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Huch, ganz so innovativ waren Daniel Myrick und Eduardo Sanchez mit ihrem „Blair Witch Project“ anscheinend dann doch nicht, denn nur ein Jahr zuvor – 1998 – veröffentlichten die US-Amerikaner Stefan Avalos und Lance Weiler mit „The Last Broadcast“ eine „Mockumentary“, also einen Realismus suggerienden, aber vollkommen fiktiven Dokumentarfilm, welcher ebenfalls junge Menschen auf der Suche nach einer finsteren, alten Sage in einen dunklen Wald schickt und mit vermeintlichen Original-Handkameraaufnahmen arbeitet.

Mit Minimalst-Budget wird zunächst im Stile von TV-Dokumentarserien, die spektakuläre oder rätselhafte Mordfälle zum Thema haben und in erster Linie aus Interviews mit Ermittlern, Gerichtsmedizinern und anderen Beteiligten bestehen, die Geschichte zweier freakiger Privatfernsehen-Moderatoren erzählt, die mit „Fact or Fiction?“ eine kleine, sich mit außergewöhnlichen Phänomenen beschäftigende Sendung betreiben. Als man, um mit der Zeit zu gehen, moderne Kommunikationsmedien wie das Internet in die Sendung integriert, wird im Chat der anonyme Vorschlag geäußert, sich doch einmal der Legende des „Jersey Devils“ anzunehmen. Im Zuge der Arbeiten an diesem Projekt tut man sich mit weiteren Leuten zusammen, von denen nach dem live im Internet ausgestrahlten Waldbesuch nur Jim Suerd lebend zurückkehrt – und wegen Mordes an den anderen Teammitgliedern verurteilt wird, woraufhin er sich das Leben nimmt.

Soweit die Prämisse des Films, der ausschließlich mit Laiendarstellern arbeitet, denen man aber soviel Improvisationsraum einräumte, dass ihre Darbietungen – insbesondere die der verschiedenen „Experten“ während der Interviewsequenzen – tatsächlich sehr realistisch wirken. Im Rahmen der „Mockumentary“ wird der Fall neu aufgerollt und die Frage nach der tatsächlichen Schuld Suerds laut. Hierzu wird das mit Handkameras gefilmte Videomaterial des Teams analysiert, auch das zuvor verschollene und währen des Gerichtsverfahrens noch nicht vorliegende Material ist mittlerweile aufgetaucht – „Blair Witch Project“ lässt grüßen. Das Material befindet sich in einem desolaten Zustand und wird aufwändig aufbereitet, um Rückschlüsse auf die wahren Ereignisse jener Nacht zuzulassen und Antworten auf die vielen offenen Fragen zu finden.

Dies ist der Punkt, ab dem „The Last Broadcast“ hauptsächlich mit den auf alt und kaputt getrimmten Aufnahmen arbeitet, die ebenfalls an Realismus nichts zu wünschen übrig lassen. Spätestens hier stellt sich auch der typische „Blair Witch“-Grusel ein – zumindest bei denjenigen, die offen für diese Art von Horrorfilm sind. Wirklich zu sehen bekommt man hier eben nichts, was die Spannung und die Furcht vor dem Unsichtbaren geschickt steigert. Durch den gesamten Film zieht sich die Internet-Aufbruchsstimmung der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre; die „Fact or Fiction?“-Crew wird als richtungweisend und technikaffin dargestellt, die mit ihrem Pioniergeist die Internet-Technologie in ihr Konzept einarbeitet. Wo aber mitten im Pinienwald der Internetanschluss herkommt, erklärt der Film nicht. Heutzutage kein Problem, aber 1998...? Der Postproduktion des Films wird man mit diesem Begriff eigentlich nicht gerecht, denn nicht zuletzt aufgrund des geringen Budgets wurden die Handkameraaufnahmen am Computer stark nachbearbeitet, angepasst und verfremdet – und zwar ebenfalls auf hohem Niveau, jeder Anflug von Realismus zerstörendem CGI-Gepixele bleibt außen vor.

Für die Auflösung und Schlusspointe warf man dieses Konzept allerdings über den Haufen, verließ sowohl die TV-Dokumentarserien- als auch die Handkamera-Ebene und wechselt überraschend von einer auf die andere Sekunde zu einer eindeutig fiktiven Filmebene. Mit der zuvor bereits mehr oder weniger subtil integrierten Kritik sowohl an der Manipulierbarkeit der Justiz als auch der Rolle der Medien in solch spektakulären Fällen wollte man sich nicht begnügen und untermauert letztgenannte Aussage mit dem Holzhammer. Das irritiert stark und ich weiß immer noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Einerseits ist es natürlich angenehm, dass nicht alles diffus im Dunkeln bleibt, andererseits wäre die Wirkung des Films ohne Aufgabe des Konzept sicherlich stärker gewesen und hätte zu einem homogeneren Gesamteindruck geführt. Diesen Fehler beging „Blair Witch Project“ nicht und setzte im Vorfeld stark auf die Aufrechterhaltung des Dokumentarstils, statt diesen einstürzen zu lassen wie ein Kind seine Bauklotzbauten.

Da bei „The Last Broadcast“ gar keine echten Filmkameras zu Einsatz kamen, entschied man sich letztlich auch aus Kostengründen dagegen, ihn auf 35 mm zu kopieren, stattdessen verteilte man ihn in digitaler Form. Damit war man ebenfalls Vorreiter einer heute gängigen Verfahrensweise der Verleiher, die damals zu diesem kreativen, experimentellen Film hervorragend passte.

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