. Oder auch die Fischstäbchen, das Lisa aus dem Ofen holt - von außen verbrannt und von innen gefroren - und sie freudestrahlend bemerkt “Am Ende gleicht sich im Leben doch alles aus.”
Man hat immer wieder das Gefühl, dass Matt Groening erstmals die Zeit hatte, sich voll und ganz auf die Entwicklung seiner Figuren zu konzentrieren, dass auch weniger Aufwand bemüht werden musste, um die Simpsons oben zu halten in dem Meer aus TV-Serien. Der Durchbruch wurde zwar bereits eine Staffel vorher erzielt, doch erst jetzt war es soweit, dass auch die Charakterzeichnung nicht mehr darunter zu leiden hatte. Sämtliche Figuren sind profiliert und charakterlich am Ende der Entwicklung angelangt; selbst zweitrangige Figuren wie Snake oder Otto bekommen ihre letzten Schliffe.
Das Bewusstsein, etabliert zu sein, führte auch die Erkenntnis mit sich, nun einen anderen Rang in der Fernsehlandschaft zu bekleiden als zuvor. Imitatoren wie etwa “Die Dinos” schossen aus dem Boden, was in den Plots dann satirisch aufbereitet wurde, womit man sich auch plötzlich selbst zum Gegenstand machte und damit dem Mythos “Simpsons” Platz einräumte, wo vorher nur aktuelle Bezüge fern der eigenen Identität inspiziert werden sollten. Die neue Selbsterkenntnis gefällt, weil man nie wirklich selbstgefällig oder überheblich rüberkommt, und wenn, dann gewollt. Die Selbstironie stand und steht immer noch im Vordergrund, wenn es darum geht, das eigene Image zu persiflieren - und dieser Umstand hat dazu beigetragen, dass die Simpsons auch qualitativ eine höhere Stufe erreicht haben und sie nun auf einem Niveau standen, von dem sie noch etwa ein halbes Jahrzehnt zehren sollten.

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