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Sandra Hüller. Sandra Hüller. Sandra Hüller. Es ist nahezu unglaublich, was die Hauptdarstellerin von Requiem leistet. Glücklicherweise hat sie dafür auch den Deutschen Filmpreis 2006 bekommen.
Jedenfalls kenne ich keinen Film – auch nicht aus USA - in dem eine Darstellerin besser die Entstehung einer psychischen Störung spielt. Dafür den tiefsten Respekt und das Versprechen den Namen zu behalten!!!

Sandra Hüller spielt in Requiem die 21-jährige Studentin Michaela Klingler, die an Epilepsie leidet. Aufgrund ihrer Herkunft aus einem tiefreligiösen, katholischen Elternhaus versteht sie ihre Krankheit als Prüfung von Gott.
Dementsprechend sieht sie – bei ihrer Entfernung vom ich – Dämonen und hört auch deren Stimmen. Hilfe versucht sie von der Kirche zu bekommen und tatsächlich weiß der junge Kollege, den der Pastor hinzuberuft, was zu tun ist.

Regisseur Hans Christian Schmid hat seine aufwühlende und auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte im Tübingen der 70er Jahre angesiedelt.
Alle Darsteller sind so gut, dass man überrascht ist, von keinem vorher gehört zu haben (ok Burkhard Klaussner ist etwas bekannt ...). In Bezug auf die Qualität fällt jedenfalls als einziger der Darsteller des Stefan (Nicholas Reinke als Michaelas Freund) etwas ab und hinterlässt nur wenig Eindruck

Die Geschichte leidet jedoch nicht darunter. Ganz großartig ist die Hilflosigkeit und Verzweiflung der Hauptfigur dargestellt. Michaela schwankt zwischen Tabletten, Ärzten und der Kirche hin und her. Sucht nach rationalen Erklärungen und findet nur in theologischen Deutungen Sinn.
Was soll das? Warum ich? Was geschieht mit mir? All das spielt Sandra Hüller dermaßen realistisch, dass man eher den Eindruck hat, eine Patienten-Dokumentation zu sehen, als einen Spielfilm.

Sehr gut gelungen ist auch die Kulisse vom Tübingen der 70er. Hier stimmen die Autos, das Straßenbild, die Studentenzimmer – kein falsches Detail bewegt den Zuschauer zum Aussteigen … und doch ist das auch ein kleiner Kritikpunkt.
Denn obwohl die 70er so perfekt in Szene gesetzt wurden, schaffen sie auch unweigerlich Distanz. Schließlich wirkt die damalige Szenerie mit den seltsamen Frisuren und Klamotten fremd und dadurch auch distanzierend auf heutige Zuschauer.

Wohingegen das Thema der Entfremdung vom ich und die Massenuniversität, sowie der persönliche Spagat zwischen dörflichem Elternhaus und wildem Studentenleben auch heutzutage noch aktuell ist.
Insofern hätte die im Film geschilderte Verzweiflung der Hauptfigur den Zuschauer sicher noch mehr berührt, wenn Regisseur Schmid die Geschichte in der Gegenwart angesiedelt hätte.

Wirklich unpassend ist allerdings, der Verzicht darauf das Ende szenisch zu zeigen. Der Regisseur erklärt, dass er das als voyeuristisch empfunden hätte und darauf bewusst verzichtet hat. Aber nachvollziehen kann man das nicht. Schließlich ist schon die Aufzeichnung eines Grand Mal Anfalls voyeuristisch (wie im Prinzip jeder Film über eine Person).
Außerdem hat gerade das Ende der Geschichte sehr viel damit zu tun, weshalb diese Geschichte ausgewählt wurde und auch so stark berührt.
Der Film wirkt dadurch jedenfalls nur halbfertig.
Als Zuschauer fühlt man sich um die wenigen Szenen, die ohnehin nicht mehr als vier Minuten hätten ausmachen müssen - betrogen. Man stellt sich die Frage, ob Schmid vielleicht Angst hatte.

Angst vor der katholischen Kirche – oder vielleicht sogar um seine Hauptdarstellerin – denn so wie Sandra Hüller die Michaela spielt, kann sie nur spielen, wenn sie alles ganz dicht an sich heranlässt. Hätte sie das Ende spielen können, ohne psychischen Schaden zu nehmen? Wer weiß? Andererseits ist doch genau das Extrem, nach dem sich Schauspieler sehnen.

Wie auch immer, jedenfalls ist Sandra Hüllers Leistung besser als der Film. Sie spielt die psychisch Kranke so realistisch, dass man den Film eigentlich als Pflichtvorstellung allen Psychologie- und Medizinstudenten zeigen müsste.Danach müsste man die Studenten auffordern eine Strategie zu entwickeln, die Michaela Klingler angesprochen hätte und ihr geholfen hätte.

Tatsächlich ist das wirklich Traurige an Requiem, das selbst 25 Jahre nach den Ereignissen in Baden-Würtemberg die Medizin immer noch genauso ratlos ist wie damals (bei Epilepsien gibt es immer noch kein besseres Medikament, als das im Film gezeigte Carbamazepin) und sogar die Kirche wendet noch immer dieselben Strategien an.

Für die Leidtragenden, die Michaelas der Gegenwart, ist die Erkrankung deshalb unverändert schwer. Wie schwer es ist, zeigt Requiem – sehr eindrucksvoll.

Dafür ein Dank an Schmid und natürlich vor allem an seine grandiose Darstellerin Sandra Hüller.

Und … natürlich zieht der Film einen runter. Aber durch das "fehlende" Ende ist alles nicht ganz so bedrückend. - Natürlich nur für den Zuschauer - nicht für die echte Michaela Klingler.


Nachtrag: Eigene Deutung. So wie die Geschichte erzählt wird, ist Michaela Epileptikerin. Das hört sich schlimmer an, als es ist, schließlich klappen Epileptiker nicht alle naslang zusammen, sondern nur höchst selten (meist in Stresssituationen). In 99,9 Prozent aller Alltagssituationen sind sie genauso unauffällig wie du und ich.

Trotzdem müssen Epileptiker etwas anders leben, denn sie müssen versuchen den Stress in ihrem Leben auf ein Minimum reduzieren und möglichst „solide“ leben.
Das bedeutet in erster Linie, Finger weg von Drogen und Alkohol, sowie ausreichend Schlaf in jeder Nacht. Dadurch können sie die Wahrscheinlichkeit einen Anfalls zu bekommen minimieren, aber ausschließen können sie das natürlich nicht und nie.

Michaela geht diese Risikovorsorge – wie alle Menschen in ihrem Alter – natürlich nicht ein. Das betrifft weniger Drogen und Alkohol, aber ihren Schlaf. Den ersten großen Anfall im Film bekommt sie bei einer Wallfahrt.Um teilzunehmen ist sie mitten in der Nacht aufgestanden. Stressige Busfahrt – angespannte familiäre Situation. Starkes religiöses Empfinden bei Besuch der heiligen Stätte. Übernachtung im selben Zimmer wie die Eltern – Bumm – schlägt sie auf den Boden.
An der Uni geht sie dann wieder sehr schlecht mit sich um. Erst hört sie auf die Medikamente zu nehmen und dann wacht sie die Nächte durch, um eine Hausaufgabe zu schreiben. Das führt natürlich dazu, dass sie eine Psychose bekommt, weil sie als Epileptikerin nun mal dafür anfällig ist.
Ja und als es dann soweit ist, spürt sie, dass etwas mit ihr nicht stimmt – gleichzeitig merken ihre Mitmenschen, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Die Mitmenschen wenden sich dann von ihr ab.
Sie sucht Hilfe und die anderen das Weite. An dieser Situation hat sich auch heute noch nichts geändert … erschwerend kommt hinzu, dass die, die sagen sie können helfen, auch heute noch nicht wissen, was sie eigentlich tun.

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