In Minnesota, dem Prärie- und Milchland, gibt es im Radio nicht nur Sportnachrichten und Neuigkeiten vom Viehmarkt, sondern seit vielen Jahrzehnten die "Prairie Radio Show", eine Radio-Livesendung, die zwar eine große Tradition aufzuweisen hat, aber in ihrer rührenden Bodenständigkeit auch aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Kreativer Kopf, Autor, Moderator und Werbesprecher in einem ist Garrison Keillor ("GK", gespielt von ihm selbst), ein Urgestein fern jeglicher glamouröser Showbühnen-Attitüde. Die von regionalen Wirtschaftsunternehmen wie einer Fischfabrik, einer Käserei oder einem privaten Entsorgungsunternehmen finanzierte Radiosendung wird live von der Bühne des Fitzgerald Theatre in St. Paul übertragen und erreicht zahllose Fans - soweit die quasi reale Ausgangssituation.
Robert Altman, der große Magier des abseits der Blockbuster entstandenen New Hollywood verknüpft Menschen und Charakteristika dieser Sendung mit einer Filmhandlung, in der sich auf zartbittere Weise Lebensentwürfe und Lebensalter kreuzen und die "Dangerous Woman" Asphodel (Virginia Madsen) ohne Effekthascherei den Backstage-Bereich durchschreitet und den betagten Sänger Chuck Akers (L. Q. Jones) vom Leben in den Tod abholt, nachdem dieser mit brüchig gewordenem Stimmchen singend auf sein langes Leben zurückgeblickt und resümiert hat, wer je sein einzig wahrer Freund gewesen ist. Evelyn (Marylouise Burke), eine altbewährte Mitarbeiterin, die für's leibliche Wohl zuständig ist und es bei dem ihr besonders nahestehenden Chuck nicht bei der Aushändigung eines Lunchpakets belässt, sondern in der Garderobe mit ihm schnäbeln möchte, muss entdecken, dass er seinen letzten Auftritt auf Erden hatte. Der elegante Guy Noir (Kevin Kline), der als technokratisch agierender Sicherheitsbeauftragter mit nicht zu unterschätzender Finesse den Ablauf der letzten Sendung überwacht (bevor das Theater für einen Parkplatz dem Erdboden gleichgemacht werden soll), fühlt sich von den Reizen Asphodels, die im irdischen Leben Lois Peterson hieß und einst beim Hören der "Prairie Radio Show" einen tödlichen Verkehrsunfall erlitten hatte, angezogen, ohne die metaphysische Dimension des Geschehens zu erfassen. Den Todesfall möchte er unter allen Umständen bis zum Ende der Sendung unter Verschluss halten. Bezüglich der offensichtlichen Schwangerschaft der Redaktionsassistentin Molly (Maya Rudolph) tritt er verbal von ihm selbst unbemerkt ins Fettnäpfchen.
Seine geradezu dokumentarisch anmutende Authentizität erzielt der Film dadurch, dass etliche Bühnenkünstler der Radioshow von sich selbst gespielt werden wie das virtuose Gitarren- und Gesangsduo Linda und Robin Williams, die würdevolle Jearlyn Steele mit ihrer Stimme voll Wärme und Charakter und vor allem die mit allen positiven Segnungen einer über Jahrzehnte erworbenen Routine spielenden Band des musikalischen Leiters Rich Dworsky.
Dass Meryl Streep (als Yolanda Johnson) nebenbei schon immer das Zeug zu einer ganz und gar hervorragenden Sängerin hatte, bewies sie schon des Öfteren in der Vergangenheit (u. a. in "Grüße aus Hollywood" oder "Mamma Mia"), aber unter der Regie von Altman scheint sie ihrem musikalischen Talent noch ganz neue Facetten hinzuzufügen. Wenn sie an der Seite von Lily Tomlin (als ihrer Filmschwester Rhonda) mit geradezu religiöser Inbrunst "Softly And Tenderly" oder "My Minnesota Home" singt, möchte man am Liebsten wie sie selbst in einer Szene vor Glück und Glaubensfeuer wie ein Präriepferd wiehern. Das große Thema von Yolanda und Rhonda ist der Verlust der Eltern und zweier Schwestern, die früher ebenfalls zu den Johnson Girls gehörten - ergreifend wie der 23. Psalm auf einer Beerdigung, wenn sie von der Hoffnung singen, ihre geliebte Mutter dereinst im himmlischen neuen Jerusalem wiederzusehen. Lola (Lindsay Lohan), die nassforsche und eigenbrötlerische Tochter von Yolanda, begleitet ihre Mutter und ihre Tante hinter den Kulissen, ohne ein eigenes Lebenskonzept zu haben. Sie ist stets in ihre Lyrik voller Suizidfantasien und Todessehnsucht versunken. Zu einem eigenen Auftritt in der Show wird sie ermutigt und überredet, als noch eine kurze Sendezeit zu füllen ist und sie den bekannten Song "Frankie And Johnny" mit einem höchst eigenen Text mit rabenschwarzem Galgenhumor neu interpretiert, der meilenweit entfernt ist vom kultivierten Pelzmantel-Sexappeal einer Anita O'Day, die diesen Klassiker vor Jahrzehnten intonierte. Tomlin, die für Altman bereits in "Nashville" vor der Kamera stand, erweist sich als kongeniale Duettpartnerin für Streep.
Ganz anderer Ausrichtung sind da die zotigen Musikbeiträge der beiden singenden Cowboys Dusty (Woody Harrelson) und Lefty (John C. Reilly), die als kalauerndes Duo "Old Trailhands" ziemlich treffsicher und nicht minder vergnüglich die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten, der vormals traditionell unschuldig daherkommenden Sendung einen etwas derberen Anstrich verpassen und als raubeiniges Buddy-Gespann auch hinter der Bühne einen Humor verströmen, der eher die Stammtischrunde zur vorgerückten Stunde als einen feingeistigen Zirkel ansprechen dürfte.
Altmans letzter Film, in Berlin welturaufgeführt, bietet einen melancholischen Reigen sanft miteinander verknüpfter Schicksale und schildert ein mediales, musikalisches und menschliches Modell, über dem das Damoklesschwert von Abschied und Auflösung schwebt (auch wenn die reale Radiosendung nicht das gleiche Schicksal wie im Film erlitt). Letzten Endes muss Mr. Crewitt (Tommy Lee Jones), Abgesandter einer texanischen Firma, die das Theater verkaufen will, die Show für ein Museum aufzeichnen und das Objekt samt der Veranstaltung abwickeln. Tragfähige Alternativen für die Zukunft finden die Künstler außer Lola, die zur betriebsamen Jung-Managerin wird, nicht. Wo früher das Theater stand, macht GK dann den Parkplatzwächter. Es endet - wie so oft im Leben - mit dem vagen Gefühl, dass es schon irgendwie weitergehen wird - und dem Vorbeistreifen der "Dangerous Woman"...
Nach der letzten Sendung ist es ein bisschen wie mit dem Tod von Chuck Akers in der Garderobe - seine Stimme ist für immer verklungen, doch auf dem Plattenteller dreht sich noch eine Platte, die keiner anhält.