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Oft kopiert, aber selten(st) erreicht... Mit dem Bruce Willis Durchbruch Stirb langsam (1988) gelang dem Dreiecksgespann John McTiernan (Regie), Steven E. de Souza (Drehbuch) und Joel Silver (Produktion) ein unbestrittener Actionklassiker, dessen Erfolgsformel vom einsamen, kampferprobten Helden, der in einem begrenzten, exotischen Areal gegen zahlenmäßig überlegene Terroristen antritt, als Vorlage für dutzende ähnlich veranlagte Actionreißer diente, welche Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre scharenweise in die Kinos schwappten und die Kassen klingeln ließen. Die Liste der gefeierten Recken in vergleichbaren Rollen liest sich mit Stars wie Sylvester Stallone (1993 Cliffhanger), Steven Seagal (1992 Alarmstufe Rot), Jean Claude-Van Damme (1995 Sudden Death) oder Sean Connery (1996 The Rock) durchaus beachtlich und auch die immer wieder wechselnden Schauplätze wie zum Beispiel ein Hochgebirge, ein Schiff, ein Eishockeystadion und ein Hochsicherheitsgefängnis sorgten für jede Menge explosive Spannung. Mit dem 1992 erschienenen Passagier 57 erhielt Wesley Snipes ebenfalls die Gelegenheit, als fäusteschwingender Einzelkämpfer in die großen Fußstapfen des John McClane's zu treten, was ihm trotz des passablen Kinoeinspiels von knapp 45 Millionen Dollar und des nicht abstreitbaren Unterhaltungswerts nur bedingt gelang. Passagier 57 ist bestimmt kein schlechter Vertreter seiner Zunft, die Genrespitze ist meines Erachtens nach jedoch meilenweit entfernt.

Als Regisseur fungierte der damals noch relativ unbekannte Kevin Hooks, welcher zuvor fast ausschließlich nur Einzelfolgen von beliebten TV-Serien wie V - Die Außerirdischen kehren zurück (1984) oder 21 Jump Street (1987) drehte. Stewart Raffill & Dan Gordon konzeptionierten das Drehbuch ursprünglich für einen wortkargen weißen Helden der Marke Clint Eastwood und eine frühere Version des Skripts wurde sogar Sylvester Stallone angeboten, der in diesem Projekt allerdings zu wenig Potenzial sah und die Rolle dankend ablehnte. Also schrieben die beiden auf Anraten von Warner Bros die Geschichte auf eine schwarze Hauptfigur um und kontaktierten Denzley Washington sowie  Eddie Murphy, die aber ebenfalls absagten. Somit kam zu guter Letzt Wesley Snipes ins Spiel, welcher sich mit seinen gelungenen Auftritten in Gangsterfilmen wie The King of New York (1990) und New Jack City (1991) für die Rolle des John Cutters empfahl. Die Ausrichtung der Story ist ganz auf die Stärken des muskulösen New Yorkers zugeschnitten, in welcher er von seinem Chef Sly Delveccio (Tom Sizemore) beauftragt wird, den Flug 163 als Sicherheitsexperte zu begleiten. Als der gnadenlose Psychopath Charles Rane (Bruce Payne) und seine skrupellosen Gefolgsleute bei dessen geheimer Gefangenenüberführung das Flugzeug kidnappen und auch vor blutigem Schusswaffengebrauch nicht zurück schrecken, stellt sich Cutter den übermächtigen Gegnern heldenhaft entgegen. Mit Hilfe der Flugbegleiterin Marty Slayton (Alex Datcher) gelingt es ihm, Treibstoff ab zu lassen und die Terroristen zu einer Notlandung zu zwingen, doch schon bald stellt sich heraus, dass der vermeidliche Erfolg nur ein Tropfen auf dem heißen Stein war und Rane  in der Lage ist, vernichtend zurück zu schlagen...

Wissen Sie, was meiner Meinung nach die größte Stärke von Passagier 57 ist? Es ist die enorme Kurzweiligkeit, welche unter anderem auch durch die straff gehaltene Filmdauer von knapp 77 Minuten ohne Abspann erzielt wird. Kevin Hooks verplempert keine Zeit mit Nebensächlichkeiten, er konzentriert sich mit seiner Inszenierung auf wesentliche Kerninhalte: Unterhaltsame Action mit einprägsamen One-Linern sowie die Konfrontation des schlagfertigen, glorifizierten Superhelden mit dem abgrundtief bösen, durchgedrehten, geistesgestörten Oberschurken. Mit Ausnahme des in schwindelerregenden Höhen fulminant choreographierten Showdowns zwischen Snipes und Payne lassen die technisch einwandfrei realisierten, druckvollen Martial-Arts Zweikämpfe und Schusswechsel leider ein wenig die erinnerungswürdigen, spektakulären Höhepunkte vermissen und auch die phasenweise zu kurz gehaltenen Actionszenen büßen durch mangelnde Ausgiebigkeit einen nicht unerheblichen Teil an Wirkung ein. Im gesunden Mittelfeld befindet sich der Härtegrad der graphischen Gewaltdarstellung, bis auf ein paar vereinzelte blutige Einschusswunden gibt es keine nennenswerten Sequenzen, welche die ursprüngliche FSK 18 Freigabe rechtfertigen würden, weswegen Passagier 57 völlig zu Recht am 12.04.2013 auf eine zeitgemäße FSK 16 heruntergestuft wurde. Insgesamt betrachtet würde ich die Güteklasse der dargebotenen Actionsause als  zufriedenstellend mit spürbaren Verbesserungsmöglichkeiten nach oben einstufen.

Was ich mich nebenbei schon immer gefragt habe ist, warum Rane und Cutter voneinander unabhängig wie von der Tarantel gestochen zum Rummel eilen, obwohl es für beide keinen ersichtlichen Grund gibt, da auch keiner den anderen gesehen hat, was den vorgenommenen Tapetenwechsel meines Erachtens als leicht erzwungen erscheinen lässt.  Ein plausibler Sinn für die Terroristen wäre beispielsweise eine angestrebte Flucht gewesen, was auf Grund ihres dauerhaften Festverweilens als eher unwahrscheinliche Motivation angezweifelt werden darf. Der Gipfel der Undurchsichtigkeit wird dann erreicht, wenn Rane und seine Handlanger Cutter mit einem sprichwörtlichen "Hallo, hier sind wir" begrüßen, ungeahndet dessen, dass dieser sie noch gar nicht entdeckt hat und sie sich eigentlich nur ruhig verhalten müssten. Abgesehen davon kann ich an dem Volksfestplatz auch beim besten Willen keinen besonderen Hintergrund für ausufernde Actioneinlagen erkennen, weswegen das an sich löbliche Vorhaben, für ein wenig mehr Abwechslung sorgen zu wollen, meiner Meinung nach komplett in die Hose gegangen ist. Ich bin jedes Mal froh, wenn die misslungene Passage ein nahes Ende findet und sich alle Beteiligten in Passagier 57 wieder zum überaus gelungenen Finale ins Flugzeug begeben, welches auch dank des eingeengten Raums eine hervorragende Location für spannende und mitreißende Kampfhandlungen liefert.

Bruce Payne hätte man vielleicht noch darauf hinweisen können, dem designierten Hauptstars des Films nicht die Show zu stehlen, da er in der Rolle des diabolisch geisteskranken Attentäters förmlich aufblüht, als gäbe es kein Morgen. Die besessene Mimik, der irre Killerblick, die verächtlichen Sprüche und sein skrupelloses Handeln tragen dazu bei, dass Wesley Snipes zweifelsohne überzeugender Auftritt, welcher sich eher auf die Präsentation seiner beeindruckenden körperlichen Physis und seiner hervorragenden Kampfsportfähigkeiten konzentriert, partiell in den Schatten gestellt wird. Ich vermute, Snipes wird Payne verzeihen, da durch dessen unnachahmliche Performance der ansonsten recht mittelprächtige Actioner spürbar aufgewertet wird. Der Rest vom Schützenfest bedient mit solide agierenden Darstellern gängige Klischeemuster, da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Die taffe, farbige Stewardess Marty (Alex Datche​r), welche Cutter tapfer unterstützt und natürlich nur rein zufällig dessen verstorbener Exfrau zum Verwechseln ähnlich sieht, deren Tod er zu allem Überfluss noch mit zu verantworten hat. Oder der befreundete Manager Sly Delveccio (Tom Sizemore), der Cutter den Job besorgt und seine Glorifizierung in den höchsten Tönen vorantreibt. Selbstverständlich darf auch der vertrottelte Kleinstadtsheriff Chief Briggs (Ernie Lively) nicht fehlen, welcher dem Helden zu nächst in die Quere kommt nur um am Ende überzeugtes Mitglied seines Fanclubs zu werden. Auch wenn jetzt so mancher Leser bei der schablonenhaften Figurenzeichnung mit den Augen rollen wird, ich empfand die Charaktere  als grundsympathisch, da sie auf ihre eigene liebenswerte Art  den Unterhaltungsfaktor in Passagier 57 positiv beeinflussen.

Wenn Sie mich abschließend nun nach meinem Fazit fragen, lassen Sie mich es so erklären: Passagier 57 ist wie eine Woche Kurzurlaub mit ein paar interessanten Ausflugszielen, bei welchem man am Ende aber auch wieder froh ist, abreisen zu können, da nicht immer alles Gold war was glänzte. In Ambivalenz zur technisch schnörkellos und unterhaltsam inszenierten Action vermisse ich persönlich das besondere Etwas, welches den Zuschauer von den Sitzen reißen kann beziehungsweise für Begeisterungsstürme sorgt. Ein starker Wesley Snipes und ein noch stärkerer Bruce Payne können mein Unbehagen bezüglich des missratenen und überflüssigen Lokalitätenwechsels in Filmmitte auf ein erträgliches Maß reduzieren, während Passagier 57 trotz festgestellter Mängel mit einem nicht zu unterschätzenden Wiederunterhaltungswert ausgestattet ist und immer wieder von Zeit zu Zeit den Weg in meinen heimischen DVD Player findet. Ach fast hätte ich noch das Zitat des Abends vergessen: "Spielen Sie Roulette?" " Ja, wieso?" "Dann gebe ich Ihnen einen guten Tipp. Setzten Sie immer auf Schwarz!" MovieStar Wertung: 7 von 10 Punkte.


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