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Für gewöhnlich geht man ins Kino, um einmal abzuschalten oder zu träumen und die damit verbundene Überlebensgröße der Figuren zu genießen. Das ist durchaus berechtigt, aber es ist noch erfreulicher, wenn sich dann ein Film ins Kino stiehlt, dessen Figuren die nötige Realitätsnähe nicht missen lassen und gleichzeitig einen Witz transportieren, dem Herz und Seele noch nicht abhanden gekommen sind.

Johnathan Dayton und Valerie Faris haben mit ihrem kleinen, aber fein besetzten Independantfilm „Little Miss Sunshine“ den Sleeperhit des Jahres in den USA gelandet und den Erfolg auch durchaus verdient, denn ihnen ist es gelungen, äußerst deprimierende Themen zu einem überaus sympathischen Film zu verarbeiten.

Im Focus steht eine komplett disfunktionale Familie, wie es sie zu Tausenden gibt: Vater Frank ist ein erfolgloser Erfolgsmotivator mit der Hoffnung auf eine Buchveröffentlichung, Mutter Sheryl schafft das Geld heran, muß sich aber jetzt zwangsläufig um ihren schwulen Bruder Frank kümmern, der gerade einen Suizidversuch hinter sich hat. Ihr Sohn Dwayne haßt erfolgreich die ganze Familie und hat seit neun Monaten kein Wort mehr geredet und Großvater Ed ist ein vulgärer Heroinschnupfer, der aus seiner Seniorenresidenz rausgeflogen ist.

Ein kleines Wunder, dass das jüngste Kind, die kleine, pummelige Olive wunderbar naiv und kindlich geblieben ist – und noch dazu zur Landesausscheidung des „Little Miss Sunshine“-Schönheitswettbewerbs fahren darf, allerdings in Kalifornien.

Daraus entwickelt sich ein typisches Road Movie, in dem nach und nach die ganzen Spannungen und Brüche persönlicher und familiärer Natur an die Oberfläche schwappen; Dayton und Faris jonglieren geschickt mit Depressionen und enttäuschten Hoffnungen, drücken aber niemandem einen Stempel auf, sondern lassen die Figuren sich wertneutral entwickeln, so dass nicht einmal der erfolgsphrasen dreschende Vater wirklich unsympathisch wird.

Und auch wenn das persönliche Scheitern zentrales Thema des Films ist, so ist die Grundstimmung stets optimistisch. Das Konstrukt Familie wird immer mehr zur Zuflucht, je abstrakter sie im ursprünglichen Sinn bei diesen Figuren erscheint.
Frank muß sich seiner Vergangenheit stellen, der Vater hat keinen Erfolg, der Sohn kann nicht Jetpilot werden, die Mutter hadert mit ihrem Mann aus Geldgründen – am Ende fokussiert alles auf einen einzigen Erfolg, den man haben muß und der soll Olive gehören.

Dafür lässt jede Figur einen Traum zurück, findet aber ein Stück Nähe wieder, wenn auch auf Kosten einiger kurioser Episoden im Laufe der Reise. Und treu darf sich auch jeder bleiben, mit dem Gewinn, dass die Leidensjahre, die einzigen sind, aus denen man wirklich etwas mitnimmt, wie Frank es einmal formuliert.

Hier ist kein Witz aufgesetzt, im Gegenteil, er entspringt der leicht spröde-absurde Grundposition aller Figuren, gerät aber nicht zur reinen Niedlichkeit, sondern erhält die Charaktere in ihrer Gesamtheit aufrecht.
Der knallgelbe, altersschwache VW-Bus, der im Verlauf der Handlung immer mehr auseinander zu fallen droht, dient so als Symbol aller Träume – und wird am Ende zum entscheidenden Element.

Dayton und Faris gelingt so eine Form von Humor, die sich aus den Charakteren und Situationen ergibt und auf Natürlichkeit plädiert – was um so greller wirkt, weil das Finale bei einem grausamen Kleinkinder-Beauty-Contest stattfindet, in dem sämtliche Unschuld in barbie-püppchenähnlichen Gepose erstickt wurde.
Wo andere dem exzessiven Treiben brachial entgegen getreten wären, setzt das Skript auf entwaffnende Unschuld des Handels und provoziert so reichlich Lachtränen des Publikums.
Das Finale muß wirklich jeder gesehen haben, um es zu glauben.
Im Anschluß ist die Familie als solche wiederauferstanden und flieht praktisch aus dem Film – ein passendes Bild, denn der Weg ist das Ziel, wie hier öfters übertragen betont wird.

„Little Miss Sunshine“ dürfte das Feel-Good-Movie des Jahres sein, das bei entsprechender Platzierung und Bewerbung bei vielen Zuschauern gute Laune verbreiten dürfte, die sich auf eine Spur Realismus im Kino einlassen möchten.
Ein Film, der glücklich machen kann – wenn man ihn lässt. (9/10)

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