„Wenn ich von der Zeit spreche, rede ich von der vierten Dimension!“
Von 1934 bis 1947 trat der aus dem heute ungarischen Teil Österreich-Ungarns stammende Regisseur George Pal lediglich mit zahlreichen Cartoons in Erscheinung, bevor er 1958 mit der Realverfilmung des Märchens „Der kleine Däumling“ wieder auf der Bildfläche erschien und ihm zwei Jahre später mit der ersten Verfilmung des H.G.-Wells-Romans „Die Zeitmaschine“ ein großer Wurf des Science-Fiction-A-Films gelang, mit dem er die allgemeine Faszination für Zeitreisen in ein kunterbuntes Abenteuergewand kleidete.
Der aufstrebende Wissenschaftler George (Rod Taylor, „Planet des Grauens“) hat seine Freunde Filby (Alan Young, „So liebt man in Paris“), Hillyer (Sebastian Cabot, „Sieben Diebe“), Kemp (Whit Bissell, „Flucht in Ketten“) und Bridewell (Tom Helmore, „Vertigo“) am 05.01.1900 zu sich nach Hause zum Abendessen eingeladen – doch George ist zunächst gar nicht da. Plötzlich jedoch taucht er in besorgniserregendem Zustand auf und tischt ihnen neben dem Essen eine unglaubliche Geschichte auf: Er habe eine Zeitmaschine entwickelt, mit der er in die ferne Zukunft gereist sei, wo er die dann Eloi genannten Menschen in scheinbar paradiesischen Zuständen lebend, aber auch seltsam apathisch vorgefunden habe – und schließlich auf die grausamen, unterirdisch lebenden Morlocks gestoßen sei, denen die Eloi als Sklaven und Futtermittel dienten…
Nach dem Prolog, in dem George angibt, gerade aus der Zukunft zurückgekehrt zu sein, erzählt der Film seine eigentliche Handlung in einer ausgedehnten Rückblende, die am Silvesterabend 1899 beginnt: Schon an diesem Abend berichtete er seinen Freunden von seiner Zeitmaschine und versucht, ihre funktionstüchtige Existenz mittels eines Experiments mit einem verschwindenden Miniaturmodell der Maschine zu beweisen. Doch man bezichtigt ihn der Trickserei und glaubt ihm kein Wort. Durch die damit verbundenen Dialoge schafft der Film zunächst die theoretische Grundlage für Zeitreisen. In die Praxis setzt George sie im Selbstversuch um, indem er sich zunächst vorsichtig in der Zeit vorbewegt. Die Taschenuhr, die er bei sich trägt, läuft dabei nicht schneller vor, aber der Film illustriert die vergehende Zeit durch Zeitrafferaufnahmen von Schnecken, Blüten etc. Sowohl George als auch der Zuschauer können gemütlich zusehen; solange George keine Gesprächspartner hat, kommentiert er fleißig aus dem Off.
„Ein Atomsatellit schießt auf uns zu!“
Als George im Jahr 1917 landet, wird es interessant: Er erfährt vom Ersten Weltkrieg und dass er seit 1900 als verschwunden gelte. Er reist weiter ins Jahr 1940, in dem er ebenfalls mit Krieg konfrontiert wird. Der zivilisations- und politkritische Unterton, die man der (mir unbekannten) Literaturvorlage in weitaus größerem Ausmaße nachsagt, wird hier deutlich. Mit Georges Reise ins Jahr 1966, in dem er in eine Massenpanik wegen Luftschutzsirenenalarms gerät, betritt der Films tatsächlich erstmals ausgehend vom Drehzeitpunkt Zukunftsterrain und gibt sich dabei warnend dystopisch. Fortan wird George Zeuge von Detonationen, Zerstörungen und zu allem Überfluss auch noch in Form von Vulkanausbrüchen auftretenden Naturgewalten. Blubbernde Lava zieht sich in ebenso faszinierenden wie verstörenden Bildern. durch die Straßen. George wird dadurch in einem Berg eingeschlossen und sieht sich gezwungen, Jahrtausende weiter in der Zeit zu reisen – bis in Jahr 802701: Dort erwartet ihn paradiesische Natur, umgesetzt in Form großartiger farbenprächtiger Kulissen, und er trifft auf vergnügt durch dieselben springende und sonnenbadende Menschen. Diese jedoch sind einander anscheinend vollkommen gleichgültig und sehen sich noch nicht einmal genötigt, der zu ertrinken drohenden Weena (Yvette Mimieux, „Dazu... gehören zwei“) zur Hilfe zu eilen. Nicht minder desinteressiert reagieren sie auf Georges Rettungsmaßnahmen, niemand sagt ein Wort. Sprachbarrieren bestehen zwischen Weena und ihm jedoch keine – auf diesen Aspekt verzichtete man vermutlich schlicht, um die Geschichte nicht zu verkomplizieren. Leben und Tod jedenfalls scheinen im Jahre 802701 keine Bedeutung mehr zu haben, es gibt keine Regierung, keine Arbeit und keinen Alphabetismus – zwar haben die Eloi Bücher, doch die sind alt und zerfallen zu Staub. Feuer hat Weena hat auch noch nie gesehen.
Georges Maschine aber ist hinter Schloss und Riegel, er kann nicht mehr zurück. Ob das Fluch oder Segen ist, weiß man noch nicht genau. Nach einem Morlock-Angriff aus einem Gebüsch, bei dem man zunächst nur etwas Kostüm zu sehen bekommt, steigt die Spannung, was es mit dem rätselhaften Volk der Eloi und eben den Morlocks auf sich hat. Ein „sprechender Ring“ sorgt für weitere Science-Fiction und verrät, dass ein Krieg zwischen „Ost und West“ zur fast völligen Auslöschung geführt habe – unschwer als warnende Parabel auf den Kalten Krieg zu erkennen. Ein anderer Ring erläutert schließlich die Entstehung der Morlocks und der Eloi und dass erstere die Eloi wie Nutztiere, also Vieh, halten. Als eine Sirene erklingt, laufen die Eloi wie hypnotisiert in einen tempelartigen Bunker, bis er sich irgendwann schließt und die Sirene verstummt. Den Übriggebliebenen ist auch das alles völlig egal, wohlwissentlich, dass die andere nicht mehr wiederkommen werden. Als George in das Gebäude eindringt, findet er zu seinem Entsetzen Eloi-Skelette vor und erfährt, dass die Morlocks Menschenfresser sind. Dies ist der bedeutendsten Wendepunkt des Films: Zum einen lernt der Zuschauer die Morlocks in voller Pracht als blauhäutige Monster mit leuchtenden Augen und damit die zwar durchschaubare, trotzdem vor allem für junge Zuschauer unheimliche Kostüm- und Masken-Arbeit des Filmteams kennen, zum anderen beginnt George, der bereits kurz nach seiner Ankunft ein negatives Urteil über das Leben der Eloi fällte, als Einzelperson den Kampf gegen die Morlocks aufzunehmen. Dies erscheint wie ein Ausdruck des typischen US-Chauvinismus, der sich selbst gern als das Maß aller Dinge empfindet und vorschnell über fremde Kulturen und gesellschaftliche Systeme urteilt, bis hin zur offenen Aggression mit Vernichtungsabsichten. Die Reduzierung auf eine heldenhafte Einzelperson, die es mit einer eigentlich überlegenen Übermacht aufnimmt, kennt man heutzutage aus zahlreicher US- (oder US-inspirierter) Actiongülle, die wiederum a) als Projektionsfläche US-amerikanischer Selbstüberschätzung funktioniert und b) bewaffnete bis kriegerische Auseinandersetzungen letztendlich verharmlost. Bezeichnenderweise interessiert die Eloi das alles recht wenig, was mit dem heutigen Wissen wie eine unfreiwillige Analogie auf die US-Außenpolitik erscheint, die fremde Völker gegen deren Willen zu „befreien“ versucht.
An imperialem Einfluss und an Bodenschätzen der Eloi oder Morlocks ist George jedoch tatsächlich nicht interessiert, weshalb ich diesen Aspekt auch nicht überbewerten will, wenngleich er Menschen mit geopolitischem Bewusstsein unweigerlich ins Auge springen dürfte. Der Actionanteil des Films steigt nun und die Spezialeffektkünstler lassen die Morlocks bluten und bei lebendigem Leibe verbrennen oder auch – sehr gelungen – per Zeitraffereffekt zerfallen; für die obligatorische Romanze, hier zwischen George und Weena, bleibt dennoch Zeit. So aufregend das Finale mit seinen Fragen, ob George seine Zeitmaschine erreichen und wenn ja, ob er allein oder Weena ins 19. Jahrhundert zurückkehren wird, auch ausfällt: Es kann nicht verhehlen, dass sich Georges Kampf lediglich in einem Mikrokosmos abspielt. Sehr eingeschränkt wirkt „Die Zeitmaschine“ insbesondere im Vergleich mit anderen Science-Fiction-Filmen, wenn die globalen Ausmaße keine Berücksichtigung finden und er einem glauben machen will, die hier gesehenen Eloi und Morlocks wären die letzten Überlebenden der fast völligen Auslöschung menschlichen Lebens und der Erfinder der Zeitmaschine sei per Zufall ausgerechnet in ihrem Biotop aufgeschlagen.
Zurück am 05.01.1900 erinnert sich der Zuschauer, dass es sich ja eigentlich um eine Rückblende handelte und darf beobachten, wie George noch ein Ass im Ärmel hat, um seine Freunde vom Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen zu überzeugen. Ein leicht nachdenkliches Ende in verschneiter Winterlandschaft schließt George Pals Kinoerfolg, der seinerzeit einen Oscar für seine Spezialeffekte gewann und im Laufe der Jahrzehnte zum beliebten Klassiker avancierte. Ich kann beides gut nachvollziehen, denn Pals von Wells adaptiertes Science-Fiction-Abenteuer sieht nicht nur zu jeder Sekunde klasse aus, ist üppig ausgestattet und handverlesen besetzt, sondern zu einem nicht geringen Teil auch ein überraschend hartes und unheimliches Kreaturenspektakel, verfügt zudem über ein nahezu zeitloses Tempo. „Die Zeitmaschine“ gelingt ein Spagat zwischen naivem Retro-Futurismus, der sich prima nostalgisch verklärt genießen lässt und einem nach wie vor funktionierenden Appell an die ungebrochene Faszination für Zeitreisen auf der Publikumsseite, das mit diesem Film gleich drei Zeitreisen auf einmal unternimmt: In das große Science-Fiction-Kino der aus- und nachklingenden 1950er, in das 19. Jahrhundert und eben das Jahr 802701. Etwas ungeschickt hantiert „Die Zeitmaschine“ lediglich mit seiner Botschaft, wenn er seinen eigenen kritischen Anspruch zu unterlaufen droht und seine Gewichtung auf den massenwirksamen Unterhaltungsaspekt verdeutlicht – was ihn filmhistorisch selbstredend keinesfalls uninteressanter macht.