Deutschlands letzter Ausnahmeregisseur von internationaler Klasse, in seiner Heimat vom Publikum nie so richtig gewürdigt, kehrt endlich wieder dorthin zurück, wo er seine beeindruckendsten Filme drehte, in den Dschungel. Die verrückten Geschichten, die er dort vor allem mit Klaus Kinski erlebte, sind legendär.
Obwohl seine unvergesslichen Klassiker nicht nur einmal abseits der Zivilisation im Chaos zu versinken drohten und dabei jedem Geldgeber den Angstschweiß auf die Stirn trieben, konnte er ein paar risikofreudige Produzenten davon überzeugen ihm ein Budget, übrigens weit unterhalb der überall publizierten 60 Millionen Dollar, zur Verfügung zu stellen.
Autorenfilmer Werner Herzog („Aguirre, der Zorn Gottes“, „Fitzcarraldo“) hatte die Geschichte des deutschen Piloten Dieter Dengler, der die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, der Navy beitrat, während des Vietnamkriegs bei einem geheimen Bombardement über Laos abgeschossen wurde, daraufhin in Kriegsgefangenschaft geriet und schließlich durch den Dschungel flüchtete, bereits 1997 in seiner preisgekrönten Dokumentation „Little Dieter Needs to Fly“ aufgegriffen.
Den letzten Abschnitt, der Abschuss bis zu seiner Rettung, widmet er nun einen zweistündigen Kinofilm, der von Herzogs gewohnt intensiver Inszenierung, der greifbaren Atmosphäre, atemberaubenden Naturaufnahmen und grandiosen Darstellerleistungen geprägt wird. Um „Rescue Dawn“ richtig einordnen zu können und seine Hintergründe zu verstehen, ist „Little Dieter Needs to Fly“ übrigens unbedingt Pflichtlektüre – am besten im Doppelpack. Zumal diese Dokumentation auch eine Vorbereitung auf diesen Film darstellt.
Dieter Dengler ist ein Mann im Dschungel in aussichtsloser Lage, dem Tod nicht allzu fern, in großer Gefahr schwebend, mit einer Vision und dem Wahnsinn zu verfallen drohend. Klassischer könnte eine Figur Herzogs in Anbetracht seiner unvergesslichen Klassiker kaum angelegt sein. Aber wo früher unter anderem der unvergessliche Choleriker Klaus Kinski durch den Dschungel wütete, tritt nun Christian Bale („The Prestige“, „3:10 to Yuma“) in seine Fußstapfen und steht dem Exzentriker in nichts nach. Bale brilliert, natürlich auf eine andere Art als Kinski, wie gewohnt als stets überzeugend, mimisch subtiler und unglaublich authentisch auftretender Charakter inklusive eines unbändigen Charismas, das er hier aufgrund des Szenarios im Zaum halten muss.
Bekanntlich stemmt sich Werner Herzog dagegen größere Kompromisse einzugehen, die ihn in seiner Vision zu sehr beschränken, um ein größeres Budget zu erhalten. Er will die totale Kontrolle über sein Projekt behalten, seinen Prinzipien damit treu bleiben und ihn genau nach seinen Vorstellungen drehen. Das Ignorieren grundlegender Elemente eines Spielfilms und damit schon fast zwangsläufig erfreulicherweise die Abwesenheit gängiger Klischees, wirkt sich positiv auf die unkonventionelle Struktur des Films aus. Im Grunde ist „Rescue Dawn“ vom Charakter her eine weitere lebensnahe Dokumentation, die von ungewohnt subtilen Klängen Klaus Badelts („Invincible“, „Ultraviolet“) punktuell begleitet wird. Weder verweilt „Rescue Dawn“ in einer längeren Exposition, noch erklärt er umfangreich, besticht stattdessen mit der intensiv inszenierten Wiedergabe der wahren Ereignisse.
Bis auf Denglers Absturz im Dschungel, dessen Spezialeffekte leicht antiquiert wirken, macht sich das relativ schmale Budget auch nicht weiter bemerkbar. Etwaige Geldmängel bügelt Herzog zusammen mit seinem langjährigen Kameramann Peter Zeitlinger durch leidenschaftliche Anstrengung und der Tatsache aus, sich und sein Team für das Endresultat in keinster Weise zu schonen, eher nach Möglichkeit sie über die Schmerzgrenze hinaus zu schinden.
Den Rest besorgt Ausnahmeschauspieler Christian Bale, der unbedingt einmal mit Herzog arbeiten wollte, dafür auf seine sonst übliche Mammutgage verzichtete und sich mal wieder zig Kilos herunterhungert.
Vor allem die Leistung von Steve Zahn („National Security“, „Sahara“), in den letzten Jahren eigentlich als Sidekick vom Dienst bekannt geworden, der als abgemagerter Gefangener im POW-Camp psychisch wie physisch auf dem Zahnfleisch geht und schließlich mit Dengler durch den Dschungel flüchtet, soll genauso wenig unterschlagen werden, wie die Performance des beängstigend abgemagerten Jeremy Davies („Saving Private Ryan“, „Ravenous“), der als blasses Skelett desillusioniert durch das Camp schlurft.
Die realitätsnahe Umsetzung von Denglers Abenteuer, der sich nach seinem Abschuss zunächst versteckt und dann im Kriegsgefangenenlager sadistische Foltermethoden über sich ergehen lassen muss, ständig drangsaliert wird, insgeheim aber schon an einem Fluchtplan arbeitet, sind ein weiteres Plus auf der Habenseite von „Rescue Dawn“. Die hoffnungslose Stimmung im Camp, eingeschlossen vom undurchdringlichen, endlosen Dschungel überträgt sich aufgrund Herzogs fesselnder Umsetzung auf das Publikum und lässt es mitfühlen, während sich geistiger Verfall und Selbstaufgabe unter den wenigen Insassen breit machen, die schon zu lange dort hocken.
Ganz im Gegensatz zu Dengler, dessen Hoffnung noch längst nicht erloschen ist, wieder in seine Heimat zurückzukehren und der deshalb dieses Schicksal nicht akzeptieren will. Selbst Nahrungsentzug, Gruppenbestrafungen und Erniedrigung können seinen Lebenswillen nicht brechen. Mit leuchtenden Augen erzählt er seine Lebensgeschichte, warum er Pilot werden wollte und warum er nach Amerika ging.
Deswegen gibt er sich gefügig, beobachtet, plant, testet, hortet, bereitet vor und übernimmt das Kommando als die Flucht trotz aller Befürchtungen umgesetzt wird. Damit ist aber erst die kleinere Hürde geschafft, denn außer ein paar Reiskörnern besitzt man keinerlei Lebensmittel, um den Dschungel zu überleben.
Surreale Momente, unfreiwillig komische Szenen, die nicht auf Lacher ausgelegt sind, sondern die bittere Realität widerspiegeln, Verzweiflung, Halluzinationen, Unwetter und pure Angst begleiten ihre Odyssee in den Dschungel, während die ohnehin geschwächten und zerschundenen Körper sie kaum noch auf den Beinen halten können. Die grüne Hölle droht sie endlich niederzuringen. Sie scheint übermächtig, unendlich, stets tödlich und in der Wahl seiner Mittel die Protagonisten zu quälen schier unerschöpflich. Einzig und allein der Überlebenswille treibt sie noch voran und der ist am Ende nur noch bei Dengler richtig ausgeprägt.
Fazit:
Werner Herzog gelang mit „Rescue Dawn“ ein fesselndes wie faszinierendes Abenteuerdrama nach einer wahren Begebenheit. Nüchtern, detailversessen und realistisch inszeniert er Denglers Odyssee wie eine Dokumentation mit dezentem Spielfilmcharakter, instrumentalisiert den Dschungel einmal mehr und treibt seine Crew, vor allem die Schauspieler, an die Grenzen der Belastbarkeit. Die unglaublich dichte Atmosphäre, ein mal wieder grandios agierender Christian Bale in bestechender Form und atemberaubende Naturkulissen kulminieren zu einem ungeheuer intensiven Filmerlebnis, dessen Wirkung man sich als Zuschauer nur schwer entziehen kann. Man kann nur hoffen, dass sich Werner Herzog bald wieder Möglichkeiten bieten in den Dschungel zurückzukehren.