Autor: Vince
Status: Spieler (Silent Hill 2, 4).
Prolog
Die Kritik ist sich - mit einem gewissen Hang ins Negative - so uneins wie sonst nur bei Filmen, die kontrovers sind oder die Grenzen, die ihr Genre so hergeben, neu ausleuchten und damit schwer einzuschätzen sind. Verrückterweise ist “Silent Hill” nichts von alledem - es ist eine Videospielverfilmung. Wenn in diesem Fall überhaupt Grenzen durchstoßen wurden, dann doch eher beim Videospiel selbst. Die Leinwandadaption zu einem Computerspiel hat bisher noch nie sein Genre erweitert oder gar revolutioniert - daran ändert auch die dritte vollwertige Regiearbeit des in Sachen Optik und Atmosphäre außerordentlich versierten Regisseurs Christophe Gans (“Pakt der Wölfe”, “Crying Freeman”) rein gar nichts.
Und dennoch ist dieses Werk unheimlich schwer in eine feste, unumstößliche Filmkritik zu pressen, deren Argumentation durch und durch plausibel ist und relativ schwer widerlegbar. Niemand hat Recht: Weder die massiven Kritiker der unausgereiften Seifenblase Silent Hill noch die Bewunderer des surrealen Kunstwerks Silent Hill - und doch haben sie beide Recht. Will man aber Argumente anbringen, so hören die sich zunächst nachvollziehbar an - doch bei näherer Betrachtung kollabieren sie stets mit einem anderen Aspekt. Eine Argumentation anzuzetteln würde bedeuten, die Argumente wie glitschige Regenwürmer mit der eingeseiften Hand aus einem Ölfass zu fischen - glaubt man, eines gepackt zu haben, so ist es im nächsten Moment wieder entfleucht.
Die einzige Ausnahme macht der Subplot um Sean Bean, der im eindeutigen Tenor zu Recht als überflüssig tituliert wurde. Er ist der Wurm mit den Widerhaken, der an der Hand des Kritikers hängenbleibt, er ist das alleinige Moment des Films, das die geisterhafte Aura aufbersten lässt, die so alternativ vom Rest des Filmgenres Horror daherkommt.
Ansonsten aber sind wir meilenweit entfernt von den gängigen Kriterien, die man sonst dazu verwendet, einen Film auf seine Qualitäten zu prüfen. Es ist wahr, Gans’ Werk bedient keinerlei Mechanismen des Horrorfilms in seiner ureigensten Form - maximal ein wirklicher, kurzer Schockeffekt ist beispielsweise nur dabei, nicht einmal annähernd genug für den Horrorfan. Man könnte behaupten, “Silent Hill” sei gar kein Film, er zeige vielmehr die Charakteristika von etwas, das dazu gedacht ist, auf einer Lein(en)wand einfach nur betrachtet zu werden. Wir sind in Silent Hill, und das steht nun mal mehr für die Kunst der Hermeneutik als die des erzählerischen Funktionalismus, wie er uns in einem Film für gewöhnlich begegnet. Ob man dieses unfilmische Element des Films nun negativ betrachtet, ist Ermessenssache des Einzelnen, vielleicht auch eine Frage dessen, ob man bereits eines der Spiele kennt oder nicht. Fakt ist, hierdurch wird die Kinoadaption unvergleichbar, etwas in der Form nie Dagewesenes. Sie bietet immer wieder Möglichkeiten, damit man sie in eine Schublade stecken kann, aber letztendlich windet sie sich gegen ihre Stigmatisierung wie eines ihrer grotesken Monster. Und das ist doch schon mal eine Leistung für sich, denn in diesem Genre kann nichts schlimmer sein als etwas, das leicht einzuordnen ist.
Die Sirene ertönt. Ein weißer Lichtblitz erhellt den Bildschirm.
Ebene 1: Adaption
Nie zuvor war man auch derart gezwungen, Bezüge zur Computerspielvorlage von Konami herzustellen. Bei einer Kritik die eigene Kenntnis über das Spiel als Wissensquelle anzugeben (siehe ganz oben) beziehungsweise die Nichtkenntnis als Vorteil bezüglich der Urteilskraft auszulegen, scheint hier unumgänglich zu sein - im Gegensatz zu den früheren Versuchen, sei es nun “Tomb Raider” oder “Resident Evil”. Diese Unumgänglichkeit hat zwei Gründe: Erstens schreit schon Konamis momentan (noch) vierteiliges Videospiel-Meisterwerk danach, von dem reinen Spielcharakter losgelöst zu werden. Das ist schon deswegen so, weil zwar die in pure Atmosphäre gegossene Spieltiefe inzwischen Legende ist, die reine Spielbarkeit (vor allem in Sachen Steuerung) hingegen allenfalls mittelmäßig ist und überlange Fußwege, bei denen nichts passiert, weit weg sind von aktiver Spielfreude. Die Idee Silent Hill ist also im Grunde genommen von einem Computerspiel ebensoweit entfernt wie von einem Film - beides sind lediglich (gleichwertige) Medien, um Silent Hill zu transportieren. Genauso gut oder schlecht könnte man es in Comics verarbeiten, in Gemälden oder gar in Musik, wofür der gänsehauterregende Score von Jeff Danna und Akira Yamaoka der beste Beweis ist. Schon hiermit wäre das Argument zu entkräften, dass diese Spieleverfilmung zwangsläufig wie alle anderen vor ihr scheitern muss, weil eine Adaption vom Computerspiel ins Kino naturgemäß nicht funktioniert. Falsch: Diese Idee ist zu lose mit der Funktionalität eines Computerspiels gekoppelt, um einen Ausflug auf die Leinwand zu verhindern.
Zweitens bringt Christophe Gans definitiv die besten Anlagen mit, um diese Adaption zu vollführen, ohne den Gegenstand dadurch zu entfremden. Das hat er mit seinen beiden Vorgängerwerken bewiesen, ganz speziell mit der Manga-Verfilmung “Crying Freeman”, mit welcher er optisch der Vorlage von Ryoichi Ikegami und Kazuo Koike vollkommen gerecht wurde.
Nun wiederholt er dieses Feingefühl für die Materie, dessen Verständnis er auch in Interviews bewies, mit meisterlicher Hand. Das Erlebnis, das einem hier zuteil wird, ist vollkommen: In einem ästhetischen Bilderrausch entfesselt er hier einen Reigen aus höchst authentischen Elementen der ersten beiden Spiele der Reihe, was sich auf alle vorstellbaren Aspekte auswirkt: Special Effects, Creature Design, Charaktere, Handlungsorte, Kamerafahrten, Schnitt, Musik, Szenarien, Filter- und Entfremdungseffekte. Gans beweist mit verblüffender Perfektion, wie sehr er das Konzept Silent Hill verstanden hat, dieses Schema, das Bekannte zu nehmen, um es grotesk zu verformen - aber so, dass es immer als Ableitung aus dem Normalen erkennbar bleibt. Die Arbeit lag dabei weniger auf der kreativen Seite des Erstellens, weil so ziemlich alles direkt “Silent Hill 1" oder “2" entnommen wurde, sondern eher darauf, das bereits Erstellte in den Film zu transportieren. Und ja, es funktioniert immer noch. Wenn sich in der wohligen Umarmung der durch Weichzeichnung verfremdeten Natur in einen warmen Moment zwischen Tochter und Mutter hinein die isolierte elektrische Orgel einmischt, macht sich ein gänsehauterregender Schauer breit, wenigstens beim Kenner der Spiele, der bereits weiß, wie er diese Töne zu entziffern hat - doch der Nicht-Kenner wird spätestens nach dem zweiten Kinobesuch ebenso die tiefenpsychologische Semantik dieser Töne erkennen. Jeff Danna und Akira Yamaoka bauen im weiteren Verlauf, sich deutlich an die Spielvorlage anlehnend, einen hervorragenden Score auf, der mit seiner beharrlichen Intensität den visuellen Teil umschließt und die brillante Atmosphäre gefangenhält, ja widerhallen lässt.
Alles weitere ist ein Fest für die Augen. Die im Ascheregen versunkene Stadt wabert in Nebelschwaden, die nur wenige Meter entfernt nur noch Umrisse erahnen lassen. Unmissverständlich eine Parallelwelt irgendwo zwischen Hölle und Erde, aber man erkennt noch die Relikte alter Zeiten, in denen Menschen ihre Spuren hinterlassen haben; Orts- und Hausschilder, Architektur, Straßen, Ampeln. Was sich auch auf die Monster überträgt, die allesamt auf der menschlichen Anatomie basieren und genau daraus ihren Schrecken beziehen, nämlich aus der Ähnlichkeit zum Menschen; aus der Annahme, dass diese Wesen einmal Menschen gewesen sein könnten, inzwischen grausam entstellt und deformiert zu gesichtslosen Monstren, ins Absurde degeneriert und mehr die Kunstform des Surrealismus bedienend als eine mögliche Form der Natur.
Dabei werden jene Geschöpfe nie zum Zentrum des Interesses gemacht, sie sind gewissermaßen nur Begleiterscheinungen einer größeren Sache. Horrorfilmklischees wie das weglaufende Mädchen, dem die Protagonistin unweigerlich ins Verderben folgt, wirken sich genau deswegen nicht störend aus. Denn sie sind niemals der Handlungsmittelpunkt, vielmehr gehört das alles zum Bildnis dazu, das sich inmitten des Alptraums langsam bildet. Eine Wiederholung der Handlungsschemata aus dem 08/15-Horrorfilm wird deswegen vermieden, weil eben überhaupt keine solchen Handlungsschemata die Handlung bestimmen. Sie sind ein Begleiteffekt, nicht mehr.
Aber genau hier setzt die Geschmacksfrage ein, denn indem die filmfunktionale Anspruch an den Stoff, wo immer es möglich ist, gemieden wird, könnte der Eindruck entstehen, dass die Hauptfigur mehr oder minder sinnlos durch die Gegend streift und sich im Grunde genommen verhält wie in einem Videospiel - die Landschaft erkunden, Hinweise sammeln. In meinen Augen kann aber nur hierdurch die eigenwillige Atmosphäre aufrecht erhalten werden. Die Erfordernis an den Zuschauer ist einfach nur eine andere als in anderen Filmen - er soll die Impressionen in sich aufnehmen und sich durch sie zur Geschichte führen lassen.
Die Sirene ertönt. Der Bildschirm wird schwarz.
Ebene 2: Geschichte
Drehbuchautor Roger Avary ist leider der Schwachpunkt des Films, obwohl die Storyline selbst weniger schwach ausgefallen ist, als man vermuten könnte, und einige Einwürfe zur Strukturierung sind ebenfalls äußerst gut gelungen. Blenden wir mal den bereits verurteilten Handlungsstrang um Sean Bean aus, ist trotzdem einiges zu kritisieren daran, wie sich das Puzzle am Ende zusammensetzt. Akzeptiert man aber den Charakter des Films als ein surreales Bildnis anstatt als ein Horrorfilm, so werden jene Schwächen im Drehbuch weitestgehend deutlich abgeschwächt. Sie tragen nicht mehr genug dazu bei, die Wirkung des Gesamtwerkes abzuschwächen, weil der visuell-akustische Part im Mittelpunkt steht, gefolgt von der Idee, die hinter der Geschichte steht und ansprechend, wenn auch ein wenig wirr aufgelöst wird.
Nicht zu vergessen ist das Triptychon aus drei verschiedenen Bewusstseins- und Manifestationsebenen, das den kompletten Film durchzieht und ihm eine schaurige Struktur verleiht, wo es die Handlung selbst vielleicht nicht kann. Den einzelnen Ebenen ihren Charakter zuzuordnen wäre eine Sache der Interpretation, aber wenigstens die Ankündigung durch eine in Mark und Bein fahrende Sirene gibt darüber nicht nur Aufschluss, sie ist darüber hinaus ein famoses Rezept, die Akustik auszureizen, indem sie das Assoziationsprinzip ähnlich brillant für sich verwendet wie einstmals “Echoes” mit dem dunklen Brummen und dem roten Licht.
Sicherlich hat gerade der Mittelteil mit einigen Längen zu kämpfen und die Zeichnung der Situation bei den Gläubigen aus dem Dorf wirkt nicht immer geschickt. Die Art und Weise, wie die Auflösung vonstatten geht, kommt dafür aber äußerst ansprechend daher, von der körnigen Rückblende bis zum oftmals als unpassend bezeichneten Splatter-Finale in bester Tradition der “Hellraiser”-Filme. Auch der vorhergehende Abstieg von Rose in die “Gedärme” des Hauses wirft ein fantastisches Element aus “Silent Hill 2" auf wie schon zuvor die Autofahrt: Sowohl fährt das Auto meilenweit als auch der Aufzug Stockwerke tief fällt - beides Werkzeuge, um zu zeigen, wie weit sich die Protagonistin von der sicheren “Normalität” entfernt - ähnlich, wie James Sunderland unter der Bibliothek in diverse Brunnen sprang und unendlich erscheinende Treppen hinabstieg, bis er endgültig in den Eingeweiden der Hölle angelangt sein musste.
Etwas schwach eingebaut erschien mir zugegeben (der nichtsdestotrotz von seiner Präsenz, Darstellung und Wirkung her vortrefflich dargestellte) Pyramid Head, der eigentlich als dunkle Eminenz konzipiert ist, die in verschiedenen Abschnitten der Story in unerreichbarer Weite erscheinen sollte, um erst am Ende in einer Konfrontation anzutreten. Dazu bleiben zwei Auftritte zu wenig, denn hier ist er nicht viel mehr als alle anderen Monstergruppen, die vielleicht auch etwas zu isoliert voneinander auftreten. Dafür wird das “Endgegner-Monster”, diesmal ausgerechnet wirklich ein klassisches Game-Element, hervorragend mit dem Plot verbunden und in besagter Splattersequenz so stimmig eingesetzt, dass man ohne Kenntnis der Spielevorlage vermutlich kaum an das Endgegner-Schema denkt.
Auch etwas störend ist die Tatsache, dass Radha Mitchell einen großen Teil ihrer Zeit in Silent Hill in einer Gruppe mit anderen Frauen verbringt. Dabei sind die intensivsten Momente diejenigen zu Beginn und am Ende, als sie gegen die brennenden Kindermonster und die Krankenschwestern auf sich allein gestellt ist. Dennoch ist der Cast so, wie er ist, prinzipiell gutzuheißen, geben alle Darstellerinnen fern einer männlichen Komponente doch recht gute Leistungen ab, was auch gerade für Jodelle Ferland in ihrer Doppelrolle gilt.
Epilog
Wenigstens für ein Teilpublikum schuf Christophe Gans mit seinem Auge für das Visuelle die erste, voll überzeugende Videospielverfilmung, indem er die Atmosphäre der Vorlage quasi unverfälscht auf die Leinwand zu transportieren vermochte. Gewiss mag nicht jeder das Gesehene annehmen, das ist auch überhaupt nicht zu erwarten. Diese Verfilmung nicht abzustoßen bedeutet, eine enorme Abstraktion der gewöhnlichen Mechanismen des Horrorfilms in Kauf zu nehmen. Denn dieser hier lässt sich nicht über Schockeffekte, handlungskonsistenten Spannungsaufbau oder ähnliche “primitive” Funktionen konsumieren - er ist eher als hermeneutische Kunst aufzunehmen. Eine gänzlich andere Erfahrung, der man sich auf keinen Fall verschließen sollte.