Review

Interessant, daß es ein deutscher Film zu solch allgemeiner Anerkennung und auch so weit nach oben im Ranking der OFDb gebracht hat - besonders wenn man bedenkt, daß es sich um ein kleines Werk handelt, daß dazu noch regional im oberbayrischen Voralpenland angesiedelt ist und sämtliche Protagonisten im dort üblichen Idiom sprechen läßt.

Eine gewisse Eingewöhnungsphase in den Dialekt vorausgesetzt, war es auch für mich Flachlandtiroler kein Problem, dem Film inhaltlich zu folgen, der seine Geschichte aus der Sicht des 11jährigen Sebastian erzählt, einem Lausbuben in der Tradition des Ludwig Thoma. Wie bei diesem entwickelt Sebastian seine Energie, die ihn immer wieder mit seiner Umgebung in Konfrontation bringt, ohne aggressive Gedanken aus einer unbändigen Neugier heraus, die ihn alles ausprobieren läßt und die die von Erwachsenen gegebenen Erklärungen wörtlich nimmt und damit oft als hohle unreflektierte Aussagen erkennbar werden läßt.

Sebastian ist keineswegs in einer heilen Welt zu Hause, auch wenn das Bergpanorama und die umliegenden Wälder das vermitteln. Seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben und seinem Vater ,der alleine den Dorfgasthof führt ,ist schnell anzumerken, daß er den Tod seiner Frau noch nicht verarbeitet hat. Genauso wie sein großer Bruder, der ihn gleich zu Beginn des Films für den Tod der Mutter verantwortlich macht und damit in Sebastians Psyche einen Erdrutsch auslöst.

Zusätzlich noch durch die im Gasthof übende Laienspieltruppe in seinen Träumen beeinflusst, sieht sich Sebastian regelmäßig vor dem jüngsten Gericht sitzen, daß ihm ständig seine Untaten vorwirft und ihm mit Verbannung in die Hölle droht. So kommt er zu der verständlichen Konsequenz, seinen Tod möglichst lange herauszögern zu wollen, denn "wer früher stirbt, ist länger tot".

Den Machern um Regisseur Marcus Rosenmüller gelingt mit diesem Werk etwas Besonderes, nämlich eine authentisch wirkende dichte Beschreibung des Lebens in der bayrischen Provinz in der heutigen Gegenwart - in einer Mischung aus Traditionen und konservativen Gepflogenheiten, katholischer Kirche und sämtlichen modernen Auswüchsen, bestehend aus Rockmusik, sexueller Offenheit, Emanzipation und esotherischen Ryten. Man spürt einerseits die dörfliche Enge, die kaum ein Handeln ermöglicht ,ohne dabei von Irgendjemandem beobachtet zu werden und andererseits die Weite, die auch hier immer stärker durch die moderne Technologie Einzug erhält.

Da kann es auch in schönster ländlicher Umgebung bei strahlendem Sonnenschein passieren, daß den Kindern bei der Geburtstagsfeier nichts besseres einfällt, als sich vor den Fernseher zu setzen und die Mutter des Geburtstagskinds sie regelrecht auffordern muß, sich doch gegenseitig etwas zu erzählen. Das dabei natürlich nur eine gruselige Geschichte für Aufmerksamkeit sorgt, ist nachvollziehbar - sehr viel anders hätte der Geburtstag in einer Großstadt auch nicht ausgesehen.

Gerade diese genau beobachteten Details sind es, die den Film für Jeden sehenswert machen, denn er verfällt keine Sekunde in ein kitschiges Lokalkolorit, sondern ist mit seiner Erzählung über einen Jungen, der auf Grund seiner intelligenten Naivität in der Lage ist, die verkrusteten Strukturen, die in seiner Familie seit Jahren vorherrschen, aufzubrechen, auf der Höhe der Zeit.

Fazit : moderner, genau beobachteter Film , der die Gegenwart in einem bayrischen Alpendorf in amüsanter, sehr unterhaltender Weise aus der Sicht eines 11-jährigen Jungen zeigt. Der Film ist keinem genauen Genre zuzuordnen, denn er ist wie das Leben selbst, eine Mischung aus Tragödie, Farce, Schrecken, Glück und Spaß.

Bewußt wird "Wer früher stirbt, ist länger tot" ohne intellektuellen Anspruch erzäht, ohne belehrenden Zeigefinger und ohne das jede dargestellte Verwicklung oder jedes angeschnittene Schicksal zu einer abschließenden erzählerischen Konsequenz geführt werden muß. Das Leben geht weiter und keiner weiß, wohin es uns treibt.

Ein Film, der wirklich Laune macht und einen Moment nochmal in eine Kindheit zurück führt, die zwar nicht ohne Probleme ist, aber dafür voller Hoffnung (8/10)

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