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Durch die Aufführung von Animes wie Akira und Ghost in the Shell rückte der japanische Zeichentrickfilm in ein neues Bewußtsein im Rest der Welt; ganz besonders auch in Deutschland. Zuvor hatte man zwar Heidi und Biene Maja gekannt, genauso wie in den 70ern vereinzelt futuristische Formate auftauchten, unter denen die Serie Captain Future den größten Eindruck hinterlassen hat. Der Sender Tele 5 erfreute Kinder und Jugendliche in den 80ern mit den Weltraumabenteuern der Saber Rider und setzte sowohl mit dem Drama Miyuki als auch dem Science Fiction Epos Die Königin der 1000 Jahre Akzente. Nur einen Namen gab es nicht dafür, allenfalls ein Stirnrunzeln der Eltern.
Die 1995er Animeverfilmung von Masamune Shirows Manga Ghost in the Shell durch Mamoru Oshii wird gemeinhin ähnlich wie Akira als Türöffner für das düstere und cyberpunkige Sci-Fi-Anime-Sujet in Deutschland wahrgenommen. Verantwortlich dafür ist unter anderem auch das gute Timing. Die Masse der Konsumenten tummelte sich nicht in den Schatten, um mit viel Geduld und Geld neues Material auf dem Importweg zu ergattern. Dafür platzte nun die Japano-Bombe. Es gab Animezeitschriften am Kiosk. Comicverlage sprangen auf den Zug auf und knallten alles raus, was ihnen in die Druckmaschinen rutschte. RTL 2 besann sich seines Programms und betonte mit unterschiedlich anstrengenden Formaten dank Sailor Moon den Quietsche-Anteil, während sich Vox zeitweise für etwas düstere OVAs und Filme einsetzte.

Auch der Heimvideomarkt sollte nicht zu kurz kommen. Während, allen voran das Label OVA Films, in der Regel japanisch synchronisierte Fassungen mit deutschen Untertiteln auf den Markt gespült worden sind, versuchten sich Manga Video, die Ghost in the Shell 1996 in ihr Programm nahmen, nach dem Vorbild des gleichnamigen Labels aus Großbritannien mit lokal-synchronisierten Fassungen. Ungeachtet dessen, daß diese ähnlich wie in England oft haarsträubend vertont waren – man denke an Formulierungen wie “Überteufel” – war in der Masse rückblickend leider oft wahllose Auswertung von Lizenzen an der Tagesordnung. Die frisch geborenen Mangafans und Otakus rissen den Händlern eben alles aus den Händen, was ihnen vorgesetzt worden ist.
Diese zeitgenössischen Umstände sind durchaus wichtig, gerade für die heutigen Kritiker, welche sich angesichts des legendären Status von Ghost in the Shell manchmal enttäuscht geben. Mag er stilistisch auch Geschmackssache sein, so zeichnet den Anime von Mamoru Oshii allerdings doch noch einiges mehr aus, als einfach einer der besseren seinerzeit verfügbaren Zeichentrickfilme einer ungemein angesagten Sparte gewesen zu sein.

Im Trend war diese Science-Fiction/Cyberpunk Geschichte übrigens nicht nur, weil Masamune Shirow bereits in vorherigen Werken wie Appleseed philosophisch durchsetzte Epen über Cyborgs geschrieben hat. Die 90er waren ja außerdem das Zeitalter, in dem Spinnereien über virtuelle Realitäten von der breiten Verfügbarkeit des Internets überholt worden sind. Heute mehr oder minder trashig anmutende Filme wie Der Rasenmähermann oder Brainscan waren da nur ein Vorgeschmack. Ghost in the Shell krachte quasi unmittelbar auf die Fernsehschirme derer, die sich vielleicht mit dem Rollenspiel Shadowrun auseinander setzten und denen eine virtuelle Matrix kein Fremdwort war. Man spielte vielleicht Netrunner, das jüngst veröffentlichte Tradingcard Game, welches auf dem Roman Neuromancer basierte. Dessen Autor William Gibson hatte auch die Kurzgeschichte Johnny Mnemonic verfasst, deren Verfilmung just gelaufen war. 95/96 war alles, was sich seit Blade Runner so an dystopischem Gedankengut einer sich immer weiter manifestierenden Realität gesammelt hatte kurz davor zu eruptieren. Was wir heute so selbstverständlich immer und überall anzapfen, um uns auf dem Laufenden zu halten, das Internet, war neu und geheimnisvoll. Für manche Politiker ist dies ja heute noch so. Dabei hätten diese schon damals lernen können, welche Möglichkeiten dieses “Cyberzeug” bergen könnte.

Ein ikonisches Motiv für den Anime Ghost in the Shell ist das Eintauchen. Mamoru Oshii gelingt es, eine vielschichtige Meditation über Cyborgs und Vernetzung zu gestalten, die sehr auf die phantastische Bilderflut angelegt ist. Die Übersetzung wird zu einem fragilen Akt, weshalb die ohnehin schon phonetisch aus dem Japanischen kaum übertragbare Synchronisation die wenigen erzählerischen Elemente nicht immer transportiert. Auch wenn Ghost in the Shell inzwischen zweifach ins Deutsche übertragen worden ist, so ist die Originalfassung auch für die Stimmung schlicht die erste Wahl.
Kaum fassbar in ihrem anmutigen Charakterdesign wird Motoko Kusanagi der Schlüssel in diese futuristische Welt mit ihren neuen Vorzügen und Tücken. Fast ausschließlich aus künstlichen Teilen zusammengesetzt ist sie unmittelbar betroffen von der Bedrohung durch den Puppenspieler. In der Welt von Ghost in the Shell hat der Geist sich bereits des lästigen Körpers entledigt. Nicht nur einzelne Körperteile lassen sich durch Implantate ersetzen. Bis auf wenige Hirnzellen ist es möglich, den Menschen vollständig auszutauschen. Die wenigen verbleibenden Zellen des Individuums befinden sich in einer Kapsel, der Shell. Hierdurch jedoch wird ein neuer Angriffspunkt geschaffen, den der Puppenspieler nutzt. Nicht nur kann er die Cyborgs kontrollieren, er kann auch Erinnerungen beliebig manipulieren.

Wie es Masamune Shirow gern mag, ist der Blickwinkel verbunden mit der Polizeiarbeit der Zukunft. Der wesentliche Aspekt vom Kinofilm Ghost in the Shell ist im Gegensatz zur später folgenden Fernsehserie Ghost in the Shell: Stand Alone Complex jedoch noch weniger das Actionmoment oder der Humor. Viel mehr läßt uns Mamoru Oshii wirklich in diese künstliche Welt eindringen, aus der sich ein eigenständiger Rachegeist erheben und durch das Kapern von Produktionsstätten aus dem Virtuellen im Greifbaren bemerkbar machen kann.
Als Anime ist Ghost in the Shell an dieser Stelle auch deshalb so bahnbrechend, weil er im Wesentlichen noch im herkömmlichen Verfahren hergestellt worden ist, bei dem man mehrere gestapelte Folien abphotographiert. Natürlich war das Team nicht das erste, welches digitale Technik in den Zeichentrickfilm integriert. Auch in Disneys Der König der Löwen waren Massenszenen vom Computer unterstützt worden. Der Clou ist hierbei die Verschmelzungen von alter und neuer Technik, wobei das Ghost in the Shell Team die verwendeten Verfahren mit voran getrieben hat. Aufgrund der Überzeugung, daß die Digitaltechnik sich als Werkzeug der Kunst unterzuordnen habe, entstand mit Ghost in the Shell ein homogenes Meisterwerk, welches letztlich einen der Scheitelpunkte auf dem Weg zur volldigitalen Animation darstellt.

Im Making of wird dies mit zwei Sätzen zusammengefasst: “Ein digitales Bild zielt auf das Unspektakuläre, Selbstverständliche. Denn nur wenn das Bild im Werk lebt, kann es einen Wert erlangen.” Diese Philosophie unterstreicht getragen von den gewählten Klängen Kenji Kawais nochmals den internen Konflikt des Films, in dem hadernde Cyborgs mit der Wahrnehmung der eigenen Existenz kämpfen. Die Abhängigkeit von der Technik wird auf persönlicher, politischer wie global existenzieller Ebene transzendiert.
Ghost in the Shell ist hiermit nicht nur technisch der Zeit vorraus gewesen, sondern umreißt auch die Gefahren von Cyberkriminalität, die nicht zwingend von Außen, sondern auch aus dem Inneren heraus ihre Mechanismen entwickeln kann. Schließlich ist jedes System und jedes Schloß auch immer mit einem neuen Zugang und einem neuen Schlüssel verbunden. Da Vernetzung ohne Zugänge nicht stattfinden kann, ist so eine vollkommene Isolation nicht möglich. Die Frage der Ethik wird auf diese Weise neu herausgefordert.
Es ist kein Wunder, daß Ghost in the Shell nicht nur optisch zu einem großen Vorbild für den Film Matrix geworden ist.

Selbst wenn aber er und sie den Begriff Otaku noch nie gehört haben und die Begriffe Manga und Anime nur Assoziationen von Tentakel-Gewichse und kleinen Mädchen in Matrosenkleidchen wecken, den Film Ghost in the Shell sollte jeder Cineast einmal erlebt haben. Es ist eine Horizont-Erweiterung, zu der man wenige Anime-Meisterwerke wie etwa den auf seine Weise beeindruckenden Perfect Blue zählen darf.

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