Mann beßt Hund(1992)
Spoiler inside...
Wie weit darf Gewalt im Kino gehen?! Das ist eine gute Frage. Wenn man die letzten zwanzig Jahre jeden nennenswerten Vertreter des extremen Kinos gesehen hat, fragt man sich irgendwann unweigerlich; warum eigentlich? Wieso schaut man sich teilweise extrem dumme Grütze an, suhlt sich in aufgeschlagenen Blut, dampfenden Innereien und treibt sich vor allem jedes mal selbst an jene Grenzen des guten Geschmacks, die oft verschwimmen und DEUTLICH hinterfragt werden sollten. Von 2000 bis 2010 gab es eine regelrechte Welle an immer härteren, immer kontroverseren Stoff, der vom Mainstream bis in die hintersten Winkel der kleinsten Videothek reichten. Hostel, Saw, Inside, High Tension, Martyrs, Hard Candy oder A Serbian Film überboten sich jeweils sehr zweifelhaft in Ausrichtung und Ausweidung der unsichtbaren Linie des guten Geschmacks und vergaßen fast vollständig die herausragenden Stichpunkte von Klassikern wie Salo, Eraserhead, Natural Born Killers oder Ex Drummer.
Nun, ich selbst habe keinen greifbaren Geschmack und gehe an JEDEN Film ohne Vorurteile. Also; wie weit darf Kino denn für mich gehen? So weit wie möglich! Denn wenn ein Filmemacher, ein Autor oder eine ganze Mannschaft etwas zu sagen hat, dann bin ich für völlige Kreativität und absoluten Freiraum. Von den oben genannten Genrefilmen hatte im Grunde keiner etwas wirklich gutes oder interessantes zu berichten. Ich mag Saw, aber nicht jeder Teil ist zu rechtfertigen. Hostel - vor allem der zweite Ausflug - lässt eine halbwegs standhafte Intention gar nicht erst zu und beschränkt sich lediglich auf ansehnliche Effekte. Die ganze Schar französischer Vertreter spielen die Arthouse-Karte gut aus, bleiben aber kaum wegen ihrer ausgefeilten Story hängen. Martyrs ist zweiflsohne ein Ritt und vielleicht der beste Genrefilm dieser Schiene, aber so richtig fies UND schlau ist auch dieser Film nicht.
Über A Serbian Film möchte ich nicht sprechen. Eine Auseinandersetzung wäre sicher fair, aber die Macher dieses unglaublichen Schrottfilmes geilen sich an Ungerechtigkeiten in ihrem Land auf, die der Film nicht im geringsten untermauern kann. Mann beißt Hund hingegen ist eigentlich gar kein Horrorfilm, er ist ein Engel der gefütterten Bosheit. Mit keinem der oben gennanten Filme lässt sich diese Mockumentary vergleichen. In diesem wirklich ECHT wirkendem Film, begibt man sich auf eine Reise, die den Spiegel weiter hoch hält, als andere Filme. Ein Filmteam begleitet einen Profikiller bei der Arbeit. Dieser Killer ist die Personifizierung allen Übels. Er ist die lachende, kotzende, stinkende und ekligste Seite des menschlichen Bildes und dürfte ab einem gewissen Punkt für enormes Unbehagen dienen. Die Inkarnation der Widerlichkeit. Großartig gespielt.
Einen derartigen Protagonsiten zu wählen, bedurfte höchste Feinfühligkeit. Die alltägliche Arbeit des Killers wirkt seltsam abgeklärt, unheimlich absurd und extrem...nun ja...lustig. Was gibt es hier an Spitzfindigkeiten. Dieser extrem verdichtete voyeuristische Effekt ist die goldenen Karte zum Filmolymp. Hier wird gelacht, aus dem Mund gestunken, Leuten in den Kopf geschossen und anderen Figuren auf höchst EXTREME Weise den Gar aus gemacht. Mann beißt Hund stilisiert einen Missbrauch - die Moral des Zuschauers wird hier bis an die Grenzen geschändet. In einer Szene werden Menschen dermaßen abstrus aus dem Leben geholt, nur um in der nächsten Einstellung lustige Geburtstagsfeiern zu zelebrieren. Egal, mit wem ich diesen Film schaute, spätestens ab der wirklich unbehaglichen, extrem unästhetischen Vergewaltigung standen auch einige auf und erklärten mich für wahnsinnig. Keiner von denen wollte eine gesellschaftliche Reflektion hören. Der Film war in deren Augen einfach krank und abstoßend.
Mann beißt Hund wird ehr unter vorgehaltender Hand geliebt. Er zeigt eine neugierige, aber stets bekümmerte Seite in uns - eben so lang es einen selbst nicht betrifft. Ich glaube an diesen Film. Er zeigt uns die wahre Seite des Menschen. Ich spreche hier keine Empfehlung aus. Mann beißt Hund ist extrem böse, auf eine intelligenten Art sympathisch und doch bekommen Die, die es auch verdienen, einen Film, der den Finger mit Salz bestreut und tief in die Wunde der "News"-Süchtigen Geselschaft drückt.
Wie weit darf Gewalt überhaupt gehen?
## Intermission ##
Meine Familie und ich waren letzens ein paar Häuser weiter bei Freunden zu einer Feier eingeladen. Wir waren etwas ehr da, es war noch hell und gute Bierchen zischen sich auch zu dieser Zeit des Tages sehr angenehm. Zu gast waren vielleicht noch 10 weitere, mir sehr gut bekannte Personen. Plötzlich gab es einen extremen Knall auf der Straße. Einige Meter weiter schlugen sich mehrer Frauen aus einer mir nicht näher bekannten Ecke der Welt, viele rauchende Männer standen im Kreis umher und beobachteten die laute und wilde Keilerei. Als dann eine der Frauen ein unscheinbares Messer zog und wild um sich schnitt, ertönte auch schon eine laute Sirene. Polizei, so weit das Auge reicht. Überall rennende Kinder, schreiende Babys und Schaulustige. Da es leicht dämmerte, war diese Straße auf einmal in ein Biltzlichtmeer geflutet...furchtbar. Alle hingen am Fenster und gafften hinaus. Unten ertönte ein Schwall aus undefinierbarem Gebrüll, lautem Geschrei und etlichen Tränen. Eine der Frauen brach zusammen und regte sich nicht. Ihr hingen die Kleider in Fetzen herunter. Ihre Scham und der ganze Oberkörper waren sichtbar. In diesem Moment schloß ich die Augen und wandte mich ab.
Da es nicht regenete, war die rötliche Nässe auf ihr wirklich verstörend. Ich schaute keine Minute zu. Die wenigen Fenster meiner Bekannten waren dicht bedrängt. Jeder schaute diesem wildem Treiben zu, filmte, telefonierte aufgeregt oder schoss ein paar Bilder. Ich setzte mich wieder hin. Natürlich war das echt beängstigend, aber die Richtigen und Rechtschaffenden waren da. Ich erkannte, daß ich hier nichts sinnvolles beitragen kann. Als ich nun saß, an meinem Bier nippte und einige Schnittchen in mich hinein stopfte, schauten mich alle an. Ich lachte hämisch in den Fernseher - mit boshafter Absicht! Es lief eine der vorabendlichen Klatschsendungen und es ging um einen neuerlichen Lebensmittelskandal. Ich saß nun da - alle Kinder spielten unbehelligt einen Raum weiter - und lachte mit Krümeln auf meinen Zähnen. Das Licht des Krankenwagens war mittlerweile deutlich zu spüren und ich wurde doch tatsächlich gefragt, wie ich denn jetzt in den Fernseher lachen kann.
Ich drehte mich zu allen und zählte kurz.
"Fast alle von euch, haben Mann beißt Hund gesehen und sich mehr als nur ein bisschen über diesen Film echauffiert. Und nun steht ihr alle am Fenster, gafft, filmt, macht Bilder und habt aber eigentlich weder verstanden um was es geht oder auf was es letztlich zuläuft. Alle die am Fenster stehen, beißen gerade in die Hüfte eines Pinscher."
## Intermission ##
Gewalt geht leider sehr weit. Zu weit. Aber wie sie auf der anderen Seite der Münze wahrgenommen wird und wie dann reagiert wird, ist beinahe noch entsetzlicher. Heuchlerische Menschen, gesteltzte Motive und keine Refleketierung. Willkommen in der Matrix.
Ich geh jetzt in die Küche und bereite ein köstliches Gulasch für morgen vor. Vielleicht beiß ich die Katze...8