Das menschliche Wesen
Es ist mir unverständlich, warum David Lynch diesen Film gemacht hat. Nach „Eraserhead“ hätte ich mir eigentlich einen anderen Zugang zum vermeintlich „Normalen“ erwartet als den Blick des Wissenschaftlers Anthony Hopkins auf das „Monster“ John Hurt. Sicher ändert sich die Perspektive einmal, aber nicht zum Vorteil des Films, denn ansonsten wäre „Der Elefantenmensch“ vielleicht noch als verkappte „Satire auf den mitleidigen Blick“ durchgegangen, ähnlich unverstanden wie Clint Eastwoods vermeintliche Feier eines Militaristen in „Heartbreak Ridge“.
Jedoch lieber Leser, Sie und ich, die wir hoffentlich nicht an das „Normale“ glauben, wissen das John Merrick ein menschliches Wesen ist und 1980 sollte das eigentlich niemandem mehr gesagt werden müssen. Auch nicht, dass dieses Wesen ein viktorianischer Romeo sein kann, der von Anne Bancroft (Die Reifeprüfung) geküsst wird.
Und in der Tat: der Film ist ein ähnlicher verlogener Ausrutscher wie „Die Reifeprüfung“, da er nicht im Geringsten Anstalten macht aus dem Bürgerlichen herauszutreten. Merricks Kunst unterscheidet sich nicht von jener des „Glöckners“ bei Hugo – ein Fortschritt ist dieser Film deshalb sicher nicht: am Ende hat Merrick für mich keineswegs gewonnen, sondern verkommt zur bürgerlichen Skulptur und hört letztlich auf anders zu sein. Hier braucht sich im Publikum niemand angesprochen zu fühlen.
Wenn Lynch tatsächlich einen Assimilationsprozess hätte beschreiben wollen, hätte er müssen deutlicher sein. Ich befürchte allerdings, dass Lynchs Kunstbegriff zu alt hergebracht dafür ist, und so müssen alle die einen anderen Ausgang sehen wollen bei Tod Brownings „Freaks“ bleiben: die gleichen „Freaks“, die Merrick im Film einmal retten. Vielleicht hätten sie ihren „Bruder“ dabei auf mehr Solidarität aufmerksam machen sollen...