Nach seinem doch eher abstrakten Spielfilmdebut Eraserhead meldet sich David Lynch mit einer biographischen Adaption des Schicksals von John Merrick zurück, welcher als Der Elefantenmensch in die Geschichte eingegangen und zuvor bereits Thema eines Bühnenstückes geworden ist. Lynch, der mit diesem Film seinen Durchbruch vollendete, hatte mit seinen verstörenden Bildern nicht den Eindruck hinterlassen, daß er als nächstes mit einer konventionellen Erzählung aufwarten würde. Dennoch fügt sich Der Elefantenmensch nahtlos in seine persönliche Entwicklung. Selbst die kontroverse Dokumentation David Wants To Fly, die David Lynchs Bezug zur sektenartig vollzogenen Transzendentalen Meditation beleuchtet, wirkt wie ein nachgereichter Schlüssel. Obschon nicht in yogischem Sinne, eine Transzendenz ist auch hier vorhanden.
Mit dem in Schwarz/Weiß gehaltenen Paramount-Logo gerät die triste Farblosigkeit zur ersten Brücke, die mit einer wilden Collage der Verknüpfung zwischen Frau und Elefanten am Ausgangspunkt Eraserhead angedockt und befestigt wird. Dieser Bezug ist deshalb so essentiell, weil David Lynch dort seine gegen den Strich gebürsteten Aufnahmen zu einem eigenständigen Organismus vereint, der sich in seiner Andersartigkeit in der Figur des John Merrick (John Hurt) wiederfindet.
Gestalterisch sticht sofort ins Auge, wie sehr das Zusammenführen unterschiedlicher Elemente in Der Elefantenmensch zu einem herausragenden Ergebnis führt. Als Regisseur gibt David Lynch bereits hier eine persönliche Position neben der Spur preis. Da ist einerseits das viktorianische London, andererseits die wundervolle Photographie von Freddie Francis, der mit seinem Können unter anderem dem Film Schloß des Schreckens zu seiner schaurigen Atmosphäre verhalf und der selbst in unzähligen Horrorfilmen auf dem Regiestuhl platznahm. Verpflichtet fühlen sich beide den expressionistischen Spuren im frühen Tonfilm.
Unschwer erkennbar wird diese Parallele anhand der Lebenssituation, in der sich Der Elefantenmensch wiederfindet. Er ist Attraktion einer Freakshow, Besitz eines Zirkustyrannen, der ihn im Käfig hält wie einen Affen. Für die Perspektive, auf die David Lynch hinaus will ist es dabei unerheblich, wie akkurat sie den Aufzeichnungen des Arztes Frederick Treves folgt, der im Film von Anthony Hopkins dargestellt hier den Weg in ein aufgeklärtes Leben ebnet.
Kaum verwunderlich ist es, wie viele Referenzen an den 1932er Film Freaks auftauchen, mit dem Tod Browning trotz einer deutlichen Entschärfung der veröffentlichten Schnittfassung ein Forum für die Eigenwilligen und Gezeichneten dieser Welt erschaffen hat, in der Zugehörigkeit als ein hohes Gut gehandelt wird.
Nicht in den Reihen der anderen zugelassen zu werden, das ist ein tiefer Schnitt in den Seelen derer, die ihr Geltungsbedürfnis in der Ausbildung ungewöhnlicher Interessen, Schulung besonderer Talente oder der Eskalation ausleben, sobald ein Ventil von Nöten ist. Wenn Der Elefantenmensch vor die Türe geht, dann zieht er sich einen Sack über den Kopf, der nur ein kleines Guckloch als Blickwinkel auf die Umgebung zulässt. Er tut dies ganz im Gegenteil zum Invisible Man aus dem 1933er Film von James Whale nicht, um seine Körperform sichtbar zu machen. Er möchte am liebsten unsichtbar sein, möchte in der Masse untergehen.
Diese breite Masse kann letztlich nicht anders, als in Merrick die Attraktion zu sehen, die als Der Elefantenmensch angepriesen worden ist. Es ist ein Zug der menschlichen Natur, das Auffällige zu begutachten, zu bestaunen oder vielleicht auch zu begaffen. Die Frage ist nun, unangenehm wie es ist angestarrt zu werden, ob eine Böswilligkeit enthalten ist.
Der Elefantenmensch findet eine gewisse Geborgenheit beim Arzt Frederick Treves, der in der Erzählung dramaturgisch optimiert die Sprache, Manieren und künstlerischen Interessen seines Patienten fördert.
Wenn John Marrick auf die Straße geht, dann betrachtet er seine Umgebung wie ein Kameramann durch das eingeschränkte Sichtfeld einer einzelnen Öffnung seiner Kappe. Dies ist ein essentieller Hinweis, der auf eine grundsätzliche Sympathie zu den Freaks aus dem Milieu der Filmemacher hindeutet. Vor allem erklärt es jedoch auch, wie harmlose Situationen plötzlich umkippen können.
Der Elefantenmensch, durch Erfahrungen geprägt, in denen eine wilde Horde selbst die Behaglichkeit seines Wohnraums durchdringt, um ihn aufzuscheuchen wie ein Lynchmob aus Fritz Langs Blinde Wut, reagiert etwas zu empfindlich, als er von Passanten auf offener Straße identifiziert wird. Erschrocken entwickelt sich eine tragische Szenerie, die sich über dem Schnaufen einer Dampflokomotive aufschaukelt. Menschen, die genauso unschuldig in den Konflikt geraten sind wie John Merrick, werden selbst zu Opfern einer scheinbar rasenden Bestie, die lediglich in Furcht um Leib und Leben strampelt.
Den Künstler, Feingeist oder Poeten in dieser schauerlichen Gestalt zu entdecken, das wird zur Aufgabe von Bildung und Aufklärung. Wie sehr zeichnet uns unser Körper wirklich aus? Diese Wertfrage scheint uns heute noch absurder als zur Entstehungszeit des Films vor 40 Jahren. Gesundheit und Unversehrtheit sind allgegenwärtig, das Entsprechen nach einem Ideal, Ansprüche chauvinistischer Art, die sich wie selbstverständlich an die Funktionen einer Karriere in einer Welt heften, als deren Grundlage die Gleichstellung als höchstes Gut gepriesen wird.
Bei all der Fürsorge, die Der Elefantenmensch aus dem Bildungsbürgertum erfährt, ist er wirklich einer von ihnen? Ist er ihr Held, wenn die Massen ihm zujubeln, der sich gar nicht zur Schau stellen lassen will? Ist es sein Ziel gewesen, abermals im Mittelpunkt zu stehen, sich nie sicher, ob man ihn nicht wieder nur begafft? Ist er wirklich mehr als nur ein dankbares Opfer, ein Alibi für die Gewissen einer Gesellschaftsschicht, die ihre Ausgrenzung nicht so direkt formuliert wie ein Arbeiter auf der Straße?
Der Elefantenmensch ist ein Außenseiter, der diese Rolle in allen Facetten durchlebt. David Lynch betont in seinem Film am Ende die Rolle des Künstlers, der sich trotz aller Avantgarde nur als Freak in einem hochkulturellen Zirkel der Schaustellerei wiederfindet; eine transzendentale Gegenüberstellung von Horror, Exploitation und Tragödie. Mag es eine Ballade sein, die am sichersten in die Herzen der wirklichen Outcasts trifft, es ist eine Gefühlswelt, die jeden Menschen betrifft und sei es nur, kurz inne zu halten und über das Angeklagte zu sinnieren.