Der Aufschrei war groß: eine weitere Videospielverfilmung, glücklicherweise aber nicht von Uwe Boll, der wird uns in Zukunft aber sicherlich trotzdem noch mit viel Müll überhäufen, sondern von einem deutlich erfahreneren, besseren Regisseur: Christophe Gans („Le Pacte des Loups“). Während Nichtgamer weiterhin nörgelten und die Presse sich von vornherein mit negativen Schlagzeilen überschlug, nach der Betrachtung auch weiter ganz miese Kritiken vergaben, waren Gamer immerhin gespannt, ob die geniale Atmosphäre der Spiele auch nur ansatzweise in den Film implementiert werden könnte. Für mich als Gamer des ersten Teils war die Erwartungshaltung recht hoch; ich wollte mich mal überraschend lassen, da, nur weil der Großteil aller anderen Videospielumsetzungen nicht funktionierte, nicht unbedingt alles aus diesem Bereich schlecht sein muss…
Rose (Radha Mitchell; „Melinda & Melinda“) und ihr Mann Christopher (Sean Bean; “Flightplan”) verzweifeln langsam. Ihre Tochter Sharon (Jodell Ferland; „Stephen King’s Kingdom Hospital“) schlafwandelt und murmelt dabei immer wieder den Namen „Silent Hill“. Rose forscht nach und findet eine Stadt in West Virginia – eine Geisterstadt, die vor Jahren durch ein Feuer vernichtet wurde. Allen Warnungen ihres Mannes zum Trotz macht sie sich mit Sharon auf den Weg, baut kurz vor dem Stadtschild einen Unfall, weil ein kleines Mädchen auf die Straße läuft, und muss beim Aufwachen feststellen, dass Sharon verschwunden ist. Die Suche in der Stadt beginnt, doch ein sich ständig veränderndes Stadtbild und Monster erschweren die Suche recht schnell. Zeitgleich macht sich Christopher auf die Suche nach seiner Frau, die Unterstützung von der Polizistin Cybill (Laurie Holden) erhält…
Ach ja. Das gute alte „Silent Hill“. Bei der Story werden Erinnerungen wach, böse Erinnerungen an eine nicht allzu ferne Vergangenheit. Es war zum Release des ersten Videospiels, als ich, damals 10 Jahre alt, meine ersten Erfahrungen mit einem Horroradventure machte – das fatalerweise ab 18 Jahren freigegeben war. Nett wie die Eltern waren, besorgten sie es mir, aber das sollte ich schnell bereuen. Nie wieder sollte ich ruhig schlafen können. Ein Meilenstein der Videospielgeschichte, das alle Genrekollegen an die Wand klatschte. Eine erstklassige, düstere, morbide Atmosphäre, knackige Rätsel, abgedrehtes Gegnerdesign und mehr Schocks als mein junges Herz vertragen konnte. Dazu eine Story, die deutlich komplexer und tief greifender war, als viele der Genregegner es waren. Drei Teile später habe ich bisher immer noch nur den ersten gespielt, wollte meinem Herz nicht zu viel zumuten und werde nach der Betrachtung mich jetzt mal an die drei Nachfolger hängen – ich sollte alt genug sein. Die Frage aber war, was Gans von den ganzen Spielelementen auf die Leinwand transportieren konnte, so dass er für Spieler immer noch genug Neues gab und sie begeisterte und Nichtspieler ohne Kenntnisse nicht vor den Kopf stieß, damit auch sie ihre Freude haben können. Nun ist es Gewissheit. Das nahezu Unmögliche, die Atmosphäre zu erhalten, ist praktisch bestmöglich geglückt, Rätsel durfte man nicht erwarten, sind aber auch in geringem Maße vertreten, die Gegner entstammen den Spielen, doch der letzte Punkt, die Story, bricht dem ganzen leider das Genick – liest sie sich doch nur in der Inhaltsangabe weiter oben wie aus dem Spiel. Was dann schlussendlich noch alles angeboten wird, verweigert sich zwar vielen Genrekonventionen, doch den Überblick immer im Sinn hatte Gans wohl nicht.
Aber von vorne…
Anfangs sind wir, ich speziell und die Gamer an sich vielleicht, noch begeistert. Man fühlt praktisch sein Sofa unter sich, den flimmernden Bildschirm des Fernsehers, hört die PlayStation leise rattern und den Joystick in der Hand. Halt, nein. Den fühlt man nicht und wenn man genau hinhört, ist es auch nur die Klimaanlage im Kino, die leise rauscht. Aber es könnte genau so sein.
Denn anfangs ist es nicht ein Film, es ist das Spiel – mit fotorealistischer Grafik sozusagen. Es fühlt sich an wie das Spiel, es läuft ab wie das Spiel und kann damit einige Leute, nämlich die, die das Spiel nicht spielten, verschrecken. Rose läuft minutenlang durch das ausgestorbene, in Ascheregen untergehende Silent Hill umher, ruft nach Sharon („Cheryl… is that Cheryl?“ hört man Harry Mason murmeln => Teil 1), der Nebel umhüllt sie und es knistert vor Spannung. Dann eine dunkle Treppe, Sirenen wie beim Feueralarm und daraufhin völlige Finsternis. Spieler wissen sofort, was hier los ist. Die Stadt verwandelt sich. Eine Parallelwelt voll grotesker Menschen, Monster, was auch immer, voll blutiger, heruntergekommener Wände. Ein Albtraum. Und Rose mittendrin. Sie läuft weiter durch Hinterhöfe und bald tauchen die ersten Gegner auf.
Was hier anfangs für eine Atmosphäre geschaffen wurde, sucht meiner Meinung nach in letzter Zeit seines gleichen. Vielleicht kamen Erinnerungen des Spiels in mir hoch und ich erinnerte mich, was ich damals in der Traumsequenz zu Anfang von Teil 1 durchmachte, aber hier ist der Traum erneut präsentiert worden. Dazu verwendete Gans bewusst sehr ähnliche Kameraperspektiven wie sie damals Harry, der ebenfalls durch dreckige Hinterhöfe wanderte, zeigten. Die Nebenstraßen mit dem überall umher liegenden Müll. Nie hat ein zerfledderter Kinderwagen mehr Beängstigung ausgelöst.
Und so geht es die erste Stunde weiter. Die Stationen Roses sind die, die Harry im Spiel ebenfalls besucht. Die Grundschule, die Bekanntschaft mit der Polizistin, die Abgründe, die das Dorf von der Außenwelt abschneiden - alles wirkt original ans Spiel angelehnt. Ein, wieder nur für Gamer entscheidender Moment, ist der, als Roses Handy und Cybills Funkgerät anfangen zu rauschen. Da hat einer das Spiel genau studiert, dachte ich noch. Bei Gegnerauftritten rauschte schon in den Spielen das gefundene Radio, weswegen hier alles so detailgetreu nachgebildet wirkte.
Aber auch diesen Punkt verliert man ganz schnell aus den Augen. Das war die einzige Szene, in der das Rauschen zu hören war. Auch die Rätsel sind eher sporadisch in den Kontext eingebettet, damit hatte ich auch eigentlich nie gerechnet, aber wenn schon mal Hinweise verteilt werden (so wie das halbe Hotelschildchen), dann darf man ruhig zufrieden abnicken. Dass hier keine Zahlenspielchen stattfinden, wäre auch übertrieben gewesen. Rose folgt einem Hinweis nach dem anderen und das Spielgefühl bewegt sich auf einem Maximum, obwohl sich das Unheil schon langsam ankündigte – im Hotel. Das Hotel war, mir persönlich, nicht aus dem Spiel bekannt. Und von nun an geht es auch rapide mit der Story Berg ab.
Die Ereignisse überschlagen sich plötzlich, nachdem es anfangs nach einer leicht verdaulichen, verfolgbaren Story aussah. Da sind die drei nebeneinander existierenden Welten und Zeitebenen noch das geringste undurchschaubare Problem, das sich dem Zuschauer stellt. Hexenverbrennung, Geister, Dämonen, Monstren und das ultimative Böse. Auch wenn einem am Ende des Rätsels Lösung auf dem Silbertablett präsentiert wird, bedarf es sicher einer zweiten Betrachtung, damit man sich vollends alles zusammenreimen kann.
Diese Ausuferung der Story, die zudem leicht uninteressant erscheint, da weniger manchmal einfach mehr ist, geht fatalerweise etwas zu Lasten der Spannung und der Atmosphäre. Es ufert zum Teil sogar in ein kleines Gemetzel aus, so dass noch mal ein ordentlicher Blutgehalt das Konto füllt. Völlig untypisch für das Spiel wäre solch ein Gemetzel und die anfangs so grandiose Umsetzung versagt hier auf dem Schlussviertel.
Update: Nach der zweiten Sichtung kann man allerdings festhalten, dass der Film besser wird, durchschaubarer und nachvollziehbarer, da man ungefähr weiß, was einen erwartet. Somit ist auch der zweite Durchgang empfehlenswert und nicht ermüdend. Am Ende kann man wirklich sagen, dass er nötig war, um ein besseres Verständnis des Films zu bekommen, sich eigene Antworten parat legen zu können und einige offene Fragen sich somit beantworten lassen. Nichtsdestrotrotz ist die Atmosphäre aus den ersten 90 Minuten nicht mehr ganz erreicht. Trotzdem fällt das im erneuten Rundgang durch die Stadt gar nicht mehr so schwer ins Gewicht. Ein Film, der tatsächlich bei der Erstsichtung schlechter wegkommt - und damit eine ganz seltene Spezies von Film. Update Ende
Gans ist sicherlich aber in keiner Weise ein Vorwurf zu machen. Er schafft hier eine Atmosphäre, die nah ans Original herankommt. Erzeugt durch einen Hammerscore, der direkt aus den Spielen übernommen wurde und da schon für Herzrasen sorgte. Metallisch klingende, undefinierbare Geräusche dominieren den Sound und zusammen mit der Kamera, die spieltypisch die Szenen aus einem bestimmten, ungewöhnlichen Blickwinkel zeigt, fühlt man das auf die Leinwand transportierte Spiel. Dazu einige nette Kamerafahrten durch die Gänge und Blickwinkel, die einige morbide Leichen aufzeigen (z.B. eine, die anfangs aussieht wie eine „normale“ Leiche, bis die Kamera dann abwärts fährt und sich ein weiterer Oberkörper zeigt, der nahtlos mit dem ersten verknüpft ist) und damit schon fast perverse Locations. Auch sehr nett sind die Szenen, in denen zwischen Realität und Parallelwelt nahtlos übergegangen wird (in der Schule zwischen der Christopher- und der Rose-Story).
Die Parallelwelt ist sowieso das atmosphärische Highlight und wird zum Schluss hin leider auch immer weniger bedient. Wenn dann die Monsterkrankenschwestern noch mal einen Auftritt am Ende haben, hält der Zuschauer unbewusst ebenfalls den Atem an.
Auch wenn sich grundsätzlich sagen lässt, dass die Handlanger des Bösen eine der Story leider untergeordneten Rolle spielen, da Rose auch meistens ohne Waffe herumläuft und immer im für sie günstigsten Moment das Böse Mittagspause macht, wodurch sie die ausweglosesten Situationen übersteht, sorgen sie dennoch für die Spannung im Film.
Aber niemand wundert sich bei anderen Filmen, wenn im ungünstigsten Moment das Magazin leer ist…
Es lässt sich selten definieren, was das überhaupt ist, das da auf die Charaktere zu kriecht, etwas Groteskes, das alleine durch die seltsamen Bewegungen und das Design Lob verdient.
Was, ebenfalls auf das Konto des Drehbuchs gehend, zum Teil negativ auffällt, sind die Dialoge, die manchmal in unfreiwilliger Komik ausarten. Highlights wie „Sieh mich an – ich brenne.“ (Rose ist eigentlich nicht blind und müsste das Feuer sehen) oder „Ich glaube, hier hat es gebrannt.“ (in einer Stadt, die durch einen verheerenden Brand ausgelöscht wurde) halten sich so weit gerade in Grenzen, dass nur penetrante Nörgler hier einen wirklichen Kritikpunkt finden.
Dafür können die guten Schauspieler jedenfalls nichts. Radha Mitchell als fürsorgliche Mutter ist erstklassig, Jodell Ferland einmal als Tochter und auch als gehänseltes Kind könnte als neuer Kinderstar gefeiert werden, während Sean Bean komplett verschenkt wird und weder der Story noch sich selbst mit seinem monotonen Spiel einen Gefallen tut, zumal die Story auch ohne ihn wunderbar gepasst und den etwas zu lang geratenen Film ein wenig gekürzt hätte.
Also, ist das hier die Videospielverfilmung par excellence? Nein, gewiss nicht. Aber wie so oft lässt sich festhalten, dass die Presse wohl von vornherein die Minimalpunktzahl-Stempel bereithielt. Damals bei „Nochnoi Dozor“ hatten sie den gegensätzlichen Stempel in der Hand und das sollte sich genauso als übertrieben rausstellen, wie es hier der Fall ist.
Nach den ersten 90 Minuten sah es nach einem ganz großen Film aus, doch da hatte man die Rechnung noch ohne die letzten 30 gemacht. Diese entfernt sich von der Storyline des Spiels, würfelt sich selbst fanatischen Glauben, Religion und Okkultismus zusammen und hinterlässt wohl bei vielen einige Fragen. Sollte man aber dem Film eine weitere Chance geben, wird man beim zweiten Besuch in der Geisterstadt viele Antworten bekommen, so dass sich dieser auf jeden Fall lohnt und den Film in ein noch besseres Licht rückt und der Kritikpunkt Story abgeschwächt wird.
Allerdings dürften sich Nichtkenner der Vorlage selbst beim Beginn nicht unterhalten fühlen, da es zu sehr wie ein Videospiel abläuft und sie somit keinen Wiedererkennungswert vorfinden würden. Deshalb wird der Film wohl weiterhin die Lager spalten.
Für mich stehen eine erstklassige Atmosphäre, gute Schauspieler und ein genialer Score einer etwas undurchsichtigen Story, die nach der Entschlüsselung aber brauchbar ist und ein paar schöne Diskussionsfragen hinterlässt, gegenüber, die sich leider nur anfangs noch recht eng ans Originalspiel hält. Aber auch so kann ich jetzt, nach Durchgang Nummer 2 sagen, dass es doch tatsächlich die beste Videospielverfilmung geworden ist. Allerdings wäre da auch noch mehr drin gewesen. Das Potential des Spiels und die anfangs erkennbare, superbe Konvertierung zeigen, was hier für ein Meilenstein drin gewesen wäre. So ist es "nur" ein hervorragender Film, dessen Qualität sich vielleicht erst bei mehrmaliger Betrachtung zeigt - so wie bei mir...